wenn Euch die Gewißheit würde, daß die
Kugel ihn nicht tödtete. —
„Ich wollte ihn auf den Kaieen um Ver—⸗
zeihung bitten“ —
„Ihr würdet den alten ungerechten Haß
tilgen, auch dann, wenn Ihr Eure Braut als
seine Gattin wiederfändet ?“
Der Beitler schwieg; hier haftete sein Blick
auf dem Redenden.
„Hugo,“ rief jetzt Georg, die Arme aus⸗
breitend, „sieh hier Deinen Bruder, sieh dort
Deine Mutter! Wir haben Dir veigeben,
willst Du unser Glück mit uns theilen, sollst
Du willkommen sein.“
Der Bettler hatte das Haupt erhoben;
die Augen weit geöffnet starrte er seinen
Bruder an, als ob ein Gespenst vor ihm aus
dem Boden aufgetaucht sei, dann sank er mit
einem Schrei auf den Rasen nieder. Die
Mutter eilte hinzu, Georg beugte sich über
den Unglücklichen, ein Schlagfluß hatte ihn
getroffen. Noch war das Leben nicht gewichen,
Georg ließ den Bruder ins Haus bringen
und befahl einem Knecht unverzüglich in die
Stadt zu reiten und einen Arzt zu holen. —
Zu spät, der Schlaganfall wiederholte sich;
noch einmal drückte Hugo dem Bruder und
der weinenden Mutter die Hand, mit den
Worten: „Es ist vorbei, Gott segne Euch!“
hauchte er seinen Geist aus.
„Ich wußte es,“ sagte die Mutter leise,
indem sie die Augen des Todten schloß, „Du
mußtest vor Deinem Tode doch einmal zurück⸗
kehren und mir die Gewißheit geben, daß
der Haß in Deinem Herzen getilgt war. Eine
innere Stimme sagte es mir, ich habe nur
auf Dich gewartet, nun weiß ich, daß auch
meine Stunde bald schlagen wird.“
Niemand hörte diese Worte, nur der
Todesengel, der zu Haupten der Leiche saß,
vernahm sie.
Und als der Herbst die Blumen tödtete
und die Bäume ihres Schmuckes entkleidete,
trug man auch die alte Frau hinaus zum
Friedhofe, ihr Leben war eine lange, bittere
Schule des Leidens.
Der Commerzienrath hielt sich tapfer, wie
Steffens, der auf dem Gute Georgs das
Gnadenbrod aß und dafür den Enkeln seines
früheren Herrn tagtäglich ein Stück Biographie
seines zu den Vätern versammelten Hundes
zum Besten gab, zu sagen pflegte. Der alte
Herr wandert noch jetzt täglich hinüber zu
dem Nachbargute, um bei den Kindern Böl⸗
lings einige Stunden zu weilen.
Seine Festtage aber sind die Sonntage,
wenn die Enkelschaar aufzder Besitzung Georgs
dereint ist und er an der Spitze der jubeln⸗
den Kinder hinauszieht in den Wald, wo er
hald Laub und Blumen herbeischleppt, aus
denen die Mädchen Kränze winden, bald in
den lärmenden Spielen der Knaben sich als
„Räuberhauptmann“ oder „Hase“ benutzen
läßt. Es ist etwas Köstliches, diese Kinder⸗
spiele, niemals entschwindet das Andenken an
sie dem Gedächtnisse. Liebliche Genrebilder
auchen sie oft in späteren Tagen vor unferem
zeistigen Auge auf und eine bezaubernde
Poesie umschwebt sie, wenn das silberweiße
Haupt des Großvaiers die blond⸗ und
schwarzlockigen Enkel überragt!
Mannigfaltiges.
Französische Blätter machen auf folgen—
den Brief Heinrich Heine's aufmerksam, der
sich in den sämmtlichen Werken Band X.,
Lutetia (Franzöfsische Zustände,) 2. Theil
XXXVI. findet: „Paris, den 19. Dezem⸗
ber 1841. Der eigentliche Rival des Obe—⸗
lisken von Luxor ist noch immer die Colonne
Vendome. Stehdt fie sicher? Ich weiß nicht,
aber sie steht auf ihrem rechten Platze, in
Harmonie mit ihrer Umgebung. Sie wurzelt
frei in nationalem Boden, und wer sich da⸗
ran hält, hat eine feste Stütze. Eine ganz
feste? Nein, hier in Frankreich steht nichts
ganz fest. Schon einmal hat der Sturm das
Capital, den eisernen Capitalsmann, von der
Spitze der Vendömesäule herabgerissen, und
im Falle die Communisten ans Regiment
lämen, dürfte wohl zum zweiten Male das⸗
selbe sich ereizgnen, wenn nicht gar die radi—
cale Gleichheitsraserei die Säule selbst zu Bo—
den reißt, damit auch dieses Denkmal und
Sinnbild der Ruhmsucht von der Erde schwinde;
dein Mensch und kein Menschenwerk soll über
ein bestimmtes Communalmaß hervorragen,
und der Baukunst eben so gut wie der epischen
Poesie droht der Untergang. „Wozu noch ei