Full text: St. Ingberter Anzeiger

Wort mitsammen, der Freiherr fragte mich 
heute Morgen, bevor er den Gasthof verlies, 
welchen Weg er einschlagen müsse, um das 
Wäldchen hinter dem Garten der Comtesse 
von Stahlen rasch und sicher zu erreichen, 
und als ich ihm den Weg genau bezeichnet 
hatte, gab er mir ein kleines Packeichen, mit 
dem Auftrage, dasselbe der Comtesse persönlich 
zu überreichen, für den Fall er bis heute 
Abend nicht zurückgekehrt sei. „Das ist in der 
That auffallend und räthselhaft,“ sagte der 
Wirth überrascht. „Aber die Herren können 
sich doch nicht ohne Zeugen und ohne Arzt 
duelliren.“ 
Der Oberkellner zuckte, bedeutsam lächelnd 
die Achseln. Um jedes Aufsehen zu vermeiden, 
sind die Zeugen höchst wahrscheinlich in der 
„goldenen Gans“ abgestiegen, ich bemerkte 
heute Morgen zwei elegant gekleidete Herren, 
welche in derselben Richtung das Städtchen 
oerließen. „Ich habe dreimal argeklopft, aber 
keine Antwort erhalten,“ brach der in fieber⸗ 
hafter Aufregung herbeieilende Hausktnecht die 
Vermuthung des Oberkellners ab. 
Dann allerdings ist es meine Pflicht, die 
Ursache dieses Schweigens zu erforschen, er⸗ 
widerte der Wirth, der sich bereits der Treppe 
naherte. Kommen Sie, Friedrich, ich hoffe, 
wir werden der Sache rasch auf den Grund 
dringen. In dieser Hoffnung sollte der Gast⸗ 
wirth sich getäuscht sehen, auch er exhielt auf 
mehrmaliges Pochen keine Antwort und die 
Thür war fest verschlossen. 
Das ist wirklich sehr verdächtig, sagte 
der Oberkellner, entweder den Herrn Baron 
hat der Schlag gerührt, oder — „Du lieber 
Gott, wenn er in meinem Hause ermordet 
worden wäre! jammerte der Wirth. „Das 
brächte meinem Gasthofe den Ruin und ich 
tönnt zum Wanderstab greifen —“ 
Vorläufig liegen für diese Vermuthung 
noch keine Gründe vor, fuhr der Oberkellner 
ruhig fort, die Thüre ist von innen verschlose 
sen und durch das Fenster kann nicht wohl 
Jemand eingestiegen sein. Lassen Sie den 
Bürgermeister und den Kreisphysilkus rufen, 
wir dürfen jetzt keinen Augenblick länger 
zögern. Der Wirth legte sein Ohr an die 
Thürspalte und erlaubte sich, nochmals anzu⸗ 
pochen, aber nicht das leiseste Geräusch im 
Zimmer verricth. daß der Gast dieses Pochen 
Jehört habe. „Es bleibt uns nichts Andres 
ibrig,“ sagte er nach einer geraumen Weile, 
„jchicken Sie den Hausknecht zum Bürger⸗ 
neister. Gewißheit muͤssen wir haben.“ 
Nach Ablauf einer halben Stunde fand 
der Bürgermeifter, dem der Hausknecht schon 
die nöthigsten Mittheilungen gemacht hatte, 
äich in Begleitung des Arztes, des Kreisrich- 
ers, zweier Gensdarmen und eines Schlossers 
»in. Es konnte nicht fehlen, daß die Begleit⸗ 
ing des gestrengen Herrn in den Straßen, 
velche er passiren mußte, Aufsehen erregte, und 
der müßigen Gaffer, wie der wißbegierigen 
dlatschbasen gab es in diesem Städtchen nicht 
veniger wie in jedem andern Orte. Die na⸗— 
ürliche Folge war, daß der kleinen Gesell⸗ 
chaft ein ziemlich zahlreiches Publikum folgte, 
velches vor dem Gasthofe mit Ungeduld nä— 
jere Mittheilungen über die jedenfalls interes⸗ 
anten Ereignisse in „der Sonne erwartete. 
Machen wir kurzen Proceß, sagte der 
Bürgermeister, nachdem der Wirth unter Assi⸗ 
tenz seines Obertellners und des Hausknechts 
gericht erstattet hatte. Hier sind nur zwei 
Fälle denkbar, entweder der Herr Baron hat sich, 
hne Abschied zu nehmen, entfernt, oder wir 
inden eine Leiche. „Das Letztere ist das 
Wahrscheinlichste, erwiderte der Schlosser, 
zer inzwischen seine Dietriche in Thätigkeit 
zesetzt hatte, der zinnere Riegel ist vorgeschoben 
ind es wäre gut, wenn Herr Schmidt, oder 
iner seiner Leute mir genau die Stelle be⸗ 
eichnen könnte, wo der Riegel angebracht ist, 
damil wir nicht zu viele Zeit verlieren.“ 
—AD— 
Freund, sagte der Wirth, dessen Aufregung 
nit jeder Minute wuchs, alle Schlösser sind 
nit einem solchen Nachtrigel versehen. „Dann 
zenügen einige kräftige Fußtritte,“ erlaubte 
der Hausknecht sich zu bemerken, während 
er Anstalten traf, seine Kraft an der Thür 
zu erproben. 
Der Schlosser würdigte diesen Rath keiner 
Untwort, er schob einen dünnen, stark gekrümm⸗ 
en Drath in das Schlüsselloch und öffnete 
m nächsten Augenblick die Thür. Die Män⸗ 
ner des Gesetzes und der Wissenschaft traten 
uerst ein, und der Wirth hatte die Schwelle 
ioch nicht überschritten, als ein Ruf des Ent⸗