Full text: St. Ingberter Anzeiger

St. Ingberler AAnzeiger. 
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Der St. Ingberter Anze ig er (und das mit dem Haudiblatte verbundene uUnterhaltungsblatt, mit —* —XR —X und Sonniag 
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M 31. e . . Samstag, den 24. Februar! J q A gen egeer ah —— — 1872 
Der englisch⸗amekikanische Conflieitt. 
Es ist ein alter, durch die Erfahrung bestätigter Satz ! „Wo⸗ 
mit man fündigt, damit wird man in der Regel bestraft.“ Der 
Figennutz, die Geldgier und Habsucht, welche seit dem Aussterben 
der großen britischen Staatsmänner die leitenden Pole der eng⸗ 
lischen Politik gewesen sind, haben schlechte Früchte eingetragen 
John Bull hat nicht allein sein moralisches Ansehen eingebüßt 
und manche bittere Pille verschlucken müssen, er befindet sich zu⸗ 
gleich der fatalen Nothwendigkeit gegenüber, den ganzen Profit, den 
er gemacht, sammt Zinsen, und noch ein Erkleckliches dazu, wieder 
herausgeben zu müssen. 
Ware nicht Schadenfreude ein Laster, so könnten wir uns, in 
hinblick auf die berüchtigte Neutralität, die England im deutsch 
französischen Kriege geübt, an den Verlegenheiten und Verwickel 
ungen, denen es gegenwärtig ausgesetzt ist, vergnüglich weiden. 
Vielleicht werden die Herren Briten jetzt inne, daß der Dichter 
doch Recht hat, menn er den Einzelnen wie den Völkern die Moral 
nif den Lebensweg mitgibt: „Ueb' immer Treu und Redlichkeit 
— 
Wir fürchten jedoch, die Reue wird bei John Bull nicht lange 
zorhalten; die aller Idealität baare Selbstsucht steckt ihm zu tief 
im Blute, als daß auf eine radicale Besserung zu rechnen wäre. 
Bruder Jonathan ist freilich in dieser Beziehung nicht viel 
besser; er weist ein einträgliches Geschäftchen auch nicht gern von 
der Hand; und in der Verdauung von unrecht erworbenem Gute 
besitzi er gleichfalls eine gewisse Virtuosität, wie seine Waffenver⸗ 
äuse an Frankreich zur Genuͤge gezeigt haben. 
Während aber die Engländer in ihren auswärtigen Beziehungen 
iets nur den Gott „Mammon“ zu Rathe ziehen und seiner 
Stimme gussschießlisch Gehör fchenken, hat Bruder Jonathan 
hier und da auch eine edlere Anwandlung, obwohl im Allgemeinen 
die Transatlautiter, wie alle vorwiegend mercantilen Völkerschasten, 
es mit der Moral nicht zu genau nehmen, und in der Wahl der 
Mittel, die ihre Zwecke fördern sollen, nicht allzu scrupulös sind. 
Gott Mammon und Gott Mercur sind, wie man weiß, nahe 
Blutsverwandte. 
Die Veranlassung zu der sogenannten „AIhabamafrage“ 
welche gegenwärtig die beiden rivalisirenden Nationen in Aufregung 
erhält, den Courszettel drückt und den Schlaf aller Börsenspeculanten 
beunruhigt, ist hinlänglich bekannt. Als der amerilkanische Seces- 
sionskrieg ausbrach, glaubten die Engländer, die Gelegenheit be⸗ 
nutzen zu müssen, um einen Zerfall und eine Zerschlagung der 
Bereinigten Staaten⸗Republik herbei führen zu können. 
Allen Grundsätzen des Bölkerrechts zuwider ließ es deshalb 
die englische Regierung ruhig geschehen, daß die Südstaaten von 
England aus mit Waffen und Munition versorgt und daß auf den 
englischen Werften Kaperschiffe erbaut wurden oder vom Stappel 
liefen, welche dem nordameritanischen Handel empfindlichen Schaden 
jufügten. 4 
Hatte schon früher eine gereizte Stimmung gegen England 
Platz gegriffen, so trug dieses vo kerrechtswidrige Verhalten dazu 
bei, die Antipathie der Amerikaner zu heller Flamme anzufachen. 
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einen neuen Krieg zu beginnen. Dazu war man unmittelbar nach 
Besiegung des Aufstandes zu sehr erschöpft, und als die Zeit erff 
in die Leidenschaft ein wenig Kühlung gegossen hatte, machte sich 
die Rechenkunst wieder geltend, auf die sich Onkel Sam vortreff⸗ 
lich verfteht. Man war entschlossen, den Engländern eine derbe 
und empfindliche Lection zu ertheilen; man wollte ihnen nicht 
allein das verdiente Sündengeld wieder abnehmen,. sondern zugleich 
gewisse Lieblingspläne realisiren, die seit der Monroe-Dockrin das 
Streben aller amerikanischen Regierungen gewesen sind. Allein das 
Alles sollte ohne Krieg, lediglich; mii Hilfe diblomatischer Künste 
ecmöglicht und vollbracht werden, — 
Aus diesem Grunde nahm man es in Ameriia mit der Bei⸗ 
legung des Conflicts gar nicht eila: man bielt die Wunde offen 
und fuchte sie von Zeit zu Zeit durch Erregung der nationalen 
Leidenschaft zu erweiterrr . 
