Full text: St. Ingberter Anzeiger

Verheißuag! Ihr Herz schwoll, ihre Lippe 
—RR 
Sie bot ihm die Hand und ihre Augen 
janden sich in langem sehnenden Blice. 
Sein Antlitzz war dem ihren ganz nahe 
und Mis. Cartright beugte sich plötzlich vor 
und küßte ihn. 
Sie vergeben mir ?“ fragte er heiser. 
„Ich liebe Sie,“ flüsterte sie.⸗ 
„Wissen Sie — verstehen Sie die Ver⸗ 
hältnisse )7 
„Nein, ich bin wirr und unklar — das 
derz aber tauscht sich nicht.“ 
Und Vers. Cartright entzog ihm die Hand, 
die er unwillkührlich, festgehalten. und eilte aus 
dem Gemache. 
XX.. 
Ein hoher, schlanker Maun schritt durch 
Alle und näherte sich dem Schloßportale. 
Bevor er noch die Klingel zog, erschien 
der Herr des Hauses in der Halle und der 
Bediente rat zurück, überzeugt, daß seine 
Dienste nun überslüssig seien. 
Der junge Fremde mit den edlen Zügen, 
ben tiefblauen Augen, dem goldbraunen Haaur 
stand unter dem alten Portale des Ahnen⸗ 
schlosses der Lyle, unter den stolzen steinernen 
bswen und bot dem andern jungen Manne 
don gleich hübschem, gleich aristokratischem 
Ausfehen die Hand. So standen Sie sich ge⸗ 
genüber, lebende Doppelgäuger, ähnlich wie 
Zwillingsbrüder und doch so verschieden. Des 
Einen Züge zeigten Ernst, Kraft uud Würde, 
des andern sonnige Heiterkeit, jugendlich leich⸗ 
den Sinn. 
Der thatsächliche Besiher von Lyle Hall 
staud auf der Schwelle, ein ernster Mann, so 
ju fagen ein dunklerer Abdruck des Andern, 
dessen lichte Erscheinung sich weit hübscher 
ausnahm. 
.Ich freue mich, Sie zu sehen,“ rief der 
Schloßhert innig, freue mich von Grunde des 
Herzens und pceise den Hammel ob Ibrer 
Rückkeuhr.“ 
Euer Gaaden sind sehr gütig,“ entgegnete 
der Fremde ruhig aber entschieden, „ich glaube. 
ich habe zu danken.“ 
.Bitte, treten Sie ein, wir loͤnnen in der 
Bibliothek ungesidrt sprechen.“ 
—Site traten in das alte Gemach, dessen 
antike Sculpturen mehr denn ein Jahrhunde rt 
gefehen. A * 
„Ein schönes Zimmer, Mylord,“ kemerkte 
der Besuchende, während sein Auge von einem 
Gegenstande zum andern schweifte, „ich gra⸗ 
sulire zu Ihrem Besiß.“ 
— Er hat mir keine Freude gemacht und 
ts war auch gut so. Sie aber sollten nicht 
potten, Sie müssen wissen, daß ich Sie für 
odt hielt, daß Sie mir oft und oft wieder⸗ 
hjolten, Sie möchten mir Ihre Erbe gönnen; 
nüssen zugeben, daß die Versuchung groß war 
und gewaltig, daß keine selbstischen Grüude 
nich unterliegen licßen, wenn fie auch deßhalb 
nicht entschuldbar sind. Gott weiß, ich erkaunte 
ängst das Unrecht meines Thuns, ich litt 
zitter darunter, aber ich gab mir auch redlich 
Mühe, dem alten Namen und meiner wenn 
uuch falschen Stellung Ehre zu machen. Dem 
dimmel sei Dank, daß all das nun enden 
osl. Meine Abrechnung liegt bereit, denn ich 
jielt im Falle eigenen Mißgeschickes stets da⸗ 
auf, und wenn Sie die Bücher einsehen, 
verden Sie erlennen, daß ich, wenn auch 
in Usurpator, doch kein treuloser Verwalter 
vwar. Die Ernkünfte haben sich bedeutend er⸗ 
zöht und —“ 
„Genug,“ unterbrach der Fremde, „ich 
erfuhr bereits von allen S iten, wie würdig 
Sie den alten Namen repräsentiren und es 
st mir wirklich Ernst, wenn ich Ihnen gra— 
ulire. Glauben Sie, ich sei gekommen den 
Unwillen der ganzen Grafich-fi auf mich zu 
aden, einen nachlässizen Schlingel an Stelle 
rines allgemein verehrten Edelmannes zu pflan⸗ 
zen * Nein Lord Cuthbert Lyle, ich bin Hugo 
Tartright. ein Mann mit Herz und Seele 
genug, um sich des kostbaren Gutes der 
Putter⸗ und Schwesterliebe werth zu ma⸗ 
hen.“ 
Lord Cuthbert, wie man ihn nannte, er⸗ 
bleichte und stützte sich mit der bebenden Hand 
am Tische. 
„Ich verstehe Sie nicht, mein Herr! Sie 
sdunen doch nicht grausam genug sein, zu 
berlangen, daß dieser Wechsel der Identität 
aoch dauere J9 
Der Fremde zudte leicht die Achseln. 
„Was habe denn ich mit der Sache zu