Full text: St. Ingberter Anzeiger

Aem in Arm schritten die beiden Gegner, 
begleitet von den Secundanten, durch den 
Wald und die grünenden Saatfelder. 
Es war bereits nahe am Mittag, als die 
Herren in die Stadt zurückehrten. Der Frei⸗ 
herr war ein jovialer, liebenswürdiger Wirth, 
der Wein feurig uund rein, die Unterhaltung 
witzig und geistreich, — Gruud genug, deu 
Augzenblick des Aufbru hs von Stunde zu 
Stunde zu verschieben. 
Siebentes Kapitel. 
Das Erwachen zum Leben. 
Barbara versank, nachdem der Baron sie 
derlassen hatte, in Nachdenken. Die Worte: 
„Die zarte Blume gedeiht nicht in hartem, 
jelgem Boden, fie läßt das Köpfchen hängen 
und welkt langsam hin,“ klangen immer und 
mmer wieder in ihren Ohren. Ihr war, als 
habe plötzlich die Hand eine? Freundes den 
Schleier forigezogen, der vor ihren Augen 
hing, als sehe sie erst jetzt einen Abgrund zu 
— 
stürzen mußte. 
Das feine, höfliche Wesen des Barons, 
der sympathische Klang seiner Stimme, der 
seelenbolle Blick seiner großen, herrlichen Augen 
der sanfte Druck seiner Hand, die Theilnahme, 
welche er bezeigte, als er zart und schonend 
indeutete, daß sie sich an der Seite eines 
sähzornigen Mannes nie glücklich fühlen wer⸗ 
den, das Alles hatte auf das Herz des 
Mädchens einen tiefen, nnaus löschlichen Ein⸗ 
druck gemacht. Stellte sie jenen Mann neben 
ihren Verlobten, wie sehr verlor der Letztere 
bei diesem Vergleich! Ungebildet, ohne Sinn 
für das Schöne und Edle, dabei ein Sklave 
jeiner Leidenschaften, eigensinnig und jähzornig 
ohne Gefühl für fremdes Leben, Barbara 
tonnte nicht begreifen, daß sie all' diese Fehler 
aicht früher entdeckt hatte. Und, die Hand 
auf's Herz gelegt, liebte sie ihn wirklich so 
innig, so treu, wie sie bisher geglaubt hatte? 
Wer vermag zu sagen, was in der 
Seele des Mädchens in den Stunden dieser 
Racht vorging ? Nur eins trat aus dem 
Thaos ihrer Gedanken klar hervor; — sie 
war derlobt, sie mußte kesthalten an dem 
—„chwur, den sie freiwillig, damals mit freud⸗ 
gem Herzen, vor Gott und dem Verlobten 
abgelegt hatte, sie mußkte sich schweigend und 
geduldig fügen in das Joch, welches dieser 
Schwur ihr auferlegte. 
„Ich bedaure, daß Sie Ihr Herz an 
einen so rohen, ungebildeten Menschen wegge⸗ 
wörfen haben.“ Was hatte der Baron mit 
diesen Worten gewollt? Lag ihnen ein tiefe— 
rer Sinn zu Grunde, als wohlwollende Theil⸗ 
nahme ? Barbara wußte es nicht, sie entsann 
sich des Blickegßz, der aus den Augen des 
Barons bei jenen Worten sie traf, und ein 
schmerzlicher Seufzer entrang sich ihrer be⸗ 
klommenen Brust. 
Am Morgen nach dieser Nacht, gleich nach 
dem Frühstück, ging Barbara zur Wittwe Kraus, 
im ihr die freudige Botschaft des Barons 
nitzutheilen. Die alte Frau war einer Ohn⸗ 
nacht nahe. Der plötzliche Uebergang aus 
»er dunklen Nacht des Grams in den hellen 
ounigen Tag der Freude kam ihr zu rasch, 
zu unerwartet. 
Barbara bat sie, sich gegen Abend in ihrer 
Wohnung einzufinden, Hugo werde auch 
dommen, doch wünsche sie, daß er nichts von 
dem Besuch des Barons erfahre. Die alte 
Frau fragte nicht nach dem Grunde dieses 
Wunsches, sie versprach, demselben nachzu⸗ 
vommen. 
Als Barbara in ihre Wohnung zurück⸗ 
kehrte, übergab ihr der Hauseigenthümer einen 
Brief, der, wie jener sagte, vor einer Viertel⸗ 
stunde für sie angekommen war. 
Das Mädchen kaunnte die Handschrift 
nicht, neugierig erbrach es das Siegel, und 
sein Erstaunen wuchs, als es folgende Zeilen 
las: 
„Meine theure Barbara! Gestatten Sie 
mir, daß ich Sie so nenne, denn wenn Sie 
diesen Brief empfangen, habe ich für immer 
Abschied von Ihnen genommen. Wie kam es 
doch, daß mein Herz Ihnen gehörte, vom 
ersten Augenblicke an, in welchem ich Sie 
sah? — Lassen Sie mich schweigen von der 
unnennbaren Sehnsucht, welche mich zu Ihnen 
hinzieht, von dem Kampfe, der in meiner 
Setle tobt. Sie sind ja die Braut eines 
Andern, und ich — ich muß dem Paradiese 
rentsagen, nachdem ich kaum einen Blick hinein⸗