angehört, noch immer ruhte ihr Blick forschend
auf dem Freiherrn. Ich wünsche das gericht⸗
liche Protokoll einzusehen und Sie werden die
Güte haben, mich zum Richter zu begleiten,
sagte sie nach einer geraumen Weile. „Ich stehe
ganz zu Ihrer Verfügung, Eleonore,“ entgeg—
nete der Freiherr ruhig. „Wünschen Sie, daß
die Leiche in geweihter Erde ruhe, so bin
ich bereit, die nöthigen Schritte zur Erfüllung
dieses Wunsches zu thun.“
Eleonore schwieg, sie zog die Glocke und
befahl dem Kutscher, unverzüglich anzuspannen.
Befindet die Leiche sich noch im Gasthofe?
fragte sie nach einer Pause. Der Freiherr
zuckte die Achseln. „Es liegt im Inleresse des
Gastwirths, sie so rasch wie möglich fortschaf⸗
fen zu lassen, ich möchte sehr bezweifeln —“
Gut, wir werden vorfahren und den Gast⸗
wirth darüber befragen. Ich will den Todten
sehen. „Von dieser Begleitung möchte ich Sie
bitten mich zu entbinden,“— sagte der Freiherr
rasch. „Die lalten, verzerrten Züge eines
Todten haben —“
Herr Baron, ich wünschte Ihre Begleitung
fiel Eleonore ihm mit scharfer Betonung in's
Wort. „Ich habe bisher noch keinen Mann
gefunden, der sich vor einem Todten fürch—
lete; ich hoffe, Sie werden mir zu Liebe
diese Furcht überwinden können. „Aber, wozu
diese Aufregung, Elconore?“ fuhr der Frei—
herr fort. „Begnügen Sie sich mit der Durch⸗
sicht des gerichtlichen Protokolls, so wird
das Bild Ihres Verlobten Ihnen bewahrt
bleiben, wie es —“
Verlieren wir weiter keine Worte dar⸗
über. Kommen Sie, der Wagen steht bereit.
Während der Fahrt versuchte der Freiherr zu
verschiedenen Malen, die Unterhaltung wieder
anzuknüpfen, aber seine Versuche scheiterten an
der Einsilbigkeit der jungen Gräfin, die, in
Sinnen versunken, unverwandt in die Land⸗
schaft hinausblickte. Was in diesem Augenblick
in der Seele des Mädchens vorging, konnte
der Freiherr nicht ergründen, aber es entging
ihm nicht, daß ein gewaltiger Sturm dieselbe
durchtobte.
Der Richter legte der jungen Dame das
Protokoll vor; nachdem Eleonore dasselbe
aufmerksam gelesen hatte, beauftragte sie den
Kutscher, zum Gosthofe zu fahren. Die Leiche
des Barons lag noch immer in Nummer Sie—
henzehn, sie sollte am Abend in das städtische
srankenhaus gebracht werden und dort bis
zur Beerdigung bleiben.
Folgen Sie min, besahl die Comtesse
hren Begleiter in einem Tone, der keinen
Widerspruch duldete. „Ihnen zu Liebe, Eleo⸗
nore,“ erwiderte der Freiherr leise, während
er an ihrer Seite die Treppe hinaufstieg.
Der Wirth öffnete die Thür des Zim—
mere und zog sich, dem Wink der jungen
Dame gehorchend, zurück.
Der erste Blick Eleonore's prüfte die in⸗
aere Einrichtung des Zimmers, er ruhte eine
zeraume Weile auf den beiden Thüren und
den Fenstern. Dann näherte sie sich langsam
dem Lager des Todten. Der Wirth hatte
über die Leiche ein Tuch gebreitet.
„Schlagen Sie die Decke zurück,“ wandte
Elesnore sich zu den Freiherrn, der ohne
Widerrede diesem Vefehle Folge leistete. Lange
betrachtete das junge Mädchen die bleichen
Züge des Verlobten, über die der Engel des
Todes ein Lächeln des Friedens gebreitet
jatte, dann traf plötzlich mit der Schnelligkeit
des Blitzstrahls ihr Blick den Freiherrn, der
nit kaltem Gleichmuth in das Gesicht des
Todten schaute. Glauben Sie, daß der Baron
in ungeweitzter Erde begraben wird? fragte sie.
„Wenn keine Schritte geschehen, dies zu ver⸗
hüten, Ja,“ erwiderte der Freiherr gelassen.
Gut, so werde ich die Leiche zur Refidenz
bringen und sie dort in unserer Familiengruft
beisctzen lassen, fuhr Eleonore entschlossen fori.
Sie wissen nicht, wo augenblicklich der Bru⸗
der des Barons weilt? Der Freiherr zuckte
die Achseln. „Baron Oscar von Reden ist
mir nur dem Namen nach bekannt; wenn ich
nicht irre, trat er vor einigen Jahren eine
lsängere Reise nach Afrika an, von der er
wahrscheinlich noch nicht zurückgekehrt ist.“
So werde ich im Namen des Baron
Oscar die Hinterlassenschaft meines Verlobten
in Empfang nehmen und sie später den be—
rechtigten Erben überliefern. Haben Sie die
Büte, dem Gastwirth und dem Bürgermeister
zu erklären, daß ich die Sorge für die Beer—⸗
igung übernehmen werde. Der Freiherr
chüitelte bedenklich den Kopf. — „So fehr
cch auch die Gründe ehren muß, welche Sie