Full text: St. Ingberter Anzeiger

zum Dank verpflichtet, bei ihr werde ich für 
ihr Fortlommen sorgen.“ 
Und hiermit war die Sache abgemacht, 
sie galt von beiden Seiten für so selbstver⸗ 
stündlich, daß kein weiteres Wort darüber 
geredet wurde. 
Kapitän Brandt war angekommen, er war 
ein derber, redlicher Seemann, frei und offen 
wie das Meer, arf dem seine eigentliche Hei⸗ 
math war. Er blieb nur noch acht Tage 
daheim, dann mußte er wieder fort, um so⸗ 
zleich eine Reise nach den Vereinigten Staaten 
anzutreten. 
Er sah Harimuth und gewann ihn“ auf 
der Stelle lieb. Einen unschuldig Verfolgten 
fortzulvotsen, das war sein rechtes Fahrwasser; 
wehe, wer ihm dabei störend oder hindernd 
in den Weg getreten wäre. Glücklich kamen 
sie nach der Seestadt und wandten bald auf 
blauen Wogen der Heimath den Rücken. 
Jetzt erst sind wir ganz verlassen, arme 
inder!“ 
So seufzte die Wittwe des Ermordeten 
und verbarg die Thräne vor dem forschenden 
Blick des Knaben. 
Ferdinand aber sprach entschlossen: „Wenn 
ich größer bin, dann gehe ich zum Onlel 
Harimuth nach Amerika!“ 
Die Polizei suchte noch immer rastlos 
nach dem Entflohenen, das Geld des Com⸗ 
merzienraths spornte ihre Thätigkeit. Umsonst 
— ihre sonst so vortreffliche Spürnase hatte 
dieses Mal stets die falsche Witterung. 
„Es ist gut,“ tröstete sich der reiche Fab⸗ 
rikherr, „ala Dieb und Brandstifter darf er 
sich hier niemals wieder sehen lassen; wer 
würde dem Verbrecher auch glauben 7) Ich siehe 
iber jedem Verdachte, und jene alte Frau? 
Pah, sie wird auch endlich wieder sterb.n und 
nicht zum zweiten Male krwachen. 
6. Kapitel. — 
Die guten und die schlimmen Tage, alle 
rauschen sie vorüber, selbst das unermeßliche 
Unolück der Menschheit kann ihren Lauf nicht 
aufhalten. W 
.Vier Jahre waren verflossen — die my⸗ 
seridfe Geschichte jenes Diebstahls war ver⸗ 
gessen, wie auch der angebliche Selbstmord 
um Sarge der Auferstandenen. 
Eginhard war bei seinen Träumereien 
und den angeftrengtesten Arbeiten bald er— 
rankt ·- des Pfarrers Einfluß hatte bei 
diesem seltsamen Charakter nichts ausrichten 
lönnen, er war zu gerefft durch die Erfahr⸗ 
ungen jener Zeit, deren Geheimnisse ihm wie 
ein Alp auf der Seele lagen. 
Er haͤtte Alles: Achtung, Liebe und 
VBertrauen zu den Eltern verloren und fürch⸗ 
tete sich vor ihrer Nähe. 
Jetzt defand er sich wieder daheim — 
der eine Arzt brfürchtete ein schleichendes Fie⸗ 
ber und verordnete Ruhe; ein zweiter hoffte 
von der Zerstreuung einer größeren Reise völlige 
Benesucng. 
Der Commerzienrath war in Verzweiflung, 
was nützten ihm die aufgehäuften Schätze, 
um derentwillen er sogar zum Mörder ge— 
worden, wenn nun der einzige Erbe einem 
wahrscheinlichen frühen Grabe zuwellte 7 
Eginhard lächelte traurig, ihm war 
diese Aussicht die einzige Hoffnung auf Er⸗ 
lösung. 
Wußte der Knabe mehr als der Vater 
ahnte7 Kannte er die furchtbare Blutschuld 
desselben 9 — 
Wir wollen diese Frage noch ruhen las⸗ 
sen, jedenfalls wußte er genug, um ihn gren⸗ 
senlos elend und unglücklich zu machen. 
Er war jetzt 16 Jahre alt und vor we⸗ 
aigen Wochen confirmirt worden. 
Wieder war des Vaters Geburtstag im 
Mai, doch war der Tag diesmal kein sonni— 
zer, sondern rauh und kalt; mit welchen 
Hefühlen vermochte der Sohn ihm seine Glück⸗ 
wünsche darzubringen, wo furchtbare Erin⸗ 
nerungen sich unerbittlich zwischen sie drängten. 
Eginhard hatte bei seiner Heimkehr den 
Bücherschrank unversehrt vorgefunden. — Das 
Packet des Freundes lag unangetastet in sei⸗ 
aem Versteck. 
Noch niemals hatte er es gewagt, dasselbe 
ju berühren, es dünkte ihm ein heiliges 
Vermächtniß, worauf seine Augen nicht weilen 
durften. 
Heute an dem vierten Jahrestag jen er 
Schrecensstunde, stand er wieder vor dem 
Schranke, mit düsterer Wehmuth vor fich hin⸗ 
tarrend. Er hatte den Vater wie gewöhnlich 
zum Geburtstage beglückwünscht.