Full text: St. Ingberter Anzeiger

Ht. Ingb erler Anzeiger. 
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II 189. ESEauustaa, den 30. November —41872 
Deutsches Reich. — 9 
München, 26. Rov. Die Anzeichen mehren sich, daß es 
der Regi erung wirklich ernst ist, dem klerikalen Unwesen etwas 
trästiger entgegenzutreten, denn der Schließung des katholischen 
Holksdere ins in Eber-Mannstadt ist rasch die Schließung zweier 
inderer (ebenfalls fränkischer) Vereine erfolgt und nebenbei werden 
die mariarischen Congregationen in München etwas schärfer ins 
Auge gefaßt als bisher. Somit scheint Hes denn doch, daß die 
juten Rathschläge, die der Bischof von Passau gab, an enischeiden⸗ 
Zer Stelle Gehoͤr fanden, und wenn es avbch in der Regel besser 
ist, daß die Regierung den Rathschlägen ihrer Bischöfe kein Gehör 
gibt, so liegt dießmal eine So idarität der Interessen vor, wie es 
heider seit langer Zeit nicht mehr der Fall war. Bei der großen 
Bedaͤchtigkeit, wir wollen nicht sagen Lethargie, die unserer Regier⸗ 
ung innewohnt, ist es zum wenigsten ein Glüch, daß die ultra- 
montane Partei selbst die Dinge auf eine Spitze treibt, welche 
jseden modus vivendĩ unmöglich macht und daß sse sich dadurch 
das unfreiwillige Verdienst erwirbt, die Regierüng zu scharfen 
Maßregeln zu nöthigen. Erst in den letzten Tagen lam wieder 
in Fall vor der in diese Richlung einschlägt; das plötzliche Vete 
schwinden Zanders, der als Redakleur des Voöllsboten zu einer 
mehrmonatlichen Gefängnißstrafe verurtheilt war, zeigt am deut⸗ 
lichsten, mit welcher Sorte von Menschen man es zu thun hat. 
An den Straͤßenecken kleben allerwärts die riesigen Plakate, 
die zu communalen Wahlversammlungen der einen oder anderen 
Partei einladen, und die Localblätter. welche dahier erscheinen, 
didmen sich fafl ausschließlich dieser Sache. Das Verhältniß dieses 
Tefolges hat sich jetzt schon ziemlich festgestellt, sieben Bezirke ge⸗ 
horen ohne jeden Zweifel der Fortschritispartei, drei höchst wahr⸗ 
scheinlich den Klerifale; es sind dies die drei Vorstädte Münchens. 
die Berichte, welche über den Verlauf der Gemeindewahlen aus 
der Provinz eintreffen, entsprechen dem Maßstab der bisher schon 
giltig war; sie fielen jast in allen Städten liberal aus, außer in 
den fogenannten geistlichen Städten, d. h. in jenen, die Jahrhun⸗ 
derle lang der Siß eines geistlichen Fürsten waren. Das beredteste 
Beispiel hiefür ist Bamberg. 
M ün hein, 28. Nob. Bei der heutigen Gemeindewahl 
zetheiligten sich die Wahlberechtigten zahlreichst. Die Fortschritts⸗ 
bartei uegte im 1., 2., 4. 5., 6. und 7. Bezirk, die Ulteamon⸗ 
anen im 83., 8., 9. und 10. Bezirk. 
Wie die MUnchener „N. N.“ berichten, ist der bisher 
im Kultusministerium verwendete Kanzleifunktionär Heinrich Ze it⸗ 
err, welcher mit Adele Spitzeder in engen geschäftlichen Be— 
siehungen gestanden, des Dienstes entlassen worden. Ferner sei 
in den maßgebenden Stellen aller bezüglichen Branchen des öffent⸗ 
lichen Dienstes Anlaß genommen, gegen Dienstangehörige, welche 
sich zur Spitzeder in mehr oder minder kompromittirende Verhält⸗ 
nisse einließen, zunächst disziplinär vorzugehen. 
Münschernn. Nach dem „Vaterland“ hat sich Zander 
um deßwillen von hier entfernt, weil ihm aus einem wider ihn 
noch schwebenden Hochverrathsprozeß eine mehrjahrige Freiheits- 
strafe jn Aussicht stand. Aus demselben Grund soll sich auch 
Frhr. h. Linden, der Verfasser jener Artikel im „Vollsboten“ 
weliche der bayerischen Regierung den Abfall vom Reich, Krieg 
gegen Preußen und dgl. anriethen, aus Bayeen absentirt haben: 
(Rach der „Abdztg.“ wäre die Verhaftung des K. Zander wegen 
Verdachts der Flucht, zumal er Ausländer ist, vom Geeicht be— 
reits angeordnet gewesen. Sein Begnadigungsgesuch bezüglich der 
hme schon zuerkannten Strafe ist noch nicht verbeschieden.) 
