Full text: St. Ingberter Anzeiger

wolle, sie hege die Ueberzeugung, daß er, zu 
welchem Zwedke wisse sie freilich nicht, sich 
unter fremder Maske ihr genähert habe, stand 
er auf dem Punkte, sie in seine Geheimnisse 
einzuweihen. 
Schon schwebten ihm die Worte auf der 
Zunge, aber er drängte sie zurück und be— 
gnügte sich damit, ihr nur eine verstohlene 
Andeutung zu geben. Seine Liebe wuchs mit 
jedem Tage, sie faßte tiefe Wurzel in seinem 
Herzen, und je inniger sie mit seinem Denken 
und Fühlen sich verband, desto fester war in 
seiner Seele der Entschluß, sich der Comtesse 
nicht eher zu entdecken, bis er der Erwiderung 
seiner Liebe gewiß war. Stand er auch in 
den äußern Verhältnissen mit der Gräfin auf 
einer Stufe, er wollte nicht zur Kategorie 
derjenigen Freier zählen, die nur des enormen 
Vermögens der Gräfin wegen um die Gunsi 
der jungen Dame warben; nur dann, wenn 
es ihm gelang, ihr Herz zu gewinnen, wenn 
er seine und ihre Zukunft auf das Funda— 
ment einer reinen, innigen Liebe stützen 
könnte, wollte er offen ihr gegenüber auf⸗ 
treten. 
Darüber aber fehlte ihm bisher noch die 
Gewißheit, es war ihm bisher nicht gestattet 
gewesen, in das Herz Eleonores einen Blick 
zu werfen, sie hatte mit keinem Worte, kei⸗ 
nem Blicke verrathen, daß er ihr mehr sei, 
als der Verwalter ihrer Güter. Der Freiherr 
stand ihm im Wege; so lange jener im 
Schlosse weilte, fand der junge Mann keine 
Gelegenheit, sich der Comtesse vertraulich zu 
nähern. Stets war der Freiherr ihr zur 
Seite, stets sah der Verwalter den Blick die⸗ 
ses verhaßten Mannes unverwandt auf sich 
gerichtet, wenn er über irgend eine Angele⸗ 
genheit mit der Comtesse redete. Sein Sin⸗ 
nen und Trachten konnte einstweilen nur dar⸗ 
auf gerichtet sein, diesen lästigen und ge⸗ 
fährlichen Nebenbuhler zu entfernen, und daß 
ihm das nicht gelingen wollte, daß die Ein⸗ 
reichung seines Zwecks sich so sehr in die 
Länge zog, bereitete ihm manche bittere 
Stunde, manche schlaflose Nacht. Nun sah er 
plötzlich ohne sein Zulhun, seinen Wunsch er— 
füllt, aber ganz beseitigt war der Gegner 
noch nicht, seine Spione hatte er im Schlosse 
zurückgelassen. Jetzt galt es doppelt wachsam 
zu sein, und dem jungen Mann gereichte es 
zu besonderer Freude, daß er gerade jetzt 
Verbündete gefunden hatte, auf dessen Treue 
und Diensteifer er vertrauen durfte. 
Nach einer ungefähr zweistündigen Abwe—⸗ 
senheit kehrte der Arzt in Begleitung des 
Zreisrichters zurück. Der Richter hatte den 
Dolch und das Protokoll mitgebracht, er 
iberreichte die Akten dem jungen Manne, der 
le rasch, aber mit eingehender Genauigkeit, 
durchsah. 
Sie glauben also auch, daß der Baron 
von Reden ermordet worden ist? fragte der 
Arzt, der inzwischen seine Magd beauftragt 
hatte, eine Flasche Bordeaux zu bringen. „Ich 
weifle nicht daran,“ erwiderte der junge 
Mann ruhig, „ich habe es bereits geglaubt 
in dem Augenblick, in welchem mir die To⸗ 
desnachricht mit den verschiedenen Einzelnhei— 
ten mitgetheilt wurde. Daß man damals kein 
größeres Gewicht auf die Möglichkeit des 
Criminal-Verbrechens gelegt hat, begreife ich 
nicht, der Baron von Reden starb unter so 
glücklichen Verhältnissen, daß der Selbstmord 
nur eine That des Irrsinns —“ 
Wer kann behaupten, daß er das nicht 
gewesen sei? unterbrach der Richter ihn. Wer 
kann beweisen, daß der Baron überhaupt kei⸗ 
nen Grund gehabt habe, sich zu entleiben! 
Damals fehlten dem Gericht alle Auhaltspunkte, 
der Beweis wurde sogar überzeugend geliefert, 
daß ein Criminal-Verbrechen nicht vorlag. 
„Weil die Thüren von innen verschlossen 
waren ?* 
Allerdings. „Ich will Ihnen beweisen, 
daß ich in die Stube Nummer Siebenzehn 
zelangen und sie wieder verlassen kann, kotz 
dem sie von innen, durch Vorschiebung des 
Nachtriegels geschlossen ist. Ich habe im Laufe 
des Winters in jenem Zimmer Studien ge⸗ 
macht und dabei manches entdeckt, was meinen 
Verdacht bestärkte“ — 
Und wen halten Sie kür den Mörder? 
fragte der Arzt. Der junge Mann zuckte 
die Achseln. „Als den Urheber des Verbre⸗ 
chens möchte ich Denjenigen bezeichnen, der 
allein einen Vortheil aus demselben zu ziehen 
Jlaubte, zur Ausführung desselben halte ich 
aber diesen Mann zu feige. 
Reden wir offen miteinander, sagte der