Full text: St. Ingberter Anzeiger

Der St. Ingberter Anzeiger (und das mit dem Hauptblatte verbundene Unterhaltungsblatt, mit der Dienstags⸗, Donnerttags- und Sonniagt 
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Sountag, den 7. Januarr 
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CEhronik der Greignisse des Jahres 1871- 
3. Januar. Lebhaftes Geschützfeuer der Belagerunssartillerie gegen 
die Ostfront von Paris; nur das Fort Nogent erwidert das Feuer schwach 
A. Jannar. Bei fortgesetzter Verfolgung des Roye'schen Corps durch 
Major Preinitzer üUber Bourgachard wird dasselbe von Neuem überfallen und 
zersprengt. 
3. Januar. Die Foris Issy, Vanvres und Montrouge, die Ver⸗ 
schanzungen von Villejuif, der Poini du jour und Kanonenboote werden von 
den Belagerungsbatterien vor Paris beschossen. Auch die Beschießung der 
Nord⸗ und Osifront wird kräftig fortgeseßt. — Die Festung Rocroy wird 
durch Handstreich genommen. — Abtheilungen des 14. Armeecorps weisen 
jüdlich Vesoul feindl. Recognoscirungen siegreich aurück. 
Begengewicht gegenüber den leidenschaftlichen, maßlosen und unaus⸗ 
üllbaren Ansprüchen vieler jener Vollksbeglücker, die sich Sozial⸗ 
Demokraten nennen und die nur darauf ausgehen, den ruhigen 
Arbeiter mit seinem Berufe unzufrieden zu machen., 
Davon ausgehend hatte sich schon vor mehreren Jahren in 
inserer Nachbarstadt Zweibrücken ein Arbeiter-Fortbildungs⸗Verein 
zebildet, sich zur Aufgabe stellend, wöchentlich an mehreren Abenden 
den beitretenden Arbeitern Unterricht, überhaupt Gelegenheit zur 
Fortbildung zu geben. Schon damals wurden gegen dieses 
‚woͤchentlich an mehreren Abenden“ nicht unbegründete Bedenken 
erhoben und zwar von Seiten, von denen man im übrigen der 
zanzen Sache nur Glück wünschte. Man machte nämlich geltend, 
den Arbeiter, ohnehia durch seine Arbeit seiner Familie schon den 
zanzen Tag entzogen, dürfe man nicht auch noch an mehreren 
Abenden wöchentlich seiner Familie nehmen, er würde dadurch „aus⸗ 
huusig“ gemacht werden. Nachdem nun während des Krieges die 
zanze Sache vertagt war, hat jetzt der Arbeiter⸗Foribildungsverein 
eine Thatigkeit wieder aufgegriffen und wird nun mit Berücksich⸗ 
sigung der oben gedachten Bedenken den Arbeitern alle 14 Tage 
ein Vortrag gehalten werden. Zunächst soll nun die soziale Frage 
behandelt und dann ein Ueberblick über den letzten deutsch-französischen 
strieg von 1870 — 71 gegeben werden. 
Daß Bestrebungen, wie sie dieser Arbeiter-Fortbildungs verein 
entfallet, ihre Berechtigung haben, ist von competenter Seite an⸗ 
erkannt und sind ihr deßhalb zum Wohle der Arbeiterwelt die besten 
Erfolge zu wünscheu. 
f Die „Pfälzer Zig.“ läßt sich aus München berichten, daß, 
nachdem nun Bitsch wieder zum deutschen Reich gehört, die Noth⸗ 
wendigkeit einer Bahnverbindung mit der Pfalz gebieterisch auf⸗ 
trete, daher der pfälz. Bahnverwaltung zum Bau dieser 4 Stun⸗ 
den langen Strecke von Zweibrücken über Hornbach an die frühere 
französische Grenze das hierzu nöthige Baukapital von 1,345,000 
. mit 443 00 garantirt werden solle. 
F Die Wiener Blätter theilen aus Anlaß der Todesnachricht 
des Gustav Chorinsky mit, daß sich die wegen desselben Verbre⸗ 
chens zu 18 Jahren verurtheilte, in Neudorf ihre Strafe verbü⸗ 
dende Julie Ebergenyi sehr wohl befindet. Sie hofft, baldigst begnadigt 
zu werden; wenigstens macht fie große Anstrengungen hiezu, denn 
sie schreibt nicht selten an verschiedene Advokaten Briefe, worin sie 
bittet, man möge ihr Gnadengesuche machen und für sie mannig- 
fache Wege zum Zwecke ihrer Befreiung unternehmen. Freilich blieb 
bisher jeder Schritt erfolglos. 
* In Kiew erhielt, wie die „Petersb. Börsenatg.“ mel det, 
ein Kaufmann eine Waarenluste aus Moskau zugeschickt, in welcher 
nach Eroͤffnung der Körper eines etwa sechszehnjährigen Maädchens 
mit durchgeschnittenem Halse gefunden wurde. 
Als Kurio sum Iinm neuen Maß und Gewicht wird 
aus Eichstätt gemeldet: Eine Köchin verlangte gestern im Fleisch⸗ 
haus 5. Meter Fleischh — In Deggendorf wurden dagegen 7 
silo Leinwand verlangt. 
