Full text: St. Ingberter Anzeiger

Anterhaltungsblatt 
Im— 
St. Ingberter Anzeiger. 
Nr. 18. Donnerstag, den 9. Februar 
18871. 
Lord IXyle. 
Nach dem amerilkanischen Originale des 
Charles T. Manners. 
Frei bearbeitet von Lina Freifrau v. Berlepsch. 
Ombs.) 
(Fortsetzung. 
.Also hat Nina mich wirklich nicht besser 
gekannt, mir wirklich nicht vertraut ? Wie aber 
konnte sie, nachdem sie mich so aufopfernd 
aus dem Gefängnisse befreit, ob der kurzen 
Abwesenheit an mir irre werden!“ 
„Miguel vergiftete meine Seele mit ver⸗ 
leumderischen Worten, er erklärte, Du habest 
Dich fortgestohlen, und mich absichtlich zurück⸗ 
gelassen.“ 
Der Elende wollte Dich wohl für sich 
selbst gewinnen. Wehe ihm, wenn er je mir 
in die Quere kommt! Doch nun erzähle mir, 
Liebchen, wie Du mich hier fandest? Theil⸗ 
weise errathe ich's wohl, denn ich war im 
Theater, und Zephyrs Aehnlichkeit mit meiner 
Rina bewegte mein innerstes Herz und ließ 
mich nur um so glühender das Ende der ge⸗ 
heimen Mission, die mich an Englands Scholle 
bindet, ersehnen. Du bist Zephyr, Geliebte, 
und mein Herz war klüger als mein Verstand, 
denn während ich das heiße Sehnen nach der 
schönen Zephyr als Unrecht an der fernen 
Braut zu ersticken suchte, waren es ein und 
dieselbe. Du bist berühmt geworden, mein 
süßes Lieb, und wirst wohl auch reich.“ 
Ja, ich bin berühmt und reich. Ohne 
jene harte bittere Stimmuung aber wäre es nie 
so gekonmen. Ich finde keine Worte Dir zu 
sagen, wie ich Alles, Alles haßte außer Jon. 
Doch ich habe ihn ja ganz vergessen. Wo bist 
Du, Jon ?“ 
Der Knabe erhob sich von dem Sammt⸗ 
kissen, auf dem er geruht uub kam langsam 
näher. 
„Wenn Pedro da ist, vergißt Du mich 
immer.“ — 
Der Graf streckie ihm lächelnd die Hand 
enigegen. 
„Reich mir die Hand, mein Junge, 
Freust Du Dich nicht, mich wieder zu sehen ? 
Nein,“ erwiderte Jon zurücktretend, Du 
weißt, daß ich mich nicht freue.“ 
Der Wildfang ist eiferfuͤchtig,“ bemerkte 
Zephyr schnell,“ aber hast Du denn nicht 
— daß Pedro uns kein Uurecht ge⸗ 
than?“ 
Ich weiß nichts, als daß die Geschichte 
endet, wie ich vorher gesagt. Du kümmerst 
Dich nun nicht mehr um mich.“ 
„Sei nicht undankbar, Jon, Du weißk, 
wie ich Dich liebe und mißzgönnst mir das 
arme Glück. Wolltest Du, das mein Jammer 
nie ende? Geh. Du bist ein undankbares und 
grausames Kind.“ 
O S hwester, Du wirst wohl noch ein⸗ 
mal erfahren, wer wirklich grausam und un⸗— 
dankbar ist.“ 
Und der Knabe wandte sich und verbarg 
sich hinter den schweren Damastvorhängen.“ 
„Nimm's ihm nicht übel,“ flüsterte Zep⸗ 
hyr, sich inniger in Pedro's Arme schmiegend, 
s ist ein launenhaftes, schwächliches- Kind. 
und wir müssen ihm vergeben. O mein Ju⸗ 
wel. meine Gottesgabe, ich fühle inich so froh,