Full text: St. Ingberter Anzeiger

Gedanken, daß er durch meine Hand fallen 
werde, mit seinem unversöhnlichen Hasse nicht 
in Einklang bringen.“ 
Der Grund will mir nicht einleuchten, 
erwiderte der Richter kopfschüttelnd. Darf ich 
die Ursache jenes unversöhnlichen Hasses er— 
fahren? „Ich glaube nicht, daß ich dazu ver— 
pflichtet bin, noch daß sie geeignet wäre, die 
Motive zu diesem Selbstmord festzustellen,“ 
sagte der Freiherr, über dessen Lippen ein 
Lächeln beißenden Hohns glitt. „Daß hier 
ein Selbstmord vorliegt, werden Sie hoffent⸗ 
lich nicht bezweifeln.“ 
Der Richter schüttelte bedenklich das Haupt, 
als er in Begleitung des Bürgermeisters den 
Heimweg antrat. Der Fall ist klar, sagte er, 
alle Beweise sprechen dafür, daß der Baron 
von Reden selbst Hand an sich gelegt hat, 
dennoch hege ich die Ueberzeugung, daß hier 
ein Verbrechen vorliegt. „Aber auf welchem 
Wege sollte der Mörder in das Zimmer ge— 
langt sein?“ fragte der Bürgermeister. 
Das eben ist der Punkt, dessen Lösung 
ich vergeblich suche. „Und wenn Sie dieselben 
gefunden hätten, würden Sie den Frei—⸗ 
herrn —“ 
Lieber Feund, fragen Sie nicht weiter, 
ich müßte Ihnen die Antwort schuldig bleiben, 
fiel der Richter seinem Begleiter ins Wort. 
Ich habe meine besonderen Vermuthungen, ob 
sie falsch oder richtig And, wird die Zeit wohl 
lehren. Einstweilen müssen wir uns damit 
begnügen, den Selbstmord zu constatiren und 
das Protokoll vorsichtig aufzubewahren. Ich 
werde nach der Beerdigung die Comtesse be— 
suchen, um zu erforschen, wer zur Empfang 
nahne der Hinterlassenschaft des Verstorbenen 
berechtigt ist.“ 
Die hohe Obrigkeit des Landstädtchens 
hatte kaum das Zimmer des Freiherrn ver⸗ 
lassen, als der Letztere stürmisch die Glocke 
zog. „Tragen Sie Sorge, daß die Leiche so 
rasch wie möglich fortgeschaft wird,“ herrschie 
er den herbeieilenden Wirth an. „Ich werde 
je nach Umständen noch einige Tage hier 
verweilen; wünschen Sie, daß ich für die 
Dauer meines Aufenthaltes in Ihrem Hause 
bleibe, so verlange ich, daß die Leiche des 
Selbstmörders bis spätestens heute Abend aus 
demselben entfernt wird.“ 
Der Wirth verbeugte sich. Wenn der Herr 
Baron vielleicht ein anderes Zimmer wünschen 
— »Nein, dieses Zimmer gefällt mir.“ 
Gut, so werde ich mit dem Herrn Kreis⸗ 
physikus reden, daß — „Wie Sie es ermög— 
lichen wollen, meine Bedingung zu erfüllen, 
ttelle ich Ihrem Ermessen anheim,“ unterbrach 
der Freiherr in gemessenem Tone den bienst- 
fertigen Gastwirth, „ich hoffe, es wird Ihnen 
zelingen“ — — 
Zweites Kapitel. 
Das »lezante Wohnhaus der Comtesse 
Eleonore von Strahlen lag kaum einen Büch— 
enschuß von dem Städtchen entfernt, an das⸗ 
selbe stießen die Oekonomiegebäude, deren 
Räume theils zu Stallungen und Remise, 
theils zu Wohnungen für den Verwalter der 
Strahlen'schen Güter und das Dienstpersonal 
henutzt wurden. Der Vater Eleonore's hatte 
durz vor seiner Heirath diese Gebäude an 
Stelle des alten baufälligen und geschmacklosen 
Schlosses aufführen lassen und zu Lebzeiten 
mit besonderer Vorliebe die Garten⸗ und 
Parkanlagen, welche dieselben umgaben, ge⸗ 
pflegt. Die Mutter Eleonore's starb bald nach 
der Geburl ihres Kindes und all' die Liebe, 
velche der Graf von Strahlen zu seiner 
schönen tugen dhaften Gemahlin gehegt hatte, 
trug er auf ihr Ebenbild über. Aber auch ihm 
hatte das Schicksal nur eine kurze Laufbahn 
zesetzt, er starb, als Eleonore kaum zwanzig 
Sommer zählte. Es war ihm nicht vergönnt, 
die Früchte seiner vortrefflichen Erziehungs⸗ 
methode zu genießen, und wenn er auch über⸗ 
zeugt sein durfte, daß Eleonore den Weg der 
Ehre und der Tugend wandeln werde, so er⸗ 
schwerte ihm doch die Ungewißheit über diese 
Zukunft seines Kindes das Scheiden sehr. 
Er hatte oft das schöne mit allen Reizen ge⸗ 
schmückte Mädchen gebeten, unter den Jüng⸗ 
ingen, die um ihre Gunst buhlten, die Wahl 
zu treffen, er hatte sie oft auf diesen oder 
jenen Edelmann aufmerksam gemacht, aber nie 
var Eleonore auf seine Ansichten über diesen 
Punkt eingangen. Seinen Bitten und Vor— 
tellungen hielt sie die Erklärung entgegen, 
daß fie nur dem Manne zum Ältar soigen 
verde, den das Schicksal ihr zum Gefährien 
bestimmt habe; sie vertraue darauf, daß das