Rürüsberg, 27. Nov. In Regensburg wurde ein durch⸗ 
reisender, im Gasihof übernachtender Jesuit vexhaftet und zu drei— 
agigem Arrest verurtbeilt, weil er das Jesniten⸗ Ausweisungsgesetz 
jebrochen. — 
Srlin, 23. Nov. Für die durch die Sturmfluth heim— 
gesuchten Bewohner der Osise eprovin zen regt sich überall die Wohl⸗ 
hätigkeit und Sammlungen werden an alfen Orten und in allen 
diun dr G sschaft verarstaltei. Im Abgeorductenhause fordern 
— — 
dic Abg. v. Bonin, Miquel, Reimers, Dr. Gneist, Dr. Wallichs, 
v, d. Knesebeck (Kuppin), Meyer (Pinneberg). v. Behr (Greifs⸗ 
vald), v. Bennigsen. Grf. v. Reventlow, Hall und Wagner zu 
einer derartigen Sammlung auf, zu welchem Zwecke eine Liste im 
Bureau des Hauses ausgelegt ist. — Auch das Bureau des deut- 
cHhen Fischerei⸗Vereins“ exläßt- einen Aufruf, in welchem es zur 
Linderung des Nothstandes der ärmeren Küstenbevölkerung bittet 
nomeutlich zur Beschaffung, von Arbeitsgeräth, Böten, Netzen 
und sonstigen Fanggeräthen für die Fischereibevölkerung Geld⸗ 
henden an das Bureau des Vereins (Schützenstraße 26) einzu- 
ienden. ..8 
Bertin 26 Rob. Der- dem Abgeordnetenhaus zuge- 
gangene Gesetzenkwurf über das zur Eheschliebun gerforder; 
uͤche Lebesnsgüterssetzt dieses beim —— Geschlecht auf 
das vollendete 18., beim meiblichen auf das oollendete 14. Lebeis- 
ahr fest. Ausnahmen sind nicht zulässig.. 
Beriin. Die PVossische Zeitung“, bringt einen ausführ— 
ichen Auffatz über die Streitigkeit zwischen dem General v. 
Manteuffel und dem Generallieutenant Grafen v. d. Groe⸗ 
hen, die vor kurzem von sich reden machte. Graf v. d. Groeben 
hat eind rasche glänzende Laufbahn gemacht und stand während 
des letzten Krieges unter Mauteuffel, der die sogenannte erste 
»eutsche‘ Armee befehligte. Nach der Schlacht von Amiens (27. 
stovbember 1870) wandte sich Papteusen nach der Küste zu, wäh⸗ 
end er in Amiens Graf v. o. Greeben mit 6 Bataillonen, ẽ 
Schwadronen und 18 Geschützen zurückließ. Er wünschte Amiens 
hesetzt zu halten, gab aber doch d. d. Gro.ben verschiedene Auf⸗ 
traͤge außerhalb Amiens. Wie aus dem Berichte des Obersten 
Grafen Waldecsee in seinem jüngst erschienenen Werke: „Die 
Operationen der Ersten Armee,“ hervorgeht, soll General von 
Manteuffel dem General v. d. Groeben am 14. Dezember (1870) 
den Befehl haben übermitteln lassen, von seinem Detachement 
unter General Mirus auf alle Fäle 3 Bataillone, 4* Escadrons 
und 2 Batterien in Amiers zuruückzulassen und selbst mit dem Rest 
sich dem vormaschirenden 8. Armeecorps anzuschließen, welches die 
Aufgabe hatte, der franzosischen Nordarmee in Rücken und Flanke 
zu fallen. Nach dem Erlasse dieses Befehls soll General v. Man— 
leuffel sehr ersiaunt gewesen seln, am 16. zu erfahren, daß Ge— 
neral v. d. Groeben in aller Frühe dieses Tages Amiens mit 
seinem Detachement verlassen und nur 2 Compagnien und die 
nöthigen technischen Truppen in der Citadelle dieser Stadt zurück— 
gelassen habe, und soll dies die Veranlassung gewesen sein, daß 
d. Manteuffel in einem Schreiben an den General v. d. Groeben 
sein Mißfallen über die Räumung der Stadt Amiens aussprach, 
und hierbei unter anderen die für einen Soldaten, der sich seiner 
ppflicht bewußt ist, nicht sehr schmeichelhaften Worten einfließen ließ: 
„Sie haben also den Rückzug gewählt!“ Manteuffel glaubte al⸗ 
lerdings. es hier mit einem Ungehorsam gegen seine Befehle zu 
thun ju haben; er setzte nämlich voraus, daß seine Weisungen 
vom 14. Dezember dem Grofen v. d. Groeben zugelommen waären, 
ehe er Amiens verließ: doch soll diese Voraussetzung irrig gewesen 
ein, und der Chef des Stabes der Ersten Armee bemerkt selbst, 
daß nach den dem General v. d. Groeben ertheilten Weisungen 
ür diesen die Möglichkeit einer vorübergehenden Aufgabe von 
Amiens nichl ausgeschlossen war.“ Genug, Graf v. d. Groeben 
ühlle sich sehr verletzt, beschwerte sich und wurde anderweitig ver⸗ 
vandt. Als General b. d. Groeben gleich nach Beeud:gung des 
Feldzuges als Divisionair der Occ pations⸗ Armee wieder unter 
die Befehle des Generals d. Manteuffel trat und waͤhrscheinlich 
aus der Absicht, zu dem genannten General nicht wieder in ein 
zienstliches Verhältniß treten zu müssen, um seinen Abschied ein— 
jam — den er allerdings mit Familienrücksichten motivirte —, 
wurde ihm derselbe nicht bewilligt, wohl aber seine Versetzung nach 
Frankfurt a. d. O. allerhöchsten Orts verfügt. Nun dem General 
„. Mauteufsel dienstlich direct nicht mehr unsergeordnet, sol v. d. 
Hroeben. bezugnehmend auf jenes misbilligende Sdieß, an 
inen früßeren General son chef der Armee einen seha'vrrien