Full text: St. Ingberter Anzeiger

eigentlich kurz und endet sehr nüchtern, nur 
die Moral bleibt nachhaltig,“ entgegnete der 
Baron. „Also höre! Du weißt, ich war vier 
Jahre im Auslande, und gewiß wäre ich noch 
heute nicht zurück, wenn die Angst meiner 
Mutter, bei dem damaligen bevorstehenden 
Kriege, mich nicht bewogen hätte, in ihrer 
Nähe zu sein. 
„Es war ein Jahr vor meiner Rücdkehr 
als ich auf einer Reise von Paris nach Eng⸗ 
land auf der Eisenbahn mit einer jungen 
Dame und deren Tante allein in einem Wa⸗ 
gen saß. Die junge Dame, die sehr hübsch 
und von imponirender Erscheinung war, machte 
mit ihren blonden Flechten, die so natürlich 
und so graziös um ihren Kopf gewunden 
waren, einen angenehmen Eindruck auf mich 
Ich knüpfte bald mit der Tante ein Gespräch 
an, in das sich, zu meiner Freude, auch die 
Nichte einmischte. Ein Wort gab das andre, 
und ich erfuhr, doß das Ziel der Damen 
nach einem kleinen Städtchen kurz vor Lon⸗ 
don war, zum Besuch bei einem Ondel, 
und merkwürdig, dieser Onkel war auch 
mein Ziel. 
„Er war der Freund eines alten Son⸗ 
derlings, den ich in Paris kennen gelernt und 
das Glück hatte, seine volle Gunst zu gewin ⸗ 
nen, und zwar dadurch, daß ich ihm, dem 
wüthenden Alterthumsforscher, eine Lampe 
verehrte, die ich bei der letzten Ausgrabung 
in Pompeji erstanden. Zum Ersatz oder viel⸗ 
mehr als Dankgefühl empfahl mich der alte 
Herr eben an diesen Onkek, dessen Münzsamm⸗ 
uung nicht unbedeutend sein sollte, und Du 
kennst ja hierin meine Schwäche. 
Ich erzählte also den Damen, daß auch 
mein Weg mich zu ihrem Onlel führe, ihre 
Freude schien darüber groß zu sein, und dieses 
zusammen machte uns bald zu Belannten. 
Der Onkel empfing mich auf's freundschaft⸗ 
lichste, lud mich ein, bei ihm zu wohnen. — 
Was soll ich Dir sagen; mein Aufenthalt, 
der nur Tage dauern sollte, verlor sich ins 
unbestimmte, und ehe zwei Monate vorüber⸗ 
gingen, war ich mit der blonden Maud ver⸗ 
iobt. Ich glaubte sie mit ganzer Seele zu lie— 
ben, fie behauptete, mich anzubeten, schrieb 
die entzückendsten Briefe an meine Mutter, 
die mit meiner Wahl zufrieden schien, da die 
Braut, wenn auch arm, so doch einer der äl⸗ 
testen Adelsfamilien Englands angehörte. 
„Kurz, wie das die Welt nennt, eine 
gute Wahl war getroffen; ich allein verlor 
diesen Glauben bald. 
„Mehre Wochen nach meiner Verlobung 
kehrte ich von einer Reise aus London zurück, 
hatte aber meiner Braut nicht geschrieben, 
um sie mit meiner Ankunft zu überraschen, 
die um einige Tage früher, als sie vermuthete, 
geschah. Ich kam gegen die Dämmerstunde an 
und wußte, daß Maud in dieser Zeit allein 
im Garten sei ohne die Tante. — So war 
es auch — sie war ohne Tante; abet nicht 
einsam mit gebeugtem Körper meiner harrend 
und jenes bekannte Lied singend: 
Ich bin allein — allein 
Wie lange soll ich's noch bleiben? — 
O nein! sie lag mit strahlendem Antlitz in 
den Armen eines langen englischen Offiziers, 
der ihren Mund mit unzähligen Küssen be⸗ 
deckte. — Was denkst Du wohl, was ich da 
that?“ 
„Nun, was konntest Du auders thun, 
als Dich mit jenem Elenden schlagen!“ rief 
der Assessor entrüstet. 
„Nicht doch, ich sagte Dir ja, es lös'te 
sich alles nüchtern auf, ähnlich wie jene Ge⸗ 
schichte mit dem Ritterfräulein, deren Verlobter 
nach Palestina zu den Kreuzzügen auszog und 
nicht wiederklehrte. Die Braut hielt ihn für 
todt, beweinte ihn, was sie aber nachdem nicht 
behinderte, sich zum zweiten Male zu verloben, 
dessen ungeachtet wollte sie aber, aus einer 
gewissen Pietät, den Ring des ersten Geliebten 
auch noch tragen, was natürlich der zweite 
Geliebte nicht duldete. Von seinem Draͤngen 
bestürmt, warf sie endlich den Ring unter 
Thränen in einen Fischteich. Am Abend des—⸗ 
selben Tages war in ihrem Hause große Ge— 
sellschaft, unter andern Gerichte n' kamen auch 
Fische auf die Tafel. Die Braut zerlegte den 
ihren, wurde mit einem Male leichenblaß und 
stieß einen durchdringenden Schrei aus. Kannst 
Du die Ursache dieses Schreies errathen ? 
(Fortsetzung folgt.) 
Druck und Verlag von F. X. Deiaeß in St. Ingbert.