Full text: St. Ingberter Anzeiger

—Anterhaltungsblatt 
St. Jugberter Anzeiger. 
zum 
Nr. G6. * 53*6* Dienstag, den B. Mai 
Die Vrüder. 
Original⸗Novelle von Ewald August König. 
quickliches Thema, ich rede nicht gerne darüber, 
weil es alte Erinnerungen in mir erwedt, 
die ich lieber für immer vergessen möchte.“ 
Der Eintritt der Gäste, welche mit vielem 
Geräusch einen Tisch bestzten und Wein ver⸗ 
lannten, brach das Gespräch ab. 
Der Baron forderte eine zweite Flasche 
und füllte die Gläser wieder. Grübeln Sie 
meinen Worten nicht nach,“ hob er nach einer 
lleinen Pause wieder an,“ „die Erfahrungen, 
welche ich machen mußle, haben mich erbittert. 
unde wenn sich mir einmal die Gelegenhert 
bietet, dem Groll und Haß Lust ma hen zu 
können, dann nehme ich's mit meinen Worten 
eben nicht genuu.“ 
Boͤlling fühlte sich durch diese Entschuldi⸗ 
gung beruhigt und die Frende darüber ver⸗ 
leitele ihn, gegen seine Gewohnheit dem Glase 
eißig zuzuspreche. 
Die übrigen Gäste hatten inzwischen ein 
Hazardĩpiel arrangirt. Sie schienen den besseren 
Staänden der Gesellschaft anzugehören. ihre 
feine elegante Kleidung, wie die theils intelli⸗ 
gerten theils blasizten Züge ließen dies ver 
muthen.“ 
Der Baron erhob sich und sah dem 
Spiele zu. Auch Bolling, dem der Wein 
bereits zu Kopfe slieg, stand von sinem Tische 
auf und näherte sih dem Sp.eltische. 
Eine bessere. Gelegenheit, die Fest'gkeit 
Ihtes Willens und Charakters zu prüfen, 
finden Sie sobald nicht wieder,“ flüsterte der 
Baron feinem Reisegefährten zu. „Was hält 
Sie ab davon? Sollen wir's einmal wagen *7. 
Der Gutsbesitzer zöͤgerte. Ein Blick des Barons 
in welchem kan leiser Hohn spiegelte, ließ ihn 
(Fortisetzung.) 
Und doch weiß ich nicht, welche Heirath 
die bessere ist,“ fuhn der Baron fort. „Liebe! 
Was ist Liebe! Ich glaube nicht mehr an sie, 
und die Frauen, lieber Bölling, setzen sich am 
leichtesten über hohlee: Liebesphrafen himweg. 
Haben Sie je gehört, daß eine Wittwe- ihrem 
Manne nachgetrauert hat, bis ihr das Herz 
vor Gram gebrochen ist ?? 
Sie müssen bittre Erfahrungen gemacht 
haben.“ erwiderte Bölling, „in Ihren Worten 
drüctt sich ein Haß gegen das zartere Geschlecht 
aus, den ich nicht billigen kann.· 
„Freilich nicht, wel Sie an Liebe und 
Treue noch glauben.“ fuhr der Baron fort, 
—XL 
so höhnisch, daß Bölling sich in tiesster Seele 
berletzt fühlte. 
Iqch glaube daran und Sie werden zu⸗ 
geben müssen, daß ich bis Izt noch keinen 
Grund habe, an Ihnen zu zweifeln — 
Ein vilsagendes Achselzucken war die 
einzige Antwort des Barons. Er erhob sich 
und trat aus Fenster. Dies Schweigen war 
dem Gutsbesitzer peinlich — besaß der Baron 
wirklich Bewe.se für seine Behauprung ẽ Hatte 
er Grüude, an der Treue Hrlenen's zu ihrem 
Gatten zu zweifeln? Bei dem Gedauken daran, 
daß dem also sein könne, zitterte Bölling. 
„Brechen wir das Thema ab, dort lommen 
Gäste,“ verictzte der Baron, während. er sich 
wieder hiufetzte. „Es aist überhaupt ein uher⸗ 
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