Full text: St. Ingberter Anzeiger

mit Fragen und ließen nicht ab, bis der 
Commetzienrath ihre Neugierde befriedigt hatse. 
Rur eins überging er mit Stillschweigen, die 
Mtcheilungen, welche Georg ihm über seine 
Jugendgeliebte gemacht hatte. 
„Glaubt der Arzt, den Verwundeten 
retten zu können?“ fragte Bölling, als der 
Bankier zu Ende war. 
Der alte Herr zuckte die Achseln. „Die 
Kugel hat keine edlen Theile verletzt,“ er⸗ 
piderte er, „aber bevor das Wundfieber nach⸗ 
läßt, kann der Arzt nichts Bestimmtes sagen. 
Ich konnte mich nur sehr wenig um ihn 
Fümmern, denn am Tage nach jenem 
Vorfalle hatte ich mit der Uebernahme meines 
dauses und Geschäfts genug zu thun, dazu 
egte mir der Assessor Waldau noch alle 
möglichen Schwierigkeiten in den Weg und 
dut' mit Mühe gelang es mir, endlich mit dem 
Schurken, der mir mein Eigenthum Zoll für Zoll 
streitig machte, ins Reine zu kommen. Die 
Beiden hofften auf den Tod des jungen 
Mannes, starb dieser, dann Lonnte ich ihnen 
nichts mehr anhaben.“ 
„Jetzt also bist Du wieder Chef des 
Bankhauses „Weber und Compagnie“? fragte 
Helene lächelnd. 
Der Commerzienrath sah eine Weile 
schweigend vor sich hin, er erinnerte sich viel⸗ 
leicht der Zeit, in welcher sein Name als 
Stern erster Größe an dem Firmament der 
deutschen Handelsbörse glänzte. Wie rasch war 
dieser Stern erlofchen! — Gewissermaßen 
ja,“ entgegnete er, „aber ich werde liqui— 
diren!“ 
„Liquidiren ?“ fragte Bolling erstaunt. 
Bei Licht betrachtet, kann ich nichts 
Besseres thun“, fuhr der alte Herr fort. „Das 
Doppelfalliment und die unglückliche Speku⸗ 
lation haben das Vertrauen zu meiner Firma 
erschüttert, und ich mag operiren, wie ich 
wili, es kehrt nie zurück. Ich habe dem Ge⸗ 
chaftspersonal meinen Entschluß bereits kund 
zethan und den Auftrag zum Druck des Cir⸗ 
rularschreibens gegeben; in längstens vier 
Wochen wird die ganze Geschichte abgewickelt 
sein.“ 
„Und dann kommst Du hierher zu uns. 
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Druch und Verlag von F. X. Demesb in St. Ingbert. 
Bater,“ bat Helene, „hier auf dem Lande, 
im Kreise Deiner Kindern, wirst Du Dich 
wohl fühlen.“ 
Nein, nein,“ unterbrach der Commerzien⸗ 
cath entschieden, „ich bleibe in der Stadt. 
Finestheils bin ich zu sehr an das geräusch— 
olle Leben gewöhut, Theater und Konzerte 
vürde ich nicht gut entbehren können, andern⸗ 
heils sollen meine Bekannten nicht die Nase 
ümpfen und sagen, ich habe aus dem Schiff · 
zruch nur das nackte Leben gerettet und müsse 
deßhalb mich in eine Einsiedelei verkriechen. 
Ich'will nicht sagen, daß nach zwei oder 
zrei Jahren ich auf Dein Anerbieten nicht 
urückkommen werde, ich weiß, wenn ·˖ ich 
omme, empfangt ihr mich mit offenen Armen.“ —. 
Ein Diener trat in diesem Augenblick ein 
uind meldete, ein junges Mädchen wünsche 
mit der gnädigen Frau zu reden. 
„Sie mag eintreten,“ versetzte Bölling, 
„oder erwartest Du sie ? Hast Du etwa kleine 
Toilettegeschäfite mit ihr zu verhandeln ?* 
Helene verneinte lächelnd. 
Als Barbara eintrat, blickte der Commer⸗ 
ienrath, * welcher der Thüre den Rücken ge⸗ 
vandt hatte, sich um. Das bleiche, Antlitz 
zes Mädchens, in welchem Sorge und 
Seelenangst sich spiegelten, machten auf iha 
inen tiesen Eindruck. Noch in späteren Jahren 
rinnerte er sich oft des Augenblicks, in 
velchem er seiner Tochter, ohne sie zu kennen, 
uum erstenmal begegnet war. 
Helene bat das Mädchen, sich zu setzen; 
Barbara schüttelte traurig den Kopf, „Ich 
veiß nicht, ob mein Bräutigam Ihnen meinen 
Ktamen genannt hat,“ sagte sie, „ich heiße 
Barbara Winter.“ 
Der Commerzienrath sprang von seinem 
Sitze auf, seine Knie bebten und Leiche nblässe 
iberzog seine Wangen. „Barbara, mein Kind,“ 
rief er, die Arme ausbreitend, „komm an 
das Herz deines Vaters!“ 
Fortsetzung folgt.) 
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