Full text: St. Ingberter Anzeiger

einen raschen prüfenden Blick auf das Antlizz 
der Leiche warf. — Ein Schrei, ein wilder 
markerschütternder Schrei entrang sich seinen 
Lippen, gleich einem Verzweifelnden sank er 
neben dem Todten auf die Aniee und riß die 
Hand von der Wunde, um sich zu überzeugen, 
ob sie tödtlich war. 
Gotifried stand enschüttert neben dem Va⸗ 
ler, er ahnte, daß der Ermordete diesem nicht 
fremd gewesen war. 
„Er isi todt,“ murmelte der Alte, indem 
er sich erhob und das Antiiß mit den Hän⸗ 
den bedeckte; „gestonben in dem Augenblick, 
in welchem er am Ziele seiner Wünsche stand, 
— Gott, Deine Wege sind unerforschlich und 
wunderbar, ich will nicht rechten mit Dir und 
mich ruhig in Deinen Willen ergeben!“ 
Fortsetung folgt.) 
Der Münzsammler. 
Staatsbztg.) 
Fine Novelle. 
— ———— 
(Fortsetzung.) 
Ein Klopfen an der Thür unterbrach des 
Fremden weitere Reden, denn im nächsten 
Augenblick trat ein blonder junger Mann ein, 
aus dessen Augen Leben und Lust sprühte. 
„Du hast auf mich gewartet, Alexander ?“ 
„Verzeih', lieber Junge,“ rief er und 
reichte dem so Angeredeten beide Hände, „frei⸗ 
lich hätte ich schon längst hier sein können, 
wenn nicht ein Brief wirklich Eile erforderte 
— Aber, täuschen mich meine Augen nicht, 
sehe ich reht!? Auch Du, mein Brutus!“ 
unterbrach er sich lachend, den Brief des Fremden 
vom Tische nehmend, den dieser ihm hastig 
zu entreißen versuchte. „Auch Du willst Dich 
der holden Wera weihen ? Alexander, welche 
Sympathie verbündet uns! Sie hier, auch 
ich legte mich ihr zu Füßen und ließ darum 
meinen besten Freund warten. O, Wera, 
welche Zauberkraft übst Du mit Deiner An— 
aonce aus. Daß ich Dein Sklave sein will, 
liegt in meiner heißen Gluth und hat nicht 
zu viel für sich; daß Du aber meinen ernsten 
Freund — meinen Misanthropen — 
‚Felix, Du bist und bleibst ein unver⸗ 
hesserlicher Mensch mit Deinen Spötereien !- 
Pun ja, ich schrieb diesen Brief, um die 
Zeit zu tödten, und weil diezAnndnee origi- 
nell ist. Aber er kommt auch ohne an die 
Adressatin zu gelangen, ins Feuer; gib ihn 
also her!“ 
„Damit Du ihn den Flammen übergibst? 
Ah, gegen solch mörderisches Vorhaben werde 
ch das Opfer zu schützen wissen; den Brief 
rhältst Du nicht wieder! Du hast ihn ein⸗ 
nal geschrieben, und jetzt kommt er mit dem 
neinen an unfre Wera. — Der Kampf soll 
wischen uns entscheiden; einer von uns ge⸗ 
vinnt sie, und um Dir dieses holde Wesen 
zu gönnen, mußt Du Dich mit mir schießenl!“ 
„Da werden wir unser Pulver wohl spa⸗ 
ren, mein lieber Felix. Dein Nebenbuhler 
werde ich durch meinen Brief gewiß nicht. 
Er duftet nicht wie der Deine“ — lächelte 
der Fremde und deutete auf des Freundes 
zierliches Couvert — „nach Parfum, noch 
trägt er eine so farbige Umhüllung, und we— 
niger noch athmet er Liebesgluht. Im Gegen⸗ 
theil, er enthält eher Beleidigungen.“ 
„Das kann ich mir schon denken,“ ent⸗ 
zegnete der junge Mann, „wie könnte mein 
veiser Daniel auch anders schreiben. Indeß 
zleichviel, das Ganze ist doch nur ohnehin 
ein Scherz, die Briefe kommen zur Post, viel⸗ 
eicht erhalte ich Antwort, denn ich schrieb un⸗ 
zefahr so: 
„Wera, holdeste der Frauen, bereiten Sie 
nit Ihrem grausamen Verbot kein. Herzbre⸗ 
hen, sondern verwandeln Sie dies zu einem 
»eglückenden Gewähren; denn ich brenne vor 
Sehnsucht, Sie kennen zu lernen, Aug in 
Aug den geistigen Austausch zu suchen, bis 
msere Seelen eins“ — „Herr Baron, drau— 
zen ist ein Herr, der mir diese Karte an 
den Herrn Baron gab; er wartet auf Be⸗ 
cheid,“ sagte ein Kellner eintretend.“ 
Der Baron nahm ihm die Karte ab, und 
sein Freund beugte sich über dessen Schulter 
und las den Namen, der darauf stand. 
„August Willrich! Wer ist dieser Mann, 
lieber Alexander ??—— B 
„Ach, ein Numismatiler, der mir hier von 
einem Bekannten empfohlen ist.“ —8 
„Bei Jupiter und seinem Zorn! Alexan- 
der, Du wirst doch nicht jetzt, wo wir gehen