Full text: St. Ingberter Anzeiger

ber, wenn Sie sich mit einer kleinen Summe 
d gnügen wollten. Mathilde ist mein einziges 
Kino, und —“ 
„Und da hätten Sie wohl lieber einen 
Grafen zum Schwiegersohn, als einen ein— 
sachen Dorfbürgermeister,“ fiel Wetterau höh— 
nisch ihm ins Wort. „Ich war auf diese 
Handlungsweise Ihrerseits gefaßt und habe 
meine Maßregeln danach getroffen. Hätten Sie 
sich die Mühe genommen, vorher das Kouvert 
ju erbrechen, würden Sie wahrscheinlich anders 
gehandelt haben.“ 
Der Rentner sah bestürzt bald auf das 
Mouvert, bald auf das Anilitz des Bürger 
meisters, der sich erhoben halle und hereits zu 
Hut und Stock griff. Hastig exbrach er das 
Siegel und entfaltete das Papier. Erdfahle 
Blässe überzog seine Wangen, als ar sah, 
daß er nur eine Kopie des Oriainal⸗-Rins in 
der Hand hatke.— ee 
„Schurke!“ donnerte er. „Wie durften Sie 
wagen —“ 
Ruhig, ganz ruhig,“ unterbrach Wetterau 
ihn gelassen. „Wer von uns beiden ist der 
größere Schurke 7 Unsere Stellung zu einan⸗ 
der muß uns beiden jetzt so ziemlich klar 
sein, erwarten Sie nicht, daß ich den ersten 
Schritt zu einer Annäherung thun soll.“ * 
„Sie mißverstehen mich,' nahm der 
Rentner das Wort, „es lag durchaus nicht in 
meiner Absicht, mein Wort zu brachen. Ich 
dachte nur, es wäre besser für uns beide, 
wenn Sie von Ihrem Verlangen abständen 
und dafür eine entspcechende Summe als 
Eutschädigung nähmen. Betrachten Sie die 
ganze Angelegenheit mit vüchteren Augen, so 
werden Sie einsehen, daß mir so unendlich 
viel an dem Besitze dieses Dokuments nicht 
liegen kann; wird egs vorgezeigt, so zahle ich 
das Geld und damit hastael Die Summe 
ist im Vergleich zu meinem. Vexmögen, 
lein —“ 
„Und doch würde ihr Verlust Ihnen ein 
Stich in's Herz geben, n unterbrach Wetterau 
ihn; „sechsunddreißigtausend Thaler sind eben 
keine Kleinigkeit. Sie dachten, ich würde mich 
mit fünf bis fechstausend Thalern begnügen, 
rechnen wir die übrigen unvermeidlichen Ne 
hbenkosten hinzu, so opfern Sie vielleicht zehn⸗ 
rausend und gewinnen sechsundzwanzigtausend 
Thaler.“ 
„WGanz recht,“ versetzte der Rentner. „Sie 
berlangen. indeß die Hand meiner Tochter 
und müssen doch zugeben, daß unter solchen 
Umständen das Geschäft für mich nichts we⸗ 
niger als vortheilhaft ist, deßhalb ziehe ich 
vor, ganz davon abzusehen und dem recht⸗ 
mäßigen Eigenthümer des Alts die Summe 
zu zahlen.“ 
Der Bürgermeister zuckte die Achseln. 
„Wenn Sie glauben, sich durch diesen Ent— 
schluß meiner entledigen zu können, so irren 
Sie, ich werde auf meiner Ferderung be—⸗ 
harren, gleichviel ob Sie das Dokument da⸗— 
jür nehmen ader nicht.“ 
‚Mit welchem Recht?“ fuhr Krämer auf. 
„Mit dem Rechte desjenigen. der die 
Beheimnisse Anderer kennt und aus dieser 
Kennntniß Vortheil ziehen will. Haben Sie 
bereits vergessen, daß ein Wort von mir ge⸗ 
nügt, Schulz in 'Freiheit zu setzen, und wis⸗ 
sen Sie, was daun geschieht? Doch ich ver— 
plaudere hier die kosthare Zeit, ohne meinem 
Ziele näher zu kommen; leben Sie wohl 
uind schärfen Sie ihrem Gedächtnisse ein, daß 
ich nur acht Tage auf ihren Besuch warte, 
nach dieser Zeit werde ich meine Maßtegeln, 
je nach den Umständen, treffen.“ 
Der Rentner sah eine Weile schweigend 
auf die Thür, hinter welcher Wetterau ver⸗ 
schwunden war. Haß, glühender, unbersöhn—⸗ 
licher Haß, Aerger und die Angst eines bö— 
sen Gewissens spiegelten sich in seinen Zügen. 
Vergeblich fuchte zer den Kampf in seiner 
Seele zu beschwichtigen, er mußte ihn austo— 
ben lassen, und es währte lange, ehe er seine 
Fassung wiedergefunden hatte. Er überlas 
noch einmal die Kopie, legle sie in ein gehei⸗ 
mes Fach seines Schreibtisches und befahl 
dann dem Diener, Helldau zu rufen, mit 
welchem er hinter verschlossener. Thür ßch 
laäͤnger denn eine Stunde unterhielt. 
(Fortsetzung folgt.)