Full text: St. Ingberter Anzeiger

für welche sie sonst steis ein freundliches Wort 
hatte, sprach sie nicht und diefe blickte traurig 
auf das blasse Antlitz ihrer geliebten Herrin, 
der sie mit Leiß und Seele Rergeben war. 
Dann schlich die: Dienerin sich wieder in das 
angrenzende Zimmer zurück, mit dem Gedan⸗ 
ken, daß Ruhe und Einsamkeit am shnellsten 
die Wolken von der Siirn der Prinzessin zer⸗ 
streuen wüurde. — 
„Ah sieh' da, meine theure, lleine Prin⸗ 
zessin, meine liebenswürdige Schwester,“ rief 
der Körig aus, als er etwa nach Verlauf 
einer Stunde eintrat und der Prinzessin die 
Hand küßte, die fie ihm nur mit Widerstreben 
uͤberließ, „Es ist uns so selten vergoͤnnt, einen 
Blick in die strahlenden Augen unseret Schwe⸗ 
ster zu werfen, daß es uns ein Festtan dünkt, 
wenn die Zeit es erlaubt, Ew. Hoheil einen 
Besuch abzustatten.“ 
Trotz des“ scherzenden Tones.den der 
sönig anzurehmen sich bemühle, erkannte die 
Pringessin doch sofort, daß ein wichtiger 
Grund ihn diese Untertedung suchen ließ, und 
es war für fie doppelt peinlich, ihn leichtfertig 
sprechen zu hören, wo vielleicht etwas von 
großer Wichtigkeit zu verhandeln vorhan⸗ 
den war. 
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„Ew. Hoheit scheinen weniger von dem 
Besuch des Bruders entzückt,“ fuhr der König 
ebenso fort, als die Prinzessin ihm nur durch 
einen schweren Seufzer antwortete, „und doch 
ist eben dieser Bruder so sehr für das Wohl 
ver Prinzeß Maryh besorgt, doch hat eben 
dieser Bruder alle Hebel in Bewegung geseßt, 
für seine schöne, holde Schwester eine Stellung 
in der Welt ausfindig zu machen, die allein 
ihrer würdig ist und ihr eine goldene Krone 
auf das edle Haupt drücken soll. “ 
.Gine Krone!“ hauchte die Prinzessin 
onlos mit bleichen Lippen und fahlen Wangen. 
„O, mein königlicher Bruder, erlaßt mir die 
Qual, eine Krone zu tragen, wollet mich nicht 
von Euch forttreiben in die fremde Welt, 
Ture einzige Schwester, die bei Euch so 
Thränen traten in die flehend auf ihn 
gerichteten Augen, aber König Heinrich hatte 
sein Herz gestählt, damit die hellen Tropfen, 
die eine große Macht auf ihn ausübten, ihn 
nicht rühren konnten und in ein helles Lachen 
ausbrechend, rief · er: , ti zette 
Ihr seid ein Kind, Mary, ein vollkom⸗ 
menes Kind, das noch zu wenig die Freuden 
der Welt kennen gelernt hat, um begreifen zu 
können; was sich einer armen Prinzessin für 
eine- Aussicht exoffnet.Richt jede Prinzessin 
ist dazu bestimmt, eine Krone: zu tragen, sich 
als Herrscherin eines mächtigen Reiches mit 
allen Genüssen des Lebens zu umgeben, an 
der Seite eines Gemahls zu lehen, der leinen 
andern Wunsch in sich trägt, als seiner an⸗ 
gebeteten Gemahlin ein Paradies auf Erden 
zu schaffen — — 
.O sprecht nicht weiter, mein, Bruder,“ 
schluchzte die Prinzessin, die schon die ganze 
Schwere des üher sie heraufbeschworenen Ver⸗ 
hängnisses empfand. Die früheren Anspielungen 
ihres Bruders auf ihre demnächstige Stellung 
zeigten ihr“ jetzt deutlich, daß ihr Schicksal 
bereits bestimmt sei, und sie fühlte nicht den 
geringsten Muth, noch die Kraft in sich, 
Widerstand zu leisten. 
uSollte man doch glauben, Prinzessin, 
man wollte Euch das größten Unglück mit⸗ 
theilen/ anstatt Ueberbringer einer Krone zu 
sein,“ fuhr der König mit erzwungenem La⸗ 
chen fort. Ich bitte Euch aber, zu erwägen, 
daß eine Prinzessin nur- nach dem glänzend⸗ 
sien Loose zu streben hat, daß sie durch ihre 
Stellung dem Staate nützen muß; und das 
könnt Ihr als die Gemahlin des Königs von 
Frankreich !“ 
Die Prinzessin stieß bei den letzten Wor⸗ 
ten einen leisen Schrei aus und starrte ihren 
Bruder mit halbgeöffneten Lippen an, während 
auch der letzte Blutstropfen aus ihrem Gesichte 
gewichen war. 
„Königin von. Frankreich!“sagte die 
Prinzeffin tonlos, als sie in dem eisigen Ant— 
litze des Königs sah, wie ernst er die Worte 
meinte. Königin von Frankreich! Ich mit 
meiner Jugend soll meine Hoffnungen an der 
Seite eines alten, von Gicht geplagten Gatten 
begraben, soll die Pflegerin eines Mannes 
werden, den ich nicht einmal achten, viel 
weniger lieben kann!“ —WP 
— Sie dedeckte ihr Geficht schluchzend mit 
beiden Händen.8 — 
DDu bist eive Närrin, eine Schwär merin,“