Unterhaltungsblatt
St. Ingberter Anzeiger..“
zum
J —64 * *
Nr. 236. Donnerstag, den 23. Mär—
Das Wort des Vaterss.
Erzählung von Winhelm Müller.
len Blumen bedeckt; hier waliete noch die
Hand der Liebe; dieser Todte war noch nicht
dem Herzen, seiner Lieben gestorben ; das
rührte den Jüngling in seiner weichen Stim-
nung mächtig; er sehte sich zu dem Grabe
aiedere; er richtete die Blüthen empor, welche
die Hize des Tages wesenkt hatte, er lichtete
das emporkeimende Unkraut und freute sich
des schönen Blumenteppichs, ber den Schläfer
dort unten deckte. „Was machfi du da?“
ftagte plöhzlich eine sanfte Stimme. Martin
wandte das Antlitz; die sonderbare Fremde
stand vor ihm; sie war ˖ so hold und schön,
hre Züge so sanft und milde; dennoch schreckte
Martin, überrascht von der Erscheinung, zu⸗
rück und vermochte nur verlegen in deutscher
Sprache zu stammeln: „Ich richtete nur die
Blumen empor, welche Sturm und Winud ge—
heugt haben und reinigte das Grab von dem
vuchernden Unkraut.“ — „Ich danke dir.“
prach die Jungfrau freundlich, indem sie
zinen Wasserkrug von ihrem Haupte hob und
die Blumen zu begietßen vegann, „es ist das
Brab meiner Mutter,“ fügte sie mit bebeuden
Ldauten hinzu, „für welche du so freundliche
Theilnahme zeigst.“ Sie blickte noch einmakß
zu Martin empor und fragte dann :. Du bist
ein Deutscher d
Maariin bejahte die Frage; sie flusterte
betroffen und verlegen: „dann dist du wohl
auch nicht derjenige, der auf dem Wege zu
dem Gnadenbilde mich und mein Gebet ver⸗
IX
„O, wie löonnte ich das,“ rick Martin
eifrig. welcher gute Mensch. vernag der
frommen Erhebung eines andern zu« spotten
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EcUKortfetzung.
Die Fremde erschieaͤ dem Jüngliug wie
ein räthselhaftes Doppelwesen; als er sie auf—
der Wollfahrt ansprach, antwortete sie ihm
in dem reinsten Italienisch; nach ihrem Ge⸗
sange, der wohl mehr als das Gebet eines
dedrängten Herzens war, schien sie eine Teutsche
zu fein. Untheilnehmend, stolz und kalt er⸗
schien sie damals, so daß sie fast die Benen⸗
tung der Spötter: „das Marmorbild“ vers
diente; hier an dem einsamen Brunnen waren
ihre Züge fanft und milde. Mit ihrem Bilde
in Herzen war Martin nach dem FJlecken
zurückgekehrt; nahe wordem Thore: lag der
Friedhof. In dieser Stimmung, mochte er
soch nicht in das geräuschvolle Wirthshaus
zurückkehren, et betrat daher die Stätte der
Ruhenden. Wer weilt gern zur nächtlichen
Stunde in der Nähe der Todten? So war
der Friedhof einsam und von Lebenden ver⸗
laffen; Martin wandelte zwischen den Grä⸗—
bern umher, die zwiefach ein traurig s Bild
der Vergänglichkeit darstellten, denn die meisten
waren verfallen und eingestürzt; hier und da
caschelte wohl noch ein längst verdorrter
sKtranz an einem gefenkten Kreuz und verrieth
nur, daß die Trauer um den Todten längst
geendet hatte. Ach, so lange das Herz unoch
lebenswarm und kräftig in der Bruit schlägt,
hat der Mensch ein gar kurzes Gedächtniß
für diejenigen, die in der Eede schlummern.
Rur ein Grab fand er mit sorgfaltig gepfleg⸗