Full text: St. Ingberter Anzeiger

kehrte, fand er Nina in derfelben Stellung, 
in der er sie verlassen, das Weinglas noch in 
der Hand haltend. Auch sein eigenes stand 
noch am gleichen Platze. Er nahm es und 
trat zu ihr. 
Has Klirren der Gläser könte durch's 
Zimmer, dann leerten sie beide auf einen 
Zug. 
Des Grafen Auge blitzte, er beugte sich 
vor und nahm ihr feines Spitzentuch aus der 
Tasche, um ein Stäubchen von dem Atlas⸗ 
fleide zu wischen, als er das leichte Gewebe 
jurückgab, begleitete es dat leexe Schäch⸗ 
telchen. 
Nun, Zephyr, wir reisen Morgen.“ 
„Ja, wir gehen.“ 
Während sie noch sprach, eilte sie zum 
Schreibtisjch, warf sehnell einige Zeilen hin, 
fiegelte hastig und hielt das Billet in der 
Hand. 
Er war froh, daß sie ihn nicht aufzalten 
X — 
„Adien nun, auf ku ze Weile, meine 
Nina.“ 
Lebewohl, Pedro,“ sprach fie langsam 
und feierlich, „lies das, wenn Du heim 
kommst.“ æ 
Ein kleines Geheimniß, Liebchen ?* 
Ja, ein Geheimniß, lebe wohl, Pedro.“ 
Er eilte fort, warf sich in die nächste 
Droschke und befahl zu Lawrence Lloyd uu 
fahren. 
„Ich friere,“ murmelte er, den Rock zu⸗ 
knöpfend, „es ist, als ob Blei in meinen 
Gliedern läge. Bin ich kindisch genug, mich 
über die Ereignisse der letzten halben Stunde 
zu alteriren ) 
Vor dem Hause des Banquier athmete er 
gierig frische Luft und glaudte die lästige Be⸗ 
klemmung verschwunden. 
's sind nur die Nerven, und doch ist's 
sonderbar, daß meine Füße so schwer find. 
Mübsam stieg er die Treppe hinan und 
bat den ihm in der Halle entgegentretenden 
Lakaien um ein Glas Wasser. 
„Euer Gnaden sollten lieber ein Glas 
Wein nehmen.“ 
Der Graf machte eine Geberde des Ab⸗ 
scheues. 
Mein, nein, mir ist, als koönne ich nie 
wieder Wein trinken, bringen Sie mir Wasser, 
eistaltes Wasser.“ 
Nachdem er es getrunken, betrat er die 
Bibliothek. ohne anzuklopfen. 
War es innerer Kampf oder Schrechken 
äber den ihn erwartenden Anblick, daß er 
taumelnd an der Thüre zusammenbrach? 
Jene hagere Gestalt an des Banquiers 
Seite erhob sich, Aug auf ihn zu und schüt ⸗ 
telte die grauen Haare von der bleichen Stirn. 
„Ah, Graf Lubin, endlich treffen wir uns 
wieder ! Gut, daß wir uns »gefunden, mein 
Freund, wenn auch nach Manger Zeit und 
unter sehr verschiedenen Verhältaissen. “ 
„Wer ist dieser Betrüger d dieser Wahn⸗ 
—IIEIRV 
sich Lubin an den Banquier. 
„Wer es ist ?“ ricf der Andere. „Graͤfliche 
Gnaden haben doch John Haughtsn nicht 
verg / ssen, John Haughton, der mit Ihnen den 
Luxus und die Bequemlichkeit eines sicilianischen 
Gefaͤngnifses theilte. Nicht wahr, mein Freund, 
wir haben ung wieder gefunden d Weißt Du, 
daß ich diese Stunde erfleht habe Jahre 
lang ꝛ: 
Wie ein wüthendes Thier siarrte der Gras 
um sich und wandte sich dann nach der Thüre. 
Aber die Füße versagten den Dieust, er sank 
in den nächsten Sessel. F 
Plöͤtzlich zuckte ein schrecklicher Verdacht 
durch seine Seele. Er zog das Billet aus der 
Tasche, riß es hastig auf und las es mit 
glühenden Augen. 
„Pedro, ich liebte Dich treu und innig. 
Habe ich Dich nicht aus dem Gefängnisse 
befreit, für Dich gearbeitet, gelitten ?) Du 
aber hast mich drei Mal betrogen. Ich weiß 
Alles. In jener Nacht verhall ich Genevra 
zur Flucht, ich keune ihren Ausenthalt, und 
Pedro — ich verwegselte die Gläser.“ 
Brüllend vor Anst und Wuth warf 
er das Blatt zur Erde. Nun war ihm Alles 
tlar. 
Zornglühend sprang er auf, sank zurüd 
uud fiel in Krämpfen auf den Boden. 
Die erschreckten Zuschauer kannten nun 
keine Rache mehr. Man sorgte für ihn mit 
Ullem, was der Reichthum bieten kann. Er 
starb nicht; die Dosis, weliche Zephyrs zarten 
Zörper vernichtet hätte, vermochte nicht die