Full text: St. Ingberter Anzeiger

an allen vier Ecken leckte bereits das Feuer, 
— eine dichte schwarze Rauchsäule stieg aus 
dem Dache auf, — das Haus brannte lich⸗ 
terloh. Ernst eilte an die Thüre und riß an 
der Hausglocke, aber trotz dem u gestümen 
Läuten, trotz seinem Rufen und Lärmen ver⸗ 
strichen Minuten, bevor im oberen Stockwerk 
zin Fenster geöffnet wurde und die schläfrige 
Stimme eines faulen Bedienten sich nach der 
Ursache dieseg „polizeiwidrigen Skandals“ 
erkundigte. 
„So macht doch offen!“ rief der junge 
Mann hinauf. „Seht Ihr denn nicht, daß 
das Haus in hellen Flammen steht ?“ 
Im Nu fuhr der Kopf zurück, aber die 
Thür ward noch immer nicht geöffnet. Die 
Diener mußten, wie Einst nicht anders denken 
konnte, die Geistesgegenwart verloren haben, 
denn drinnen im Hause tobte und flürmte 
es jehßt, als sei der jüngste Tag angebrochen. 
Die Nachtwächter hatten inzwischen die Stadt 
alarmirt, die Spritzen rafselten schon heran, 
das Volk versammelte sich, um zu gaffen und, 
jse nach den Umständen Hand anzulegen. Ernst 
stand gleich eineem Verzweifelten vor der ge⸗ 
schlossenen Thür und bemerkte mit Entsetzen, 
daß das Feuer bereits bis in's obere Stock⸗ 
werk vorgerrückt war. Dem jungen Manne 
eiß die Geduld, er wandte sich an die Um⸗ 
stehenden und machte diesen mit wenigen Wor⸗ 
ten die Gefahr klar, in welcher die Tochter 
des Hauses schwebte. Der Menge leuchtete dies 
ein, man rief die Bedienten, welche dann und 
wann an einem Fenster erschienen, um Betten 
und Kleidungsstücke hinauszuwerfen, ohne daß 
dieser Ruf beachtet wurde. 
In diesem Augenblicke kam die erste Spritze 
an. Kaum hatte der Brandoffizier einen Blick 
auf das verschlossene Thor geworfen, als er 
auch sofort seine Maßregeln traf. Unter den 
Axthieben der Mannschaft mußten die eichenen 
Bohlen weichen. Ernst war der Erste, welcher 
die Schwelle überschritt. In Fieberhast eilte 
er die Treppe hinauf, hier und da einen Be—⸗ 
dienten oder eine Magd, die kopflos durch⸗ 
—X 
nicht kümmerten, zur Seite schiebend, bis er 
endlich sich im obersten Stockwert befand. 
„An den Balken der Decke leckte scon das 
Feuer, der junge Mann schritt kühn, der 
Todesgefahr trotzend, durch. Am äußersten 
Ende des Korridors war eine Thür, dort 
nußte, wenn das erleuchtete Fenster, auf 
velchem vor einer Viertelstunse sein Blick ge⸗ 
ruht hatte, ihn nicht trog, das Schlafgemach 
Dathildens liegen. Ernst klopfte vergebens, 
— ein kräftiger Fußtritt und die Thüre 
prang offen. Dichter Rauch quoll ihm ent⸗ 
gegen, er schloß die Augen, bis dieser sich 
berzogen hutte und trat dann rasch ein. Dicht 
dor der Thüre stieß sein Fuß an einen mensch⸗ 
ichen Körper, er bückte sich und nahm das 
Mädchen in seine Arme. Wer die Gerettete 
war, er wußte es nicht; vielleicht Mathilde, 
zielleicht die Haushälterin, denn trotzdem die 
Flammen jetzt schon überall hervorschlugen, 
zestatttete der Rauch doch nicht, die Züge 
erkennen zu lafsen. Im Nu war der junge 
Mann unten, er trat mit seiner Last in ein 
Zimmer des Erdgeschosses und befahl einem 
Diener, welcher ihm auf der Treppe be⸗ 
zegnete, ihm augenblicklich mit einem Lichte 
zu folgen. 
Die Gerettete war Mathilde; ein unbe— 
chreibliches Gefühl der Freude durchströmte 
das Herz des jungen Mannes, als er sah, 
daß er die Geliebte im Arme hielt, und diese 
Freude erreichte ihren Höhepunkt, als Ma— 
childe endlich aus ihrer Ohnmacht erwachte. 
Ihre erste Frage galt dem Vater; er trat 
jast in demselben Augenblick ein, in welchem 
sie die Frage stellte, und Vater und Tochter 
helten sich lange innig umschlungen. 
Mathilde berichtete kurz, daß sie beim 
Erwachen das Zimmer voll Rauch gefunden 
jabe, erschreckt sei sie aufzesprungen, um sich 
nothdürftig anzukleiden, aber dann vor der 
Thüre ohnmächtig nieder gesunken. Der Rent⸗ 
ner dankte dem jungen Manne für die Rettung 
'einer Tochter, aber Ernst entging es nicht, 
daß Krämer sich durch diese Verpflichtung 
beengt fühlte. Und in der That wäre es dem 
Vater Mathildens weit lieber gewesen, wenn 
er einem armen Manne, vielleicht einem Ta⸗ 
gelöhner die Rettung seines Kindes zu ver⸗ 
danken gehabt hätte. Diesen konnte er mit 
einer kleinen. Summe abfinden, während er 
jetzt dem jungen Manne gegenüber sich für 
das ganze Leben verpflichtet fühlen mußte. — 
Den Armen bezahle man ja für Thaten des