Full text: St. Ingberter Anzeiger

er verdirbt uns das Kind mit seiner Gefühls⸗ 
Pedunterie. Laß uns das Uebel mit der 
Wurzel ausrotten und —“ 
„Schon gut, schon gut, meine Theure!“ 
unterbrach ihr Gemahl sie ruhiz; „wir wollen 
auns die Sache später überlegen. Für's Erste 
haben wir vor allen Dingen an unsere Trauer 
zu denken. Komm, mein Sohn, Herr Hart⸗ 
muth ird Dich erwarten.“ 
Er führte den Knaben“ mit üuffälliget 
Zärtlichkeit nach der Thür und hlickte ihm 
eine Weile gedankenvoll nach. Sein vom starr⸗ 
sten Egoismus verknöchertes Herz zerschmolz 
in Liebe gegen dieses Kind, in ihm verkör⸗ 
perte sich die Zukunft des Hausggs. 
„Du bist hart gegen das Kind, wie 
gegen Herrn Hartmuth, meine Liebe!“ begann 
er, zu fseiner Gemahlin zurückkehrend. 
Wie Du zu schwach gegen Beide,“ ver⸗ 
setzte die Dame mit schneidendem Hohne, „ich 
degreife Dich nicht, Du laborirst doch wahr⸗ 
lich nicht an Gefühlsschwärmerei. Der Knabe 
schlägt aus der Art, niemals wird er im 
Stande sein, der Chef einer großen Fabrilk 
zu werden; das Gefühl versteht sich schlecht 
auf's Rechnen c 
Du magft Recht haben, Amalia!“ sprach 
der Commerzienrath nachdenkend; „es wäre 
allerdings sehr schlinmm, würde sich dicser 
Fehler mehr ausbilden, doch fürchte ich es 
nicht, dergleichen gibt sich fspäter. Mag er um 
seine Großmutter trauern, wer will ihn deß⸗ 
halb tadeln, — in wenigen Tagen hat er sie 
vbergessen. Und was Hartmuth anbetrifft, so 
thut es mir leid, Deinen Wunsch nicht erfüllen 
zu können; der Mann ist ganz nach meiner 
Beschmacksrichtung.“ 
Er grüßte freundlich mit der Hand und 
perließ das Zimmer. 
Die stolze Dame schaute ibm spöttisch 
aach, vann stützte sie nachdenkend das Haupt 
und flüsterte: „Sollte er Verdacht hegen7 
— Hm— ich kenne meine Stärke und werde 
bald alle Hülfstruppen in's Gefecht führen, 
um diesen Pedanten zu verjagen; das stind 
soll fort in die Pension, ich hasse solche 
Spione und wäre es mein eigen Fleisch 
and Blut!“ — 
Ihre grauen Augen blitzten undeimlich bef 
diesen entsetzlichen Worten. Was galt ihr das 
eigene Kind, wenn es ihrer Leiden schaft im 
Wege stand * Die stolze Dame war ein echtes 
Product des Materialismus, ein Kind ihrer 
Zeit, zur Eitelleit und zum Genusse er⸗ 
zogen. 
Mittlerweile begab sich der Fabrikherr nach 
dem Zimmer des Erziehers, Herrn Theodor 
Hartmuth, in welchem wir den Freund des 
unglücklichen Ferdinand Steinhöfer erkennen, 
dessen Bekanntschaft der Leser ebenfalls am 
Anfang unstrer Erzählung gemacht... — 
Der sanfte Eginhard weinte unaufhörlich 
um die gute Großmama und mochte nichts 
von Trost hören, sondern verlangte mit unge— 
vöhnlicher Heftigkeit, die Tode zu sehen. 
„Gewähren wir den Wunsch,“ meinte 
der Lehrer, als er den Vater davon in Kennt⸗ 
niß gesetzt. 
„Nein, nein, um keinen Preis, das dulde 
ich nicht,“ rief letzterer erschreckt, „es könnte 
ible Fvolgen für seine Gesundheit haben. Er 
joll sie zum Grabe geleiten, mehr darf ich 
nicht gestatten.“ 
Geh' in den Garien, ich komme sogleich, 
um die Eisbahn zu untersuchen, — Franz 
joll Dir den Schlitten geben.“ Der Knabe 
iieß sich mechanisch in weiche Pelze hüllen und 
zehorchte langsam. 
„Sie haben mir irgend eine Mittheilung 
zu machen, Herr Commerzienrath!“ sprach 
Hhartmuth jetzt mit seltener Sicherheit. 
Der reiche Mann fuhr erschreckt zu— 
fammen. 
„Sie find ein merkwürdiger Mensch, mein 
Freund,“ versetzte er zögernd. „können Sie 
denn Gedanken errathen? Dann wären Sie 
allerdings gefährlich; doch ohne Scherz, ihr 
bestimmtes Wesen gefällt mir, nur wünschte 
ich, wie ich auch bei Ihrem Engagement ge⸗ 
hofft, in dieser Hinsicht etwas mehr Einftuß 
auf Ihren Zögling; Eginhard ist zu weich. 
ju vi Gefühl, mit einem Wort, etwas we⸗ 
niger demokratisches Gefühl wäre anzuempfeh— 
en. Nun, davon später. Sie waren so ge⸗ 
ällig, mir von Zeit zu Zeit eine Nachricht 
Aber einen weitläufigen Verwandten, welcher 
allerdings meinen Namen führt, zu geben. 
Ferdinand Steinhöfer wohnte in Ihrem Ge⸗ 
hurtsorte —“