Auf der Hoͤhe von Liverpool ist vor einigen Tagen die 
Vrigg „Clafion“ aus Belfast mit Mann und Maus zu Grunde 
zegangen. Ans Salino (Kansas) kommt die Mittheisnng eines 
chrecklichen Ereignisses. Eine Gesellschaft Emigranten und deren 
Familien passirte westlich durch die Grafschaft Salino, als sie in 
Folge der fortwährend zunehmenden Kälte beschloß ein Lager auf⸗ 
zuschlagen und Feuer anzuzünden. Die Reisenden befanden sich auf 
einer hochliegenden Prairie-Ebene und mehrere Meilen von jeder 
Behausung entfernt. Nachdem die nöthigen Vorbereitungen zum 
Tampiren getroffen waren, machten sich die Manner nach einem 
drei Meilen entfernten Platze auf, um das benöthigte Holz herbei⸗ 
uschaffen. Als nach mehreren Stunden die Mänuer nicht zurück⸗ 
kehrten, begaben sich die Frauen auf Nacforschungen nach den 
Ausbleibenden, Am nächsten Tage sand man die Leichen von 17 
erfrorenen Personen. Die in den Wagen zurückgelassenen Kinder 
waren die einzigen Ueberlebenden der ganzen Reisegefelljchaft. 
Deutsches Reich. 
Mänchen, 4. Jan. Wie bisher von Bayern nach Frank— 
reich, so gehen von jetzt an auch von der 2. bayerischen Armee 
Division aus Frankreich nach Bayern allwöchentlich Sammel züge 
ab, welche beurlaubte oder in die Reserve übergetretene Mann⸗ 
schaften zu befördern haben. Der erste dieser Züge ist bereits heute 
von Sedan abgegangen. Mit dem heute von Neu⸗Ulm abgelasseneu 
Sammelzug wurden 36 Mann und eine ziemliche Quautität 
Effekten befoͤrdert. 
Spehyer, 2. Jan. Gegen die „Rheinpfalz“ ist wegen 
mehrerer Artikel Untersuchung eingeleitet wegen Vergehens der 
Majestätsbeleidigung, der Beleidigung des Staatsministers von 
—A 
Berlhin, 4. Jan. Das Militär⸗Wochenblatt bringt einen 
„Rückblik auf das Jahr 1871.“ Darin heikt es: Das Re—⸗ 
tablissenent der Armee kann in der Hauptsache als beendet 
angesehen werden. Trotz des anßerordentlichen großen Verbrauchs 
an Maierial aller Art würde die Armee schon jetzt wieder im 
Stande sein, wie zur Parade ins Feld zu rücken. ... Für die 
Infanterie steht nunmehr die Lösung der so wichtigen Bewaff⸗ 
nungsfrage nahe bevor, und es sind alle Vorbereitungen getroffen, 
um nach desinitiver Feststellung des neuen Gewehr-Modells die 
Neubewaffnung der Armee in verbältnißmäßig kurzer Zeit zy 
bewirken. 
Die meisten größeren süddeutschen Tabaksflabrikanten 
haben fich zu einer Eingabe an den Reichskanzler vereinigt, worin 
fie gegen den Fortbestand der kaiserlichen Tabals-Manufaktur in 
Straßburg protestiren. 
Es sind von Damen aus Straßburg, Bischweiler und anderen 
Städten des Elsasses Geldspenden nach Paris geschickt worden als 
Beiträge zur Zahlung der französischen Kriegsschuldd. 
Belgien. 
Brüsfel, 6. Jan. Aus Namnr wird gemeldet: Die Ar— 
hbeiter in den Fabriken von Selange und Verzin haben die Arbeit 
eingestellt. Zur Aufrechthaltung der Ordnung ist ein Bataillon 
abgesandt. In Charleroi sollen gleichfalls Arbeiterstrikes in Aus— 
sicht stehen. 
Nußland. — 
Mo stlau, S . Jan. Die Universität beschloß, dem Prinzen 
Friedrich Karl von Preußen die Ehrenmitgliedschaft anzutragen. 
Amerika. 
Newyork, 83. Jan. Hall, Bürgermeister von Newyork, 
wurde in den Anklagestand versetzt; Brigham Young, der Mlor⸗ 
monenbrophet wurde unter Anklage des Mardes nerhaftet. (T.N) 
J Vermischtes. 
* Sit. Ingbert, 6. Jan. Die Arbeiterfrage im Zu⸗ 
sammenhang mit der großen weltbewegenden socialen Frage, die 
anderwärts in Deutschland, Frankreich und England schon die 
leidenschaftlichssten Auftritte und Bewegungen herborgerufen, zu den 
großartigsten Strikes führte, — sie ist in unserer Gegend, dank 
dem freundlichen Entgegenkommen der Arbeitgeber allen im Kreise 
der Moͤglichkeit sich haltenden Wünschen der Arbeiter und dem, wir 
dürfen wohl sagen noch gesunden Sinne diefer, nur ein Frägel⸗ 
chen. Den Arbeiter in ruhiger, vernünftiger Weise über die bürger⸗ 
liche Gesellschaft und seine Stellung zu derselben aufklären, über⸗ 
haupt helfen, seine Bildung zu beföreern. dies ist ein gewichtiges