Georg hatte sich wieder in den Sessel ge⸗
setzt, sein Blick ruhte fest und unverwandt auf
dem alten Herrn.
„Dank dir, gütiger Himmel, daß du meine
Bitte erhört hast!“ murmelte der Bankier;
„ich soll sie wiedersehen, sie, die ich nie ver⸗
gessen konnte! — Woder haben Sie diesen
Zettel?“ fragte er hastig.
„Von meiner Braut.“
„Wie heißt das Mädchen?“
.Barbara Winter.“
„Barbara Winter,“ wiederholte der Ban⸗—
fier leise. „Wo wohnt sie? Heißt ihre Mut⸗
ser nicht Marie?“
„Wie ihre Mutter hieß, weiß ich nicht,
sie siarb gleich nach der Geburt ihres Kin⸗
des, der Treubruch ihrers Verführers hat ihr
das Herz gebrochen.“ —
Der Commerzieprath ließ das graue Haupt
tief auf die Brust sinken. „Kein Mensch weiß
es, wie lieb ich sie gehabt habe,“ sagte er,
den Blick träumerisch auf das Medaillon ge⸗
heftet, an welches sich für ihn gewiß manche
süße Erinnerung knüpfte. „Sie war der einzige
Stern, der auf meinen Lebenspfad sein mildes
dicht ergoß; als ich ihr entsagen mußte, er⸗
losch dieser Stern, er hat seitdem mir nie
wieder gestrahlt. Ich wußte, daß sie das
Pfand unserer Liebe unter dem Herzen trug,
aber all' meine Nachforschungen nach ihr und
dem Kinde blieben ohne Refultat. Als meine
Gattin mir im zweiten Jahre unserer Ehe eine
Tochter schenkte, konnte ich mich des Kindes
aicht so recht freuen, ich mußte stets an das
arme verlassene Geschöpf denken, welches ver⸗
geblich die Aermchen nach dem Vater aus—
streckte und nur in die thränenfenchten Augen
der freud; und trostlosen Mutter blicken durfte.
Jetzt aber, mein Herr, nachdem der Himmel
mir dieses Kind zurückgegeben hat, will ich
mit verdoppelter Liebe ihm die Tage des
Grams und des Elends vergelten —“
„Zu spät!“ fiel Georg dem bebenden
Manne in's Wort.
„Barbara ist meine Braut, sie bedarf der
Liebe des Vaters nicht mehr!“
Der Commerzienrath schreckte aus seinen
Träumen auf. „Ihre Braut?“ erwiderte er.
„Glauben Sie, ich lasse mir mein Kind so
ohne Weiteres wieder entreißen? Entsagen Sie
nur der Hoffnung auf diese Verbindung, einem
zestraften Verbrecher werde ich die Hand
meiner Tochter niemals geben!“
Georg richtete sich stolz auf. Ich erinnere
nich, daß der Mann, welcher mir dieß sagt,
ein Verbrechen beging, um die Ehre eines
Menschen zu vernichten, weil dieser die Frech⸗
heit gehabt hatte, die Augen zu seiner Toch—
er zu erheben,“ entgegnete er mit eisiger
Zälte. „Leben Sie wohl, Herr Commerzienrach,
wischen Ihnen und mir liegt eine Kluft,
velche Ihr Stolz unübersteigbar macht.“
Er wandte dem Bantier stolz den Rücken
und ging zur Thür hinaus. In dem Augen⸗
blicke, in welchem er diese öffnete, sah er sich
seinem Bruder gegenüber.
Vierzehntes Kapitel.
Die Begegnung .
Der Förster war in Begleitung des Ame—
rikaners un verzüglich auf das Gut Bölling's
zeeilt, wo er seinen Bruder zu finden hoffte,
Er traf erst am Abend des Tages ein, an
velchem Georg das Gut verlassen hatte. Die
Erkundigungen, welche er bei der Dienerschaft
unstellte, blieben ohne Erfolg, Steffens, der,
vie Hugo sofort bemerkte, dem Baron nichts
veniger als geneigt war, konnte seine Auskunft
gjeben, welche irgend einen Anhaltspunkt bot.
Von einem Mädchen, welches der Baron mit⸗
zebracht haben sollte, wußte er ebensowenig
twas. Unverzüglich tral der Förster seinen
Rückweg an. Sein Instinkt sagte ihm, daß
Beorg in seine Vaterstadt zurückgekehrt war,
sei es, um die Mutter zur Mitreise nach
Amerika zu überreden, oder um die Angele⸗
zenheiten Barbara's zuvor in Ordnnng zu
zringen. Daß Barbara nicht mitgekommen
var, mußte ihn in dieser Vermuthung bestär—⸗
ken, jedenfalls weilte das Mädchen noch in
ener Stadt, es hatte nur die Wohnung ge⸗
vechselt für den Fall, daß der frühere Bräutigam
zurückkehre.
Der Wagen, welcher die Beiden zum Gute
gebracht hatte, wartete noch, der Kuischer
ränkte das Pferd. Hugo stieg ein, winkte
dem Amerikaner schweigend, ihm zu folgen, und
befahl dem Kutscher, augenblicklich abzufahren.