Full text: St. Ingberter Anzeiger

Helene willig seine Schätze, für Barbara da⸗ 
gegen sein Lreben geopfert. Stundenlang konnte 
er vor dem Mädchen sitzen, in das höitere 
Antl'tz schauen, in welchem die Seligkeit einer 
glückich liebenden Seele sich spiegelte, und 
ftill kür sich hinträumen. Und diesen kaum 
gefundenen Schatz, der ihn im spaäten Alter 
wieder verjüugte, der ihm jeden Tag, jede 
Stunde neue Freuden bereitete, follie er wie⸗ 
der von sich werfen? — Nimmermehr! Lieber 
hätte er Allem entsagt, lieber wäre er am 
Bettelstabe in die Welt hinausgewandert, wenn 
ihm nur dieser Schatz blieb! 
Während Georg unter der Pflege seiner 
Mutter und Barbara's von Tag zu Tag sich 
erholte, so daß er schon nach einigen Wochen 
im Treibhause des zukünftigen Schwiegervaters 
sich ergehen konnte, ohne der Stütze zu be— 
dürfen, führte der Commerzienrath im Stillen 
den längst beschlossenen Plan aus. Er ver— 
kaufte sein Haus unter der Bedingung, daß 
er bis zum Frühjahr es noch bewohnen durfte, 
theilte sein Vermögen in zwei gleichen Hälf—⸗ 
den und benutzte eine derselben zum Antaus 
eines Landguts, welches ganz in der Nähe der 
Besitzung Böllings lag. 
Bolling war in den Plan eingeweiht, und 
wenn er auch Anfangs gegen den neuen 
Schwager Bedenklichkeiten zu äußern wagle, 
der feste, entschiedene Wille seines Schwieger⸗ 
daters beseitigte diese Bedenklichkeit bald. Sein 
erstes Zusammentreffen mit Georg war kalt, 
ceremoniell, aber die Herzlichkeit des jungen 
Mannxs, seine lebendige, fesselnde Unterhaltung 
und vor Allem das liebenswürdige, herzge⸗ 
winnende Entgegenkommen Bardara's ließ ihn 
rasch vergessen, mit welchen Vorsätzen er sich 
zu diesem durch die Convenienz gebotenen 
Besuch bequemt hatte. — Auch Helene fühlte 
sich bald zu ihrer Stiefschwester hingezogen, 
und mit stiller Freude sah der Commerzien⸗ 
rath, wie herrlich Liebe und Eintracht in sei⸗ 
nem Familienkreise sich euntfglteten. 
Geourg war bald wieder genesen. Als er 
eines Morgens die Bemerkung fallen ließ, es 
werde Zeit sein, daß er sich nach seinem 
Gütchen umsehe, bat der alte Herr ihn, die 
Ordrung dieser Angeleg nheit ihm zu über— 
assen. Georg wollte dieses Anerbieten zurück⸗ 
weisen mit der Bemerkung, der Commerzien⸗ 
rath habe bereits genug für ihn gethan⸗ 
„Glauben Sie, so leicht meiner sich ent⸗ 
sedigin zu können?“ fragte der Bankier. 
‚Wer die Tochter nimmt, muß den Vater 
mit in den Kauf nehmen und damit Sie 
nicht lange über den Sinn dieser Worte im 
Intlaren sind, erkläre ich Ihnen, daß ich 
Barbara nicht verlassen werde, bis eine höhere 
Macht mich dazu zwingt.“ 
Weder Georg noch Barbara fanden gegen 
diese Erklärung eiwas einzuwenden, sie hatten 
den alten Mann, der jeden ihrer Wünsche 
erfüllte, der mit der Aengstlichteit eines be⸗ 
sorgten Vaters über ihre Schritte wochte, 
ieb gewonnen, sie waren überzeugt, daß er 
hr Glück nicht stören, daß seine Anwesenheit 
bdielmehr dasfelbe nur erhöhen werde. 
Die Mutter Georg's nahm an dem Glücke 
hres Sohnes innigen Antheil, aber eine 
Wolke trübte ihre Freude, wenn sie an Hugo 
zachte, der seit seiner Flucht verschollen 
war. 
Die Hochzeit wurde in den ersten Tagen 
des Monats Mai gefeiert. Noch vor diesem 
Festtage erlebte der Commerzienraih die Ge⸗ 
rugthuung, dak der Assessor, verschiedener 
Unterschleife überführt, aus dem Staatsdienste 
ntlassen wurde. Helmes hatte die Stadt ver⸗ 
assen vnd im Norden Deutschlands eine neue 
deimath gesucht. Ei stand dort an der Spitze 
eines pietistishen Vereins und suchte sich durch 
mausgesetzte Verkehrungsversuche der Mensch- 
jeit nützlich zu machen. Seine Verdienste 
vurden nicht anerkannt, nur ein kleines Häuf⸗ 
ein jener Auserlesenen stand treu zu ihm, 
uind auch diese verließen ihn, als sie durch 
dist und Räuke ihm den letzten Pfennig zu 
nildthätigen Zwecken aus der Tasche geleckt 
hatten. Er sah sich genöth'igi, seine Füße wieder 
uinter fremder Leute T sch zu strecken; diesmal 
aber nidet in der Eigenschaft des ersten Buch- 
halters eines bedeutenden Banthausis, sondern 
in der bescheidenen Stellung des Ausläufers 
eines Speditionsgeschäfts. — — 
Die Hochzeit wurde im Hause des Com⸗ 
merzienrathes mit seltener Pracht gefeiert, 
der alte Herr hatte dabei einen doppelten Zweck 
im Auge, einmal die Hochzeit seines Kindes,