Full text: St. Ingberter Anzeiger

Anterhaltungsblatt 
zum 
St. Ingberter Anzeiger.“ 
.— 15 Donnerstag den 28. September —— 
Ein böses Gewiffen.“ 
Novelle 
von Ewald August König. 
(Fortsetzung.) 
„Er ist der Sohn Karl Krämer's, des 
Bruders Ihres Prinzipals. Als sein Vater 
auswanderte, ließ er das Kind zurück und 
äbergab dasselbe seinem früheren Diener Kon— 
rad Schulz, demselben, welcher gegenwärtig 
im Gefängniß sitzt, mit dem Auftrage, das 
Kind als sein eigenes zu halten und eist bei 
dessen Großjährigkeit den wahren Namen des⸗ 
selben ihm zu offenbaren.“ 
Helldau war überrascht, eine solche Ent⸗ 
hüllung hatte er nicht erwartet. „Er weiß also 
selbst nicht, daß der Rentner sein Oheim ist ? 
fragte er. 
„Nein, und es ist besser, wenn er es 
vorläufig noch nicht erfährt. Krämer weiß zwar, 
daß sein Neffe noch lebt, daß er seiner Zeit 
kommen und das Vermögen seines Vaters 
fordern wird, aber kann Ernst dies, wenn 
ihm das Dolument fehlt?“ 
„Nein, nein,“ versetzte Helldau erregt, 
„die Forderung würde eine Streitfrage wer⸗ 
den und das Gericht schließlich das Vermögen 
verschlungen haben. Aber was soll ich in dieser 
Angelegenheit thun?“ 
„Sie müssen den Rentner beobachten, er⸗ 
forschen, ob er das Dokument sich verschafft 
hat, oder nicht, überhaupt ihn bewachen, bis 
der Augenblick gekommen ist, in welchem Ernsti 
selbstständig handeln kann.“ 
„Und wann wird dieser Augenblick 
kommen ?“ 
„Im nächsten Jahre, wenn Ernst groß 
ährig ist.“ 8 I 
Der Buchhalter ging mit verschränkien 
Armen im Zimmer auf und ab und blieb 
endlich vor der Wittwe stehen. 
„Es wird mir schwer fallen, so lange bei 
einem Manne auszuhalten, den ich verachte,“ 
versetzte er, „dann aber auch, abgesehen hier⸗ 
don, vergessen Sie nicht das Versprechen, 
velches Sie mir gabeu. Sie sagten an jenem 
Abend, Sie wollten auf meinen Antrag dann 
antworten, wenn es mir gelungen sei, einen 
auderen Posten zu erhalten, heute befehlen 
Sie mir, noch ein ganzes Jahr bei dem 
Rentner zu bleiben, dadurch“ — 
„Ist jenes Veisprechen nicht aufgehoben,“ 
unterbrach Frau Heller ihn rasch, „ich werde 
es vielleicht abändern müssen.“ 
„Abändern ?“ fragte Helldau. „In welcher 
Weise?“ 
„Nun, viell icht dahin, daß ich Ihnen 
das Jawort gebe, sobald Sie mir Gewißheit 
berschafft haben, ob Krämer im Resitz jenes 
Dokuments ist ··.. 
Ein freudiges Lächeln glitt über die Züge 
des Buchhalters. 
„Sie sollen diese Gewißheit haben,“ ent⸗ 
gegnete er, und man hoͤrte an dem Tone, in 
welchem er diese Worte sprach, daß ihm eine 
Last vom Herzen gefallen war, „schon heute 
werde ich das wenig beneidenswerthe Amt 
eines Spions bei meinem Herrn antreten. 
Aber halt, — gesetzt, der Ventner besitzt das 
Dokument, genügt es nicht, wenn wir den