Full text: St. Ingberter Anzeiger

AUnterhaltungsblatt 
zum 
St. Ingberter Anzeiger.“ 
Nr. 99. 
Dienstag, den 22. Augus 
7557. 
Ein böses Gewissen.* 
Novelle 
von Ewald August König . 
‚lehnen Sie den Dank nicht ab, Sie selbst 
müssen fühlen, welchen Dienst Sie mir be⸗ 
wiesen haben.“ 
„Sie?“ fragte Mathilde vorwurfsvoll. 
„Seit wann sind wir einander so fremd ge⸗ 
worden ? Habe ich der Freunde so viel, daß 
Du glaubst, ich könnte den besten und auf 
richtigsten entbehren ?: 
Dank, taufend Dank,“ für diese Worte. 
ubelte Ernst, dem eine Last vom Herzen fiel. 
Gott weiß, wie schwer mir das „Sie“ ge. 
horden ist, aber Mutter meinte, Du seiest 
aun eine vornehme Dame und ich dürfte“ — 
„Pfui, das war garstig?“ wandte das 
Mädchen sich zu der Wittme, die kopfschüttelnd 
nehen den Beiden stand. „Wie sehr haben 
Sie mich verkannt!“ 
„Nun, nun, ich weiß nicht, was besser 
wäre,“ versetzte Frau Heller, „so sehr ich auch 
die Freundschaft achte, wenn aber die Stäande 
gar zu ungleich sind“ —— 
Die Stande zu uagleich ⁊ unterbrach 
Mathilde. „Sondern auch Sie die Menschen 
nach ihren Gütern in Klassen ab? Nimm 
Dir die Worte der Mutter nicht zu Herzen,“ 
fuhr sie, sich zu dem jungen Manne wendend, 
jort, zich sehe schon, ich muß es bei ihr ver⸗ 
horben haben, weil sie das Band unserer 
Freundschaft zerreißen will. Aber was auch 
Immen möge, an meinem Herzen zweifle 
niemals.“ Ernst ergriff freudig die Rechte des 
Mädchens und drückte sie stürmisch. Du bist 
mein guter Engel,“ sagte er, ‚und nur einen 
Wunsch kennt meine Seele, den, daß du stets 
mir zur Seite bleiben mögest·“· 
Ein freundliches Lächeln umspielte die 
(Fortsetzung.) 
Weder der Wittwe, noch Einst fiel es auf, 
daß Helldau nicht zum Mittagstisch kam. 
„Vielleicht hält ein Auftrag Krämer's ihn 
jurüch,“ bemerkte der junge Mann, als die 
Mutter hinwarf, Helldau bleibe heute unge⸗ 
wöhnlich lange, „der Rentner hat ja oft der⸗ 
gleichen Geschäfte zu besorgen und Helldau 
macht sich nichts daraus, stehenden Fußes 
eine Reise anzutreten, die ihn Wochen lang 
fern hält.“ 
Weiter wurde des alten Mannes mit kei⸗ 
ner Silbe gedacht, verlangte auch Ernst dar— 
nach, ihm sein Glück mitzutheilen, so dachte 
er, werde diese Mittheilung, am Abend noch 
immer früh genug kommen. 
Im Lause des Nachmittags fand Mathilde 
sich sür einen kurzen Augenblick in dem Häus— 
chen ein. Sie wußte bereits, daß ihr Vater 
die erbetene Summe gezahlt hatte, und kam, 
am dem Freunde Glück dazu zu wünschen. 
Ernst und dessen Mutter dankten dem 
Mädchen mit warmer Herzlichkeit, aber Ma⸗ 
thilde wies diesen Dank als unverdient zurück. 
Es sei ihre Pflicht, dem Jugendfreund zu 
helfen, wenn sie dies könne,“ sagte sie. „zu— 
dem ziehe ja auch ihr Vater seinen Vortheil 
aus dem Darlehen, also dürfe von Dank 
vorläufig keine Rede sein.“ 
Doch,“ sagte der junge Mensch feurig.