Full text: St. Ingberter Anzeiger

Seien Sie unbesorgt, es wird ihm ge⸗ 
lingen .“ 
„Zunächst kommt es darauf an, Sie aus 
diesem Hause zu befreien,“ nahm der Abdvokat 
nach einer Pause wieder das Wort, „alles 
Andere ist vorläufig Nebensache. Haben Sie 
zegen Niemanden Verdacht? Sprechen Sie 
ihn frei und unverhohlen aus. Stand der Er⸗ 
mordete vielleicht mit Jemandem hier in der 
Stadt in brieflichem Verkehr 7 
„Nicht, daß ich wüßte,“ eutgegnete der 
Ackerer. „Freunde ließ er nicht zurück, als er 
auswañderte, und der Haß gegen seinen Bru⸗ 
der war noch nicht versöhnt. Mit wem also 
hätte er in Briefwechsel stehen können?“ 
„Und doch ist es kaum anzunehmen, daß 
Ruubmörder ihn überfallen haben sollten. Daß 
er seiner Werthsachen beraubt war, kanu nicht 
als gültiger Beweis dienen.“ 
Nein, gewiß nicht,“ fiel Schulz lebhaft 
ihm in's Wort. „Ich habe mir auch gleich 
gedacht, daß dies nur ein Kniff gewesen sei, 
um den Verdacht auf Raubmörder zu lenken. 
Fin Gedanke, Verdacht kann ich ihn nicht 
nennen, tauchte beim Anblick der Leiche in 
meiner Seelezauf,“ fuhr er leise fort, „ein 
Gedanke, den ich nicht von mir abwehren 
fann. Sehen Sie, als ich der Leiche in's 
Antlitz blickte, dachte ich an den Haß, den 
Geiz und die Habsucht Jakobs, in seinen 
händen ruhte das Vermögen des Brudirs, 
daren dieser und dessen Kind beseitigt, so 
durfte er die Summe behalten, Niemand konnte 
ijm den Besiz streitig machen.“ 
Der Advokat blickte, in Gedanken ver⸗ 
sunken, schweigend zu Boden und biß die 
Spitzen der Fingernägel ab, eine Beschäfti⸗ 
gung, zu der er unwillkührlich überging, so⸗ 
Zald irgend eine Rechtssache sein Denken ernst⸗ 
lich in Anspruch nahm. „Sie glauben also. 
daß Jakob“ — 
„Ich glaube nichts, ich sage nur, ich dachte 
hieran,“ fiel Schulz ihm rasch in's Wort. 
„Und gibt die Unterredung Krämers mit 
Wetterau diesem Gedanken nicht einen Anschein 
bon Begründung ?“ 
„Freilich! Aber durch wen sollte er die 
NRückkehr seines Bruders erfahren haben;“ 
Die Frage habe ich mir schon oft vor⸗ 
gelegt, ohne eine Antwort darauf finden zu 
können, und deshalb bin ich stets von jenem 
Gedanken wieder zurückgekommen.“ 
„Sollte gar Wetterau der Mörder sein?“ 
fragte der Advokat. 
.„Wetterau?“ erwiderte Schulz vrrächtlich. 
„Er ist eine feige Memme, seine Hand 
würde zittern, wean sie ein Vistol abseuern 
sollte.“ 
Der Doktor nahm seinen Hut. „Ich werde 
nachforschen,“ sagte er. 
„Schweigen Sie gegen Jeden über diesen 
Punkt, wir können nicht vorsichtig genug zu 
PWerke gehen, bei dem leisesten Verdacht von 
Seiten Krämers würden meine Schritte frucht- 
'os sein. Was Ernst betrifft, so halte ich es 
ür das Beste, daß er vorläufig von seiner 
Verwandtischaft mit Krämer Nichts erfährt,“ 
uhr er fort, „für den Rentner sowohl, wie 
ür dessen Neffen muß dieß vorläufig noch ein 
Heheimniß bleiben, wenn wir freie Hand be⸗— 
Jalten wollen.“ 
Schulz reichte dem Advokaten die Hand. 
„Der Himmel möge Ihre Bemühungen mit 
einem guten Erfolge krönen,“ versetzte er, 
„nur um Eins bitte ich Sie, schonen Sie 
Mathilde, die Tochter des Rentners. Ist der 
Vater wirklich schuldig, was ich noch nicht 
glauben mag, so“ — 
„Auch hierauf werde ich Rücksicht neh- 
men,“ unterbrach Schacht den alten Mann. 
„Ernst ist mein Freund, er liebt Mathilde. 
schon seinetwegen werde ich das Mädchen 
chonen.“ 
Der Advokat schlug sofort den Weg zur 
Wohnung der Wittwe Heller ein. Es schien 
'hm unumgänglich nuöthig, die besonnene ver⸗ 
chwiegene Frau in das Geheimniß einzuweihen, 
damit durch sie Alles ferngehalten werde, 
was den jungen Mann einen Blick in das 
Dunkel werfen lassen konnte. Wie er es be⸗ 
werkstelligen sollte, in das Dunkel, welches 
den Mord umschwebte, Licht zu bringen, wußte 
er selbst noch nicht. Er mußte gestehen, der 
Verdacht gegen den Rentner entbehrte der 
Wahrscheinlichkeit nicht, Krämer zog aus dem 
Tode seines Bruders einen bedeutenden Vor⸗ 
theil, und der Charalter dieses Mannes, seine 
unersättliche Habgier, mußten den Verdacht 
eher stärken denn entkräften. Es schien dem