Full text: St. Ingberter Anzeiger

Unterhaltungsblatt 
St. Ingberter Anzeiger. 
Xr. J. Sonntag, den 1. Januar 
18 
Neujahrsmorgen. 
Schwiagst Du dich aufwärts in der Gottheit Licht! 
Drum sei getrost, trotz aller Müh' und Sorgen 
Bald leuchtet dir ein ew'ger Neujahrsmorgen 
Vorbei auch das!“ des Jahres jungen Morgen 
ungi von den Thürmen hell sein Wiegenlied, 
Und in den Glocken tönen Lust und Sorgen, 
Und Freud' und Leid was bleibet und was flieht; 
Das rauschen sie der Seele, der im Horchen 
Des Lebens bunter Traum vorüberzieht: 
Bald will's ein Etwas' bald edr Nichts ihr scheinen 
Und wechselnd mag sie jauchzen mag sie weinen. 
— — — — — 
Gerettet. 
Novelle von Andre Hugegs. 
Ein Schweben zwischen Lächeln, zwischen Thränen, 
Ein Enden, wenn wir angefangen kaum — 
Ein Zwischending von Haben und sich Sehnen, 
Ein blüh'nder in der Wurzel kranker Baum. 
Halb wahres Glück, halb nur ein glücklich Wähnen, 
Ein halbes Wachen und ein halber Traum. — 
So eilt des Lebens Fluth an uns vorüber, 
Und zieht uns schnell in's and're Sein hinüber. 
(Fortsetzung.. 
Wie durch ein Wunder gerettet, stand Bruns 
noch fest auf einem Stücke eines abgebrochenen 
Balkens. Rings um ihn eilte ein erstickender 
Qualm durch das Fenfter, an dem er stand, 
in das Freie. Jetzt übersah er erst das Qual— 
volle seiner Lage; vor sich die gähnende 
Tiefe, hinter sich die Höhe des Thurmes mit 
dem trügerischen Seile. 
Ein Gedanke durchflog sein Inneres, als 
er wieder zur Höhlung des Thurmes blickte, 
in der ein Stuüͤck brennende Treppe ein helles 
Licht über die dunkeln Wände wars. In ge⸗ 
rader Richtung unter ihm mußte sich die 
AV 
Schnell entschlossen zog er daz übrig ge— 
bliebene Stück Seil von der Außenseite des 
Thurmes herein und warf es in die Tiefe. 
Es ging weiter, als er gedacht hatte. Ohne 
auf die nachbröckelnden Steine zu achten, klet⸗ 
herte er an dem Seile hinab. Als er in der 
Nähe des Einganges angekommen zu sein 
glaubte, suchte er nach der Steinplatte. Er 
jand sie nicht. Der Angstschweis trat ihm auf 
die Stirne. 
Abwechselnd mit der einen oder der andern 
Hand daß Seil fassend, hielt er fich eine 
Knd, Wandern, Wandern!“ tönt's all' was gewefen 
Wird wieder sein, wie Tag und Nacht erscheint; 
Es trennen, es begegnen sich die Wesen, 
Der Mensch bewundert. zürnet lacht und weint; 
Und auf des Pilgers Hügel ist zu lesen: 
„Hier ruht er,“ was die Liebe hold geeint — 
Zerriß der Tod, und bald nach wenigen Jahren 
Ist keiner mehr von Allen, die da waren — 
Drum hoch den Blid in jene Sonnenhelle, 
Die Uüber dem Gewirr hoidselig lacht 
Wo ob der Meerflut schaumgepeitschier Welle 
Der stille Mond in heil'ger Ruͤhe wacht. 
Hinauf zu deines Vaterhauses Schwelle, 
O Menschengeist, entschwing' dich durch die Nacht! 
Du bist ein Pilger jener schönen Ferne, 
Und nennst Dein Heimathland die ew'gen Sterne. 
Vorbei auch das!“ dann jubeln wir, wenn trübe 
Die alte Erdennacht zerreißt und licht 
Das Himmels⸗Neujahr in das Reich der Liebe 
Mit holdem Engelsgruß dich ruft — dann bricht 
Die Kette, und mit Joldnem Freiheitstriebe