Anterhaltungsblatt
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St. Ingberter Anzeiger.
D. Dienstag, den 20. Juni
1871.
Die Brüder.
Driginal-Novelle von Ewald August König.
beiden Frauen waren beschästigt, die jüngere
zähte, die ältere strickte, während der Greis
till für sich hinträumte. Wohl mochte er im
Beiste die Tage seiner eigenen Kindheit noch
einmal durchwandern, jene Tage, die so rasch
utschwinden und oft so heiß zurückersehnt
verden. Es war eine reizende Idylle. Früh—
ing, Sommer und Winter des Menschenle⸗
dens waren in dieser Gruppe vereint und
den Rahmen bildete eine blühende, lachende
dandschaft.
Ein Reiter ritt langsam den Weg entlang,
)er über die Wiesen zum Gute führte, jubelnd
ilten die Kinder ihm entgegen. Er stieg ab,
zab das Pferd einem Knechte und trat auf
den Rasen. Wer hätte in ihm, dem kräftigen
hönen Manne, mit den gebräunten Wangen
enen siechen Jüngling wieder erkannt, der
damals, wie der alte Steffens treffend be—
nerkte, eher einem Todeskandidaten, denn
einem glücklichen Bräutigam glich! Georg hob
die Kinder eines nach dem andern zu sich
mpor, küßte sie und zog dann die junge Frau
an seine Brust.
„Da bin ich wieder,“ sagte er, „wir ha⸗
hen unsern Zweck vollständig erreicht.“
Der Greis stand auf und näherte sich
„Unter welchen Bedingungen?“ fragte er.
„Unter Bedingungen, wie wir sie nicht
zesser wünschen können, Vater,“ fuhr Georg
iort, „die Schule wird auf Kosten des Staates
gebaut, wir müssen die Besoldung des Schul⸗
ehrers übernehmen.“
„Bölling und Du?“ fragte Barbara.
Nein, wir, die Grundbesttzer der ganzen
Umgegend. Wir zählen sechs⸗ his achtunddreißig
Schluß.)
Zehn Jahre waren seit der Hochzelt Georg's
verstrichen. Zehn Jahre! Fürwahr, eine qual⸗
volle Ewigkeit für den, der täglich, ja stünd⸗
sich der Armuth in's Auge schaut, der in
sedem Winkel seiner armseligen Hütte die Sorge
lauern sieht; eine Ewigkeit für den Gefan—
genen, in dessen Zelle kein Sonnenstrahl fällt,
der nur durch den mürrischen Schließer er—
fährt, ob draußen Frühling oder Winter ist.
Aber ein Augenblick nur sind sie dem Glück⸗
licher, ein kurzer, flüchtiger Augenblick, ein
Traum voll Sonnenschein und Blüthenduft.
Ungefähr eine Viertelstunde von dem Gute
Bölling's entfernt lag die reizende Besitzung
Georg's. Sie lag inmilten blühender Gärten
und üppiger Wiesen, begrenzt bon wogenden
Saatfeldern und dichten Wäldern. Der letzte
Strahl der Sonne ruhte auf den Gipfeln
der Berge, er ergoß ein Lichtmeer über die
Wipfel des Waldes, ein glühendes, purpur—
farbenes Lichtmeer, in welchem der Reiher mit
stolzer Majestät seine Kreise zog. — Vor der
Thüre des zierlichen, geschmackvoll gebauten
Wohnhauses, an dessen Wand ein Weinstock
hinaufrankte, saß ein Greis, dessen Blick
mit Wohlgefallen auf den beiden Kindern
ruhte, welche in lustiger Ausgelassenheit sich
auf dem Rasen tummelten. Eine junge, hübsche
Frau, welche das dreißigste Jahr kaum über⸗
schritten hatte, saß an der anderen Seite der
Thüre, ihr zur Seite eine Matroöne. Die