Unterhaltungsblatt
St. Ingberter Anzeiger.
Xr. 94. Donnerstag, den 10. August J— 18571.
Ein böses Gewissen.*
Novelle
osn Ewald August König.
(Fortsetzung.)
„Sehen Sie, das ist das Erwachen des
bösen Gewissens,“ nahm der Bürgermeister,
sich zu seinem Kollegen wendend, das Wort.
„Nun, hatte ich Unrecht, daß ich sie auf diesen
Menschen aufmerksam machte 7?“
„Wenn Ihr wirklich unschuldig seid, so
wird das Gericht dies schon ermitteln,“ ver⸗
setzte der Instruktionsrichter. „Ich hoffe, Ihr
folgt mir gutwillig, es sollle mir um Eure
grauen Haare leid thun, wenn ich Euch Hand⸗
schellen anlegen müßte.“
Der Alte richtete das Haupt stolz empor.
„Jeder Mensch kann irren,“ sagte er,
deßhalb zürne ich Ihnen nicht, daß Sie in
übertriebenem Amtseifer mich für schuldig
halten. Ihre letzten Worte aber waren un⸗—
nöthig, ich weiß, daß ich dem Gesetze gehor⸗
chen muß.“ J
Die Gensd'armen nahmen den Alten zwi⸗
schen fich.
„Noch eins,“ sagte er, indem er sich in
der Thür umwandte, „darf ich von meinem
Weibe Abschied nehmen ?*
Der Richter schüttelte verneinend den
Kopf.
„So erlauben Sie mir wenigstens, daß
ich meinem Sohn Lebewohl sage, er steht hier
an der Thür.“
„Er mag hereinkommen,“ entgegnete der
Richter, „Ihr seid Arrestaut und dürft nicht
allein —¶
„Schon gut,“ fiel der Ackerer ihm in's
Wort. „Gottfried, tritt ein!“
Der Jüngling ballte zornig die Fäuste,
als er sah, in wessen Begleitung der Vater
ich befand, ein Blick der Wuth traf den
Bürgermeister, der der Familie Schulz nicht
besonders geneigt gewesen war.
Du siehst, wie mißlich es in manchen
Fällen ist, seinem Nächsten beizustehen,“ nahm
der Alte das Wort, „doch sei deßhalb unbe⸗
orgt, meine Unschuld muß ja ans Licht kom⸗
nen. Tröoͤste und beruhige die Mutter und
zesorge das Gut, daß ich nicht, Ursache finde.
nit Dir unzufrieden zu sein, wenn ich zurück⸗
ehre. In allem Uebrigen laß den Dingen
hren Lauf, ich denke, mein ehrliches Gesicht
urd das Zeugniß, welches unser Dorf mir
ausstellen muß, werden hinreichen, den Ver⸗
zacht zu entkräften. Er — Du weißt, wen
ch meine —-darf nichts erfahrea, hörst Du?
Du wirst ihn, so lange ich im Gefängniß
sitze, nicht besuchen, denn ich bin überzeugt,
daß man jeden Deiner Schritte bewacht, und
heute muß das Geheimniß strenger bewahrt
werden, denn je. Niemand darf wissen, wie
er heißt und wo er wohnt, das schärfe auch
der Mutter ein, sage ihr, sein Glück, sein
Leben hinge von unserer Veischw.egen⸗
heit ab·
„Du glaubst, Vater ?“ fiel der junge Mann
ihm in's Wort.
„Ich glaube nichts,“ fuhr dieser rasch
fort, „nichts, ich kann nur vermuthen. Seit⸗
dem ich in das todte, entstellte Antlitz meines
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