Full text: St. Ingberter Anzeiger

boten, die Leiche auf den Schubkarren zu le—⸗ 
gen und in's Amtshaus zu fahren. 
„Laßt mich das b sorgen,“ sagte Schulz, 
indem er seinem Sohne einen Wink gab, „er 
war mein guter, lieber Herr, meine Hände 
sollen ihm den letzten Dienst erweisen.“ 
Selbst diese Worte, in denen fich eine 
rührende Anhänglichkeit aussprach, vermochten 
nicht den Argwohn des Bürgermeisters zu 
entkräften. 
„Du bleibst hier,“ flüsterte der Alte sei⸗ 
nem Sohne zu, während er den Tragriemen 
über die Schulter warf, „der Bürgermeister 
hat nur oberflächlich den Ort untersucht, 
deßhalb forsche Du noch einmal nach, vielleicht 
entdecksi Du doch irgend ein Merkmal, wei— 
ches uns auf die Spur des Mörders führen 
kann. Ich habe meine eigenen Gedanken, gebe 
der Himmel, daß ich mich in ihnen täusche.“ 
Der Bürgermeister hatte inzwischen den 
Boten beauftragt, aus der nächsten Stadt den 
Richter und den Arzt zu holen. — Nach 
Verlauf einer halben Stunde lag die Leiche 
in der Amtsstube des Bürgermeisters und 
—AD 
gegenüber. 
„Wir sind jezzt allein, Schulz,“ hob der 
Bürgermeister an, „also nemt mit den Na- 
men des Todten und theilt mir mit, was Ihr 
über seine Verhältnisse wißt · 
Schulz blickte düster vor sich hin: „Er 
hieß Karl Krämer,“ erwiederte er nach einer 
kutzen Pause. 
„Derselbe;,“ welcher vor zwanzig Jahren 
nach Amerika auswanderte ?“ 
„Derselbe !“ J 
„Ein Bruder des reichen Rentners Jakob 
strämer in der Stadt? 
„Ja!“ 
„Nun ? Ihr wißt, was ihn bewog, zu⸗ 
rückzukehren d 
„Ich weiß es; hoͤrt mich an. Karl und 
Jakob waren die beiden Söhne eines ziemlich 
vermögenden Kaufmannes, welcher auf sein 
Geschaͤst und die Vermehrung seines Vermö⸗ 
gens groͤßeren Werth legte, als auf die Er⸗ 
ziehung seiner Kinder. So kam es denn, daß 
diese, sich selbst überlassen, ausarteten: Jakob 
trat in die Fußstapfen des Vaters und ward 
ein geiziger Knicker, ein habsüchtiger Filz, der 
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die krummen Wege nicht scheute, wenn er auf 
denselben sein Ziel erreichen konnee, während 
Karl rechtschaffen und brav blieb, aber dane⸗ 
ben auch ein Verschwender wurde. Die beiden 
Kinder haben sich nie recht mit einander ver⸗ 
standen, namentlich aber war es Jakob, der 
stets die erste Veranlassung zu Hader und 
Zank gab. Ich diente damals als Knecht bei 
dem alten Herrn Krämer und meine Stimme 
galt stets etwas in dem Hause, obschon ich 
nicht viel älter war, als die Söhne. Der alte 
Herr wußte, daß ich treu und fleißig war, 
daß ich gesunden Menschenverstand besaß und 
offen meine Meinung Jedem sagte, der sie 
hören wollte, deßhalb hielt er große Stücke 
auf mich, und Karl, obschon ich ihn oft sei— 
nes Leichtsinns wegen schalt und ermahnte, 
ernster zu werden, vertraute mir ebenfalls. 
Ein anderes war es mit Jakob, er mochte 
mich nicht leiden, ich war ihm ein Dorn in 
den Augen und deßhalb mußte ich sort, 
nachdem der Alte das Zeitliche gesegnet hatte 
und die Söhne das Geschäft übernahmen. 
Der alte Herr hatte mich in seinem Testa⸗ 
mente bedacht, Karl schenkte mir noch eine 
kleine Summe dazu und ich kaufte das Gut 
in unserem Dorfe, welches ich durch Fleiß und 
Sparsamkeit mit den Jahren um die Häifte 
vergrößette. Karl besuchte mich so oft, als 
seine Zeit es erlaubte; er wußte, daß ich das 
Verhältniß zwischen ihm und seinem Bruder 
kannte und er meiner Theilnahme gewiß sein 
konnte. 
Der Tod des alten Herrn hatte in dem 
Charalter und dem Wesen Jakobs nichts ge⸗ 
ändert, im Gegentheil wurde er nur noch hab⸗ 
süchtiger. Seine gewagten Spekulationen und 
die Art seiner Geschästsführung behagten dem 
Bruder nicht, und Karl nahm kein Blatt vor 
den Mund, wenn es galt, gerechte Vorwürfe 
zu machen. So kam es, daß das Berhältniß 
zwischen den Beiden immer unangencehmer 
wurde, sie heiratheten und das Schichsal wollte, 
daß auch die Frauen sich schon in den ersten 
Stunden miteinander verfeindeten. Dazu übte 
Jakob, der die Kasse verwaltete, eine Vor⸗ 
mundschaft über seinen Bruder aus, welche 
diesem unbequem sein mußte. Oft schon hatte 
Karl den Wunsch geäußert, die Gemeinschaft 
lösen zu können, aber Jakob, welcher das