. Auf das Andringen von England wurde zwar im Jahre 
1869 mit der amerikanischen Regierung, unter Vorbehalt der Ge⸗ 
aebmigung durch die Legislative ein Abkommen dahin getroffen, 
daß die Prüfung der erhobenen Beschwerden einer gemischten Com⸗ 
mission und die demnächstige Entscheidung einem unbetheiligten 
Souverein übertragen werden, sollte. 
Allein der Congreß wollte von einer Abmachung nichts wissen, 
welche England zu leichten Kaufes aus der Schlinge ließ und ver⸗ 
sagte deshalb zu den dereinbarten Stipulationen seine Zustimmung. 
Bei den hierbei geführten Debatten tratt zuerst der Anfpruch her⸗ 
vor, der gegenwärtig den Kernpuukt des Zwiespaltes vildet, daß 
nämlich England verpflichtet sei, außer dem directen auch den in⸗ 
directen Schaden zu vergüten, d. h. daß es angehalten werden 
müßte, einen Theil der Kriegskosten zu ersetzen, weil durch 
jeine Schuld der Krieg in die Länge gezogen worden sei. 
Den weiteren Verlauf der Sache werden wir s. Z. be⸗ 
richten. 
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Deutsches Reich. 
—München, 21. Febr. Bei den jetzt so haufig vorkommen⸗ 
den Mandatsniederlegungen unserer Landtagsa bgeordneten dürften 
nachstehende Notizen nicht uninteressant sein: Von den nach der 
Landtagswahl vom 25. November 1869, dann den nach der Un⸗ 
giltigkeitserklärung der Münchener und Günzburger Wahl vorge⸗ 
nommenen Neuwahl für diese Bezirke einberufenen Abgeordneten 
nehmen zur Zeit noch 125 ihre Sitze in der Kammer ein. Da 
die gesetzmäßige Zahl 154 beträgt, so stellt sich die Ziffer der 
Ausgeschiedenen auf 29, wovon 6 (Adt, Greil, Leiseder, Ronkarz, 
Umbscheiden, Engelbert Weiß) mit Tod“ abgegangen sind, die 
uübrigen 23 theils ihre Mandate freiwillig niederlegten, theils in 
Folge ihrer Beförderung auf eine Wiederwahl verzichteten ꝛc. Als 
Ersatzmänner sind einberufen worden 36, von denen S5den 
Eintritt in die Kammer ablehnten, und 3 (Häring, Stamm und 
Anton Wolf) gleich nach erfolgtem Eintritt ihre Mandate wieder 
niederlegten. Im Wahlbezirk Speyer⸗Frankenthal mußte nach dem 
Ableben des Abg. Umbscheiden eine Neuwahl vorgenommen werden, 
da der einzige Ersatzmann diefses Wahlbezirks, Notar Zöller, 
ablehnte. — Nach Kreisen vertheilen sich die ausgetretenen und ge⸗ 
storbenen Abgeordneten wie folgt: Niederbahern 7, Pfalz 7, Ober⸗ 
bayern 5, Oberfranken 4, Unterfranken 3, Oberpfalz, Mittelfranken 
und Schwaben je 1. im Ganzen 29. 
München, 21. Febr. Man hatte gesagt, Graf Beust sei 
nach Italien gegangen, um seine Familie dorthin zu beingen. Nun 
war das schon an und für sich unwahrscheinlich; denn wäre die 
Sache so gelegen, dann wäre waöhl der Herr Botschafter von 
Genua durch den Mont Cenis auf seinen Posten zurückgekehrt, nicht 
hieher gelommen. Wie falsch aber jene Nachricht war, ergibt sich 
daraus, daß der Herr Graf hier auch seine Gemahlin bei sich hat. 
Es müssen also andere Absichten dahinter stekren.— 
Worns, 22. Febr. In der alten Lutherstadt Worms 
circulirt eine Adresse au den Reichskanzler, Fürsten Bismarck, welche 
den Dank ausspricht sür das entschieden patriotische Auftreten des 
Fürsten durch seine klare, überzeugende, von tiefster Wahrheit und 
ächt staatsmännischer Einsicht getragenen Beredtsamkeit gegenüber 
den ultramontanen Bestrebungen im Reichstage und preußischen 
Abgeordnetenhause. Die „Wormser Zeitung“ veröffentlicht heute 
den Wortlaut der Adresse, worin es am Schlusse heißt: „Von der 
Ueberzeugung durchdrungen, daß der Kampf, welcher eben don der 
preußischen Landesver retung gegen die maßlosen Uebergriffe des 
Ultramontanismus geführt wird, von den wohlthätigsten Folgen 
auch für uns in Süddeuütschland werde, können wir nicht wider⸗ 
stehen, Ew. Durchlaucht für die muthige und entschiedene Abwehr 
der unserem gemeinsamen“ Vaterlande drohenden Gefahr unseren 
wärmsten Dank auszusprechen. pe 
Berlin. 20, Febr. Wie wan uns von unterrichteter Seit⸗