Full text: St. Ingberter Anzeiger

Kind ihm mittheilen konnte, war wenig genug, 
doch kannte es seinen Namen, obgleich es für 
dessea Nennung schon bestraft worden war — 
hieß es doch von nun an „Clara Vogel“. 
Heidenreich notirte sich die Erinnerungen 
und den Namen der Kleinen, um ihr dieses 
bielleicht wenn sie erwachsen, mit in die Welt 
geben zu können. Ihre Erinnerungen erblaßten 
von Jahr zu Jahr, sie hatte nach fünf Jahren 
den Namen ihres Vaters vergessen, doch noch 
die lebendige Erinnerung einer anderen schönen 
und milden Mutter, welche sie so fehr ge⸗ 
liebt — auch ein Bruder schwebte ihr vor, 
nur hatte sie, so viel sie sich auch abmühte, 
keine Erinnerung von seiner Persönlichkeit. 
Heidenreich hütete sich, ihr den Namen 
ins Gedächtniß zurückzurufen, um ihr die harte 
Behandlung zu ersparen; doch hatte er bald 
ihre Talente erkannt, von denen besonders 
die Musik und Zeichnen hervorragten. 
Er wurde ihr Lehrer in beiden Künften 
und fleute fich der eminenten Fortschritte feiner 
Schülerin. Der alte Musiker besaß eine be⸗ 
deutende Bildung, welche er mit der höchsten 
Liebe auf dieses Kind übertrug, und so sehen 
wir in der zehnjährigen Clara schon die wer⸗ 
dende Künstlerin, welche Großes für die Zu⸗ 
kunft verspricht. 
Sie war so klug, ihrer Pflegemutter den 
Schatz des Wissens, den sie nach und nach 
in sich aufnahm, zu verbergen, weil sie wohl 
einsah, daß Frau Vogel nichts weiter aus 
ihr erziehen wollte als eine Nähterin. 
So war Clara, als Frank, welcher zu⸗ 
weilen gekommen war, um das Kostgeld für 
sie zu zahlen, an diesem Tage erschien, mit 
dem Vorsatze, sie zu verkaufen. 
Er hatte eine lange, heimliche Unterredung 
mit Frau Vogel, welcher er schließlich 300 
Thaler eingehändigt, wofür sie ihm eine Schrift, 
welche er in ihrer Gegenwart niederschrieb, mit 
ihrem Namen unterzeichnen mußte. 
Sie haben jetzt freie Hand, Madameé!“ 
agte er beim Abschiede; das Kind gehoöͤrt 
Ihnen. Am liebsten wäre es mir, wenn Sie 
—A 
ꝛignet es sich für eine Seiltänzerbande, es 
hat Aussicht hübsch zu werden; Sie können 
gut dabei verdienen““ — 
Frau Vogel lachte vergnügt und meinte: 
„Da kann sie noch den dritten Namen de— 
kommen, vielleicht Renz, daun wird sie am 
Ende noch berühmt.“ 
„Clara Renz, das klingt famos; na, sor⸗ 
gen Sie nur für's Fortlommen, Se haben, 
wie gesagt, gänzlich freie Hand!“ 
Mit diesen Worien ging Frank fort und 
streifte auf der Treppe fast die kleine Clara, 
welche sich voll Todesangst in einen Win⸗ 
delt drückte, um nicht von dem Schrecklichen 
gesehen zu werden. 
Sie kam aus der Schule und hatte die 
letzte Unterhaltung Wort für Wort mit ange⸗ 
hört. Daß von ihr die Rede war,“ leuchtete 
ihr ein; sie schlich deßhalb, als Frank das 
Haus verlassen, die Treppe hinab und kam et⸗ 
was später hinauf, um keinen Verdacht zu 
erregen. 
Gortsetzung folgt.) 
A Charade. 
Gilt's, gegen äußere Feinde zu streiten, 
Greift zu der Ersten der Tapf're mit Lust, 
Muthiger oft, als in älteren Zeiten, 
Wo sie umhüllend noch schühte die Brust. 
Schwingend die Erste mit kräfuugem Arm, 
Stürzt er sich in der Feinde Schwarm. 
Wenn aber um die veräth'risch verletzten 
Rechte ein schnöd' Unterdrückter weint, 
Dann greift der Mann zu den beiden Letzten, 
Der mit Begeist'rung Erkenntniß vereint; 
Mehr als die Erst' durch die rohe Kraft 
Hat oft ein Schwacher durch sie geschafft. 
Strome von Blut hat die Erste vergossen, 
Tod und Verderben auf ihrer Spur. 
Ströme sind auch durch di ese geflossen, 
Doch keine rothen, nein! schwarze nur. 
Tausend Wunden, die jene schlug, 
Heilten oft dise se mit einem Zug. 
Unsere Zeit, die, so reich an Erfindung, 
Mischet, was unvereinbar scheint, 
hdat in dem Ganzen durch zarte Verbindung 
Erstes und Letztes gar glücklich vereint. 
Die ihr einst Rom's Kapuͤol habt befreit, 
Wohl euch! es kam für euch bessere Zeit. 
Auflösung des Logogryph in Nr. 184 det Unter⸗ 
haltungsblaties: Trauben.““ 
eee 
Druck und Verlag von F. X. Deiaez in St. Ingbert.