Full text: St. Ingberter Anzeiger

Mondes nihlt schoer als Herrin und Dienerin, 
trotzdem beide fast die gleiche stleidung trugen. 
Die ein: hielt sich in respectvosler Euntfer⸗ 
nung von der kleineren, zierlichen Gestalt, 
deren Fuß unhörbar über die grünen Rasen⸗ 
plätze glitt, und die sich im duntkelsten Schat- 
jen der Bäume haltend, dann und wann 
ängstlich aach ihrer Begleiterin umsah. 
„Komm' an meine Seite, Ruth, hierher,“ 
flüster te ihre weiche, melodische Stimme leise. 
„O, ich fürchte mich: wenn ich mich nur 
nicht zu diesem Schritt hätte verleiten lassen,“ 
fügte sie nach einer Pause hinzu, während die 
Dienerin der Aufforderung Folge geleistet hatte 
und sie nun in einen dichten Laubgang getre— 
len waren, wohin kaum ein Strahl des 
Mondes zu dringen vermochte, „Still! Horch! 
Was war das?“ 
Die Dame stand still und lauschte athem⸗ 
los, aber klein Lüftchen regte sich, auh die 
Dienerin hatte nichis vernommen. 
„Ihr müßt Euch geirrt haben könig —“ 
Kein Wort mehr, Ruth,“ unterbrach die 
Dame ihre Begleiterin fast streng. „Sei vor⸗ 
sichtig! Die Bäume haben Ohren und der 
Nachtwind trägt die Laute weiter — horch' — 
hörtest Du nichts?* 
Nichts, Mylady, nur die Angstzläßt Euch 
allerlei vernehmen. Wer sollte auch zu dieser 
Stunde im Schloßgarten sein J Nur noch we⸗ 
nige Minuten und wir haben das Plätzchen 
erteicht. Also Muth, Mylady! Denbt an den 
armen Herzog!“ 
Und wieder glitten sie geräuschlos vorwärts 
im Schatten der Gebüsche, bis sie vor dem 
Eingang eines Art Durchgangs oder einer 
daube standen, und die Dienerin die Dame 
zurückhielt. Dann zrat Erstere in den Eingang, 
pährend die Letztere sich in den Schatten eines 
Rofenstrauchen sellte, um so sicherer unentdect 
zu bleiben. 
„Mylady!“ ertönte eine leise Slimme. 
Die Dame trat gleichfalls in den Ein— 
zang und ließ sich auf eine Bank, die im 
entferntesten Winkel der Laube stand, nieder. 
Sie hüllte sich fröstelnd in ihren Mantel trotz 
der milden, warmen Nacht, und lauschte an— 
gestrengt auf jedes Geräusch. Aber Minute 
cuf Minute verrann — Alles blieb still, NRichls 
regte sich. 
„O, Ruth, wäre ich dah eim geblieben,“ 
flüsterte endlich die Dame mit angstgefüllter 
Stimme. „Es ist mir, als zöge sich meine 
Brust vor Farcht zusan nen — wenn mein 
Bruder —“ 
Beruhigen Sie sich, Mylady, es ist eine 
voslkommene Unmöglichkeit, woran Sie denken. 
Niemand als ich hatte das Billet in Händen, 
es ging von denm Herzog durch mich direct 
an Sie über. Wie wäre es demnach denkbar —“ 
Ein leiser ferner Schritt wurde hörbar, 
die Frauen zogen sich furchtsam in den dich⸗ 
testen Schatten der Laube zurück. und gleich 
darauf trat eine hohe, kräftige Maunnesgestalt 
in den Eingang, und versuchte das tiefe Dunkel 
zu durchdringen. 
Mary!“* flüsterte der Mann leise. 
Charies!“ entgegnete eine schüchterne, 
doch von Glück und Freude bebende Frauen⸗ 
stimme, und im nächsten Augenblidc hielt der 
Angekommene die zarte Gestalt in seinen 
Armen, während Ruth die Vaube verließ, um 
draußen ihren Wachtposten anzutreten.“ 
O Margy, holdeste Prinzessin —“ 
„Unvorsi htiger,“ zürnte sie, ihm den 
Mund mit ihter kleinen, sammetweichen Hand 
verschließend, „wenn Jemand diese Worte 
dörte !“ 
„Es wird Niemand hören, meine ange 
betete Geliebte, meine süße, holde Mary,“ 
entgegnete der Mann, sie so leidenschaftlich an 
sich pressend, als wolle er sie in seinen Armen 
serdrücken. „O, wie ich Dich liebe, Mary! 
Tausend Mal mehr noch um Deines Ver— 
zrauens willen, daß Dich zu dieser Stunde 
in meine Arme führt! Ich danke Dir, 
Mary, Du Licht meiner Tage, und bitte 
Dich, mir noch einmal zu fagen, dak 
Du mich liebst und den armen, unbedeu⸗ 
zenden Charles Brandon ewig lieben wirst, 
daß Du nimmer von mir lassen kannst. Wie⸗ 
derhole mir noch einmal die Worte, die da⸗ 
mals im ersten Sturm des neuen Glüds über 
Deine rosigen Lippen kamen.“ 
Zitternd in jungfräulicher Befaugenheit 
bei der leidenschaftlichen Sprache des Herzogs 
von Suffolk verbarz Prinzeß Mary ihr Köpfchen 
gu der Brust des Geliebten. 
Ich weiß nicht mehr, was ich damals 
sagte, Charles,“ hauchte sie leise, und wäre