Full text: St. Ingberter Anzeiger

schaffen, oder mein Engagement zu verhindern, 
und triftige Gründe zu einer plötzlichen Enk⸗ 
lassung sind ja nie sehr schwer zu finden. 
Man sagte mir gestern, er sei bereits mit der 
Comtesse im Stillen verlobt; wenn das Ge— 
rücht' wahr ist, weshalb fordert er ihren Ver⸗ 
walter auf, sie zu betrügen und gemeinschaft⸗ 
liche Sache mit ihm zu machen ?“ J 
Der Eintritt eines alten Dieners, der den 
Verwaller benachrichtigte, daß die Comtesse ihn 
empfangen wolle, brach das Selbstgespräch ab. 
Kurz darauf stand der Oekonom der jungen 
Dame gegenüber. 
Sie haben Ihre praktischen Erfahrungen 
in der Landwirthschaft in Schlesien gesammelt? 
fragte die Comtesse, während sie mit herzge⸗ 
winnendem Lächeln den jungen Mann einlud, 
Platz zu nehmen. Schlesien ist für den Oeko— 
nom eine vorzüglich gute Schule. „Ich be⸗ 
zweifle nicht, daß Herr Stern meiner Emp⸗ 
sehlung Ehre machen wird,“ sagte der Frei— 
herr, der mit verschränkten Armen am Fenster 
stand. und unverwandt seinen Blick auf die 
Züge des Verwalters gerichtet hielt. „Er be⸗ 
sitzt ausgezeichnete Zeugnisse —“ 
Auf Zeugnisse lege ich nicht das mindeste 
Gewicht, „unterbrach Eleonore ihn ruhig, ich 
berlasse mich auf den Eindruck der ersten Be⸗ 
gegnung und mmeinen Scharfblick. Der Herr 
Baron hat Ihnen meine Bedingungen bereits 
genannt ? „Ich kenne sie, gnädiges Fräulein,“ 
erwiderte der junge Mann mit unbefangener 
Ruhe. 
Und Sie sind geneigt, unter denselben 
die Verwaltung zu übernehmen? „Mit Ver—⸗ 
gnügen.“ 
So heiße ich Sie herzlich willkommen, 
sagte Eleonore, während sie dem Verwalter 
die Hand bot. Ich hoffe, wir werden gute 
Freunde bleiben. „Der Contract soll ausge⸗ 
fertigt und Ihuen morgen zur Unterschrift 
vorgelegt werden,“ fügte der Baron hinzu. 
Das ist überflüssig, fuhr die Comliesse 
fort, ich glaube nicht, daß es zwischen uns 
beiden eines schriftlichen Versprechens bedarf. 
Der Ton, in welchem Eleonore diese Worte 
prach, ließ den Verwalter sofort erkennen, 
daß in allen Angelegenheiten, welche die Com⸗ 
lesse betrafen, der Freiherr keine Stimme 
besaß. „Ich pflichte Ihrer Ansicht bei, gnäü— 
ziges Fräulein,“ erwiderte er, ohne zu be— 
venken, daß er durch diese Antwort die Gunst 
des Freiherrn verlieren kannte. „Das Wort 
reines Ehrenmannes muß genügen und es ge— 
reicht mir zur Genugthuung, daß Sie —“ 
Verlieren wir darüber keine Worte, sagte 
die Comtesse lächelnd, während Sie sich von 
dem Fautenil erhob. Kommen Sie, Herr 
Stern, ich will Sie in Ihre Wohnung führen 
und Ihnen dort die Verwaltungsbücher über⸗ 
zeben. Seil der Entlafsung Ihres Vorgängers 
Jabe ich selbst die Bücher geführt, ich fürchte 
Sie werden ein Chaos finden, in welches Sie 
sjuerst Ordnung und Klarheit bringen müssen. 
„Sie scherzen, Eleonore, Sie selbst gluuben 
aicht an die Wahrheit dieser Behauptung,“ 
zersetzte der Freiherr, der, ohne dazu aufge⸗ 
'ordert zu sein, den Veiden gefolgt war. 
„Sie besitzen in der Verwaltung so viel 
denntnisse und Erfahrungen, vaß von einem 
Thaos, welches Sie geschaffen haben wollen, 
vohl nicht die Rede sein kann. 
„Ich muß es Herrn Stern überlassen, 
zu entscheiden, wessen Behauptung richtig ist, 
juhr Eleonore forl, während sie in dem Sei⸗ 
tengebäude, welches mit dem Wohnhaufe in 
Verbindung stand, eine Thür öffnete. Diese 
Räume Herr Stern, bilden Ihre Wohnung, 
richten Sie sich ganz nach Ihrem Gefallen 
in derselben ein, die gegenwärtige Einrichtung 
rührt von ihrem Vorgänger her. Und hier 
liegen die Bücher, sowie alle auf die Verwalt⸗ 
ing bezüglichen Schriftstücke. Gehen Sie die— 
selben durch und theilen Sie mir dann mit, 
ob und welche Aenderungen Sie in der bis⸗ 
jerigen Verwaltung zu treffen wünschen. „So 
sabe ich sie mir vorgestellt,“ sagte der junge 
Mann, als die Comtesse sich nach jenen 
Worten entfernt hatte, „rasch entschlossen, fest 
und entschieden in Allem, was sie unternimmt, 
und herzgewinnend in ihrem Auftreten. Die 
Stellung des Friiherrn in diesem Hause ist 
mir schon ziemlich klar; ich glaube nicht, 
daß es ihm gelingen wird, Herz und Hand 
dieser schönen jungen Dame zu erobern.“ 
Die Räume, welche dem Verwalter zur 
Wohnung angewiesen waren, lagen an der 
Gartenseite, aus den Fenstern seiner Wohn⸗ 
tube hatte der junge Mann die Aussicht auf 
den Park und einen großen Theil des Gartens.