Full text: St. Ingberter Anzeiger

hatte geschworen, dem Gatten in Lust und 
Leid treu zu bleiben, sie wollte diesen Schwur 
halten. JIctzt kam die Zeit der Prüfung, die 
Zeit, in der ihre Liebe sich bewähren sollte. — 
Bölling trat gleich, nachdem Steffens das 
Zimmer verlassen hatte, ein. Helene ging ihm 
entgegen, sie machte ihm keinen Vorwurf. 
„Und bleibt uns nichts,“ flüsterte sie, „so 
bleibt uns doch unsere Liebe. So lange der 
gütige Vater dort oben uns beisammen läßt, 
wollen wir nicht gegen seinen Willen murren!“ 
Ein heller Sonnenstrahl des Glücks fiel 
in die Nacht der Verzweiflung, welche über 
der Seele Bblling's lagerte. Noch nie hatte 
er zuvor so tief in das Herz seines Weibes 
geblickt, in welchem das Unglück auf ihn ein— 
stürmte, sollte er den Schatz, den reichen un⸗ 
erschöpflichen Schatz kennen lernen, den er 
besaß, den Niemand ihm rauben konnte, Er 
schloß sie gerührt an seine Brust, Muth und 
Selbstvertrauen kehrten wieder. 
„Dank, tausend Dant für diese Worte!“ 
sagte er, indem er Stirne nund Lippen Hele⸗ 
nens mit glühenden Küssen bedeckte. „Dank 
aber auch dem Himmel, der Dich mir gege⸗ 
hen hat!“ 
Helene entwandt sich sanft den Armen 
des Gatten. „So bleibt uns Nichts?“ fragte 
sie sanft und ohne Vorwurf. 
.Nichts!“ erwiderte Bölling düster. „Ich 
habe den Baron gebeten, er möge mir nur 
soviel lassen, daß ich ein anderes Gut pachten 
ftönne —“ 
„Bitte nicht, er ist der Bitte nicht werth,“ 
siel Helene ihm in's Wort, „ich werde meinen 
Schmuck, meine Garderobe, Alles was ich 
entbehren kann, verkaufen, Du pachtest ein 
kleines Gut, wir arbeiten sobiel wir vermögen, 
bis das Gut unser ist, und begnügen uns 
mit dem, was wir haben. Man kann ja auch 
mit Wenigem zufrieden und glücklich sein.“ 
„Man kann es, aber wirst Du auch den 
Muth haben, den Spott der Welt zu ertragen, 
die unserm Stand eher ein Verbrechen, denn 
Verarmung verzeiht! Wirst Du bei dem Ge⸗ 
danken an die Vergangenheit nicht muthlos 
werden und mit dem Geschick hadern?“ 
„Ich werde stark sein,“ erwiderte Helene 
ruhig, stark in Deiner Liebe, fest an dem 
Blauben halten, daß ich glücklich bin und ver⸗ 
gessen, daß ich einst reich war.“ 
„So sei es denn, wandern wir die schwere 
Bahn des Entsagens,“ entgegnete Bölling, 
indem er die Gattin umarmte und einen 
duß auf ihre Stirn drückte. „Ich muß für 
ꝛinige Tage scheiden,“ fuhr er nach einer 
Pause fort, „es gilt einen letzzen Gang, doch 
Jabe ich nur geringe Hoffnung, daß ich meinen 
Zweck erreichen werde. Der Baron hat uns 
eine Frist von acht Tagen gelassen, er wird 
zeute noch abreisen und erst nach dieser Frist 
zurückkehren. Bereite Dich also darauf vor, 
daß wir alsdann das Gut verlassen köunen.“ 
Er ging, er nahm den Weg durch den 
Garten, ein Diener wartete mit dem gesat⸗ 
telten Reitpferde, Bölling schwang sich hinauf, 
zrüßte noch einmal hinüber nach dem Fenster, 
mn welchem Helene stand und ritt dann in 
charfem Trabe davon — — — 
In derselben Stunde saß Barbara in dem 
reizenden Stübchen eines kleinen Landhäuschens, 
velches nase bei dem Gute lag, vor dem 
Stickrahmen. Sie war erst am Tage vorher 
in diese kleine trauliche Wohnung eingezogen, 
velches der Baron für die Dauer eines 
Monates von dem Eigenthümer gemiethet 
hatte. Trotz der eleganten Einrichtung, konnte 
das Mädchen sich hier nicht so recht heimisch 
fühlen, es wußte ja, daß der Aufenthalt hier 
aur ein vorübergehender war. Nichts macht 
dem Menschen die fremde Stätte rascher 
Jeimisch, als wenn seine Augen auf bekannien 
Begenständen rnhen, wenn er auch hier alten 
iebgewonnenen Gewohnheiten und Verricht⸗ 
ingen sich hingeben kann. — So nahm deun 
Barbara gleich am nächsten Morgen den 
Stickrahmen zur Hand, öfter denn je ruhte 
ihr Blick auf dem Kanarienvogel und bald 
gewöhnte sie sich an die fremde Umgebung. 
Setzt den Armen in ein Haus voll Pracht 
und Luxus er wird sich nie so heimisch darin 
ühlen, wie er es in seiner Hütie war, aber 
gebt ihm seinen Webstuhl mit, daß er arbeiten 
lann, daß er einen Zeugen seiner Vergangen⸗ 
heit um sich hat, dann wird er sich rasch in 
die neue Umgebung finden. 
Seltsam, aber wahr! Wer allmählig sich 
zum Wohlstande, zum Reichthum emporarbeitet 
den wird inmitten seines Reichthums nie ein