Full text: St. Ingberter Anzeiger

Wissenschaft entzückt. — Wohl war manches 
diesem sehr werth, was er auf diesem Altar 
opferle; aber wenn ihm der Verlust auch 
schwer war, so dachte er nur an sie, und 
alles kam ihm in der Waage mit Leonie ge⸗ 
ring vor. 
So war ihm sein Vorhaben mit Willrich 
schnell gelungen, der Weg zu ihr wac frei, 
er konnte das schöne, geliebte Weib fast täg⸗ 
lich sehen; aber was seine trunkenen Gefühle 
erst nicht für möglich hielten, wurde zur Ge— 
wißheit, er blieb ihr so fern wie zuror. Sie 
stellte durch ihr Benehmen eine Mauer zwi⸗ 
schen sich und ihn. Je mehr er kam und je 
öfter er sich ihr zu nähern suchte, je kälter 
und einsylbiger begegnete sie ihm. 
Traf er sie allein, was oft geschah, und 
fuchte er zu verweilen, um anscheinend Will⸗ 
rich zu erwarten, so fand sie immer eine Ge⸗ 
legenheit, ihr Mädchen zu rufen, und diese 
so lange im Zimmer aufzuhalten bis Willrich 
erschien. Nie kam ein Wort, eine Klage über 
ihr trauriges Leben über ihre Lippen; aber 
der Baron hatte dennoch genugsam Gelegen⸗ 
heit gehabt, ihres Mannes rohes, rücksichtloses 
Benehmen gegen sie zu beobachten. — Dann 
fühlte sie sich wohl, weil es in seiner Gegen⸗ 
wart war, beschämt und gedehmüthigt, und 
manchmal gewann sie auch nicht einmal Be— 
herrschung, Thränen zu verbergen; aber ihr 
Benehmen änderte sich darum gegen ihn nicht, 
im Gegentheil, nach einer solchen Stunde 
schien er ihr noch fremder zu sein. Ja, ihi 
Betragen gegen ihn war oft so frostig, daß 
dies selbst Willrich auffiel und dieser sie in 
des Barons Gegenwart in der unzartesten Weise 
zu Rede stellte. 
Der Baron war in der verzweifeltsten 
Lage. Jetzt wußte er, wie sehr er Leonie 
liebe; aber bei ihrer eisigen Kälte verlor er 
jede Hoffnung. Es ging ihm durch den Kopf, 
schnell abzureisen, zu fliehen, eine Liebe zu 
bergessen, die ihn, den starken Mann, zu 
uberwãltigen drohte. Aber dann stand Leonie 
vor seinem geistigen Auge, mit todtenbleichen 
Wangen, flehend, die Hände nach ihm aus— 
streckend, und es war ihm, als müsse doch 
noch die Stunde kommen, wo sie nach ihm 
* 
rufen würde, nach ihm, ihrem einzigen Retter. 
So blieb er und folgte immer wieder Will⸗ 
richs Einladung. 
Willrich selbst lag es durchaus nicht im 
mindesten an der Freundschaft des Barons, 
wenn er ihn auch stets mit den freundschaft⸗ 
lichsten Betheverungen überhäufte, sondern 
des Esels Schatz, so nannte er des Barons 
verstellte Handlung, dieser mußte sein werden. 
Er hatte von vielen Seiten gehört, daß der 
Baron eine ungewöhnlich reiche Sammlung 
don Münzen hatte, und diese nach und nach 
an sich zu bringen, war sein Streben, und 
darum sollte Leonie dem Baron nicht das 
Haus verleiden. 
So verfolgten drei Menschen einen Zweck, 
jeder nach einer andern Richtung hin, und 
seder bemüht, den andern zu täuschen. 
Doch das schwerste Ziel hatte sich Leonie 
gestellt. 
Die kühle Ruhe, welche sie dem Baron 
gegenüber am Tage zu behaupten suchte, er⸗ 
kaufte sie unter den furchtbarsten Kämpfen, 
in schlaflosen Nächten. Sie liebte den Barsn 
mit der ganzen Gluth ihres jungen, heißen 
Herzens. Sie hatte nie einen andern Mann 
dorher geliebt, außer ihrem Vater nie einem 
Vdenschen nahe gestanden; sie wußte auch, 
daß sie geliebt wurde, und doch war fie zu 
Tantalusqualen verurtheilt. 
(Fortsetzung folgt.) 
—XEI * 
Am Einzugstage in Berlin fühlte ein 
fremder Herr in dem Gieräange plötzlich eine 
Bewegung in seiner bake und beim 
schnellen Umwenden erhicher aen Jungen, 
der eberr“eine Hand herauthatte. 
„Noch so jung,“ sprach * ihm, „und 
schon ein Dieb? Du gehst dan Weg zum 
Balgen, schäme dich.“ 
„„Sie müssen sich schänen — tomm 
nach der Haupistadt und haben icht? d e— 
Tasche.““ 
Druck und Verlag von F. X. Deraetz in St. Inagbdert.