Full text: St. Ingberter Anzeiger

Anterhaltungsblatt 
zum 
St. Ingberter Anzeiger. 
Nr. 108. Dienstag, den 5. September 5 18 “. 
Ein böses Gewissen.“ 
Novelle 
von Ewald August König. 
(Fortsetzung.) 
Der Rentner ging seinem Schwiegersohne 
in spe mit sichtbarer Ungeduld entgegen, als 
dieser in das Kabinet des Ersteren trat. „Nun?“ 
cief er, „wie steht's mit unserer Angele— 
genheit ?* 
Ich hoffe, sehr gut,“ entgegnete Wetterau, 
während er Hut und Stock ablegte und sich 
auf einen Sessel niederließ. „Es kommt nur 
noch auf Sie an, ob wir beide in der näch— 
sten MRinute an unserem Ziele stehen sollen.“ 
„Auf mich käme es an?“ fragte der 
Rentner erstaunt. „Reden Sie, was muß ich 
thun ?* 
„Ihr Wort halten und heute noch meine 
Verlobung mit Ihrer Tochter veröffentlichen.“ 
Krämer war auf diese Forderung vorbe— 
reitet. Er hatte in den letzten Tagen sich 
zfi in Gedanken den Augenblick vergegenwär—⸗ 
tigt, in welchem Wetterau das Dokument 
bringen würde, er wußte, daß dieser alsdann 
unverzügliche Verlobung zur Begingung machte 
und war bereits mit sich in's Reine gekommen 
wie er sich aus der Schlinge ziehen sollte. 
„Was ich bei unserer ersten Unterredung 
Ihnen gelobte, nehme ich nicht zurück,“ ent⸗ 
gegnete er so uübesangen, daß Weiterau in 
die Aufrichtigkeit dieser Worte kaum Zweifel 
setzen konnte; „bringen Sie mir das Doku—⸗ 
ment, helfen Sie mir die Personen, welche 
uns im Wege sind, unschädlich machen, und 
ich gebe Ihnen die Hand meiner Tochter.“ 
„Das Dokument ist hier,“ erwiederte der 
Bürgermeister, indem er die Hand aus die 
Brusttasche seines Rockes legte, „es wird sich 
in Ihren Händen befinden, sobald Sie dir 
Verlebungs⸗Anzeige in die Zeitungs-Expeditiun 
gesandt haben.“ 
Krämer nahm die Feder und schrieb die 
perlangte Anzeige. 
„Geben Sie her,“ sagte Wetterau, „ich 
werde sie hinbringen.“ 
„Wozu sich die Mühe machen 7?“ versetzhe 
der Rentner, indem er die Schelle zog. „mein 
Diener kann's ja besorgen.“ 
Er übergab dem eintretenden Diener das 
Billet und befahl ihm, dasselbe in die Expe⸗ 
dition der Zeitung zu bringen. 
„Und nun das Dokument!“ fuhr er fort, 
aachdem der Diener- das Zimmer verlassen 
hatte. 
Wetterau zog den Alkt aus der Tasche und 
iberreichte ihn dem Renter, der kaum einen 
Blick auf das Siegel und die Handschrift der 
Adresse geworfen hatte, als er unverzüglich die 
Schelle zog. 
Der Diener konnte kaum die Treppe er⸗ 
reicht haben; wie der Rentner erwartete, kam 
jener auf den Ton der Schelle zurück. „Ich 
denke, wir warten noch einige Tage,“ hob 
der alte Herr an, indem er das Billet, wel⸗ 
hes die Annonce enthielt, zurücknahm und 
jerriß. „Mathilde muß doch zuvor mit der 
VBerlobung bekannt gemacht werden. Sie 
verden dies einsehen,“ fuhr er in, kaltem 
Veschäftston fort, überhaupt wäre es inir lie⸗