Full text: St. Ingberter Anzeiger

bauk, hinter der der schmale Fußweg vorbei ⸗ 
juͤhrie, nieder Sie überlaß bie Adrifsen der 
Briefe —8 war Brunos Hand. Mit jit⸗ 
sernden' Händen erdffnete sie einen um den 
andern und durchlas sie bis zum letzten. — 
In dken ersten Briefen waren die sen⸗ 
rigsten Ergüsse eines liebewarnmen Herzens und 
die Verscherung ewiger Liebe und z Treue 
enthalten, während die letzteren einen ganz 
anderen Ton anschlugen. Die Vorwürfe, welche 
darin enthalten war en, klangen zwar in keiner 
Weise so herb'und verlezend, als sie Helene 
aufnahm, doch klang ein so bitterer Ton hin⸗ 
zurch, daß Helene in ihrem LTiefinnersten er— 
bebte. Als sie aber den leyten Brief zur Hand 
nahm, der Nichts weiter als einen Glück⸗ 
punschezu einer zufriedenen, von keinen in⸗ 
neren Vorwürfen behelligten Ehe mit Hofmann 
enthielt, da drohte der Schmerz, ihr die Brust 
zersprengen zu wollen. 
„Herr des Himmels!“ rief sie aus, laß 
mich bei Sinnen! Kann ich denn glauben, 
daß Hofmann so intriguenhaft gewesen ist, 
daß er die Briefe, welche an mich gelangen soll 
jen, behalten und mir gefälschte ürpergeben hat? 
Fast möchte ich darau zweifeln und doch — 
hier steht die bittere Wahrheit; hier tritt sie 
tlar zu Tage“ er dae 
Traurig ließ sie den Kopf sinken und 
uͤberließ sich dann ihrem Schmerze, der sich 
in ihr entwickelte und ihr ganzes Sein er⸗ 
füllte. —VA 
Wer fie in diesem Augenblicke beobachtet 
hätte, würde sie eher sür ein lebloses Wesen 
ats für ein jugendlich⸗frischesWeib gehalten 
haben, wenn nicht einzelne;, über ihre Lippen 
schlüpfende Worte das innewohnende Leben 
angedeutet hätten. 
„Bruno,““ und“ immerwieder!! „Sruns !“ 
klangees aus dem schön-geschnittenen Mund 
hervor, während das schmerzliche Zucken der 
Lippen den Orkan verkündete, der i hr Inneres 
umwühlte. —. Jetzt erst trat der erbärmliche 
Charatter Hofmanns in seiner mastenlosen 
GBestalt vor die Seele Helenens; jetzterst 
begriff sie die gefpielte Taͤuschung ˖ und Unter⸗ 
schlagung' der Briefe in ihrem gunzen Umfange, 
denn daß sie“ Hofmann gefälscht um“ seinen 
jelbstsüchtigen Zwecken ben gewünschten Erfolo 
rrreichen zu laffen, das tand ihr jeßl, llar 
vor der Seele 3*8 
In diese Gedanken noch versunken, be⸗ 
merkte sie wohl, daß ihr der geflügelte Wind 
einen entfallenen Brief auf“ dem Wege nach 
dem Eisenwert fortirieb und sein liftiges Spiel 
mit demselben begann, allein sie griff“ nicht 
darnach .·. * 
Auf diesem Wege näherte sich ein Mann, 
den wir auf den ersten Blick als den neuen 
Geschäftsführer des Herman'schen“ Eisenwerls 
erkenaen. Er schritt lanagsam vorwäcts und 
näherte sich mehr und mehr der Stelle, an 
der Helene, noch immer mit ihren Gedanlen 
beschäftigt, sprachios dasaß. n 
Eine hohe breite Stirn zeigte den tiefen 
Denker während der ungezwungene Gang und 
die Leichtigkeit seiner Körperbewegungen neden 
erner edlen, man möchte fast sagen, stolzen 
Haltung den durch Erfahrungen erstarlten 
und gewiegten Mann erkennen ließen. 
Der Wind trieb ihm“ den Helene entfal⸗ 
jenen Brief entgegen . * 
Schon wollte er, ohne sich weiter? un 
das Blatt zu kümmert, an demifelben gleich⸗ 
gültig vorübergehen, als es ihm der Wind 
unmutelbat vor die Füße wirbelte. Er hob 
es auf. J 
Als sein Blick die ersten Worte uͤberflogen, 
blieb er stehen. Sein Gesicht zeigte jetzt eine 
plößliche Röthe, die lebhafte Spannung de— 
in ndend, die dat gefundene Blatt auf' ihn 
ausüben mußie: Nachdem er es gelesen, ollete 
er es ruhig pisammen und verbarg es in 
seiner Brusttasche. — * 
Im Weiterschreiten hatte er gar bald die 
Anhöhe erreicht, auf deffen Scheitel sich die 
Tapelle mit der Mo⸗sbank befand. Er hob 
die Hand, um, von den Sonmenftrahlen un⸗ 
belästigt die Gestalt auf der Moosbank besse e 
zetrachten zu können. Die Gestalt schien ihn 
zu⸗ fesseln; et trat einen Schritt näher. 
Helene verharrte noch immer in ihrer 
Stimmunt und Situation; sie überhörte das 
derantreten des Fremden.. 
2. Jetzt trat der Geschäfteführer, noch ei nen 
Schritt naher an die Gestalt heran;“ daß sein 
Schatten übei die Dasitzende“ we ghuschte und 
ich deutlich am Erddoden⸗ vor Helene mär⸗