Full text: St. Ingberter Anzeiger

St. Ingberler Anzeiger. 
Der St. Ingberter Anzeiger (und daß mit dem Hauptblatte verbundene Unterhaltungsblatt, mit der Dienstags⸗, Donnerstags- und Sonntag 
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Samstag, den 10. Februerrr 1872 
Dentsches Reich. 
München. Man sagt nicht zu viel mit der Behauptung, 
daß die neuliche Rede des Fürsten Bismarck auch hier als ein 
Freigniß betrachtet wird. Sie bildete schon nach ihrer Belannt— 
werdung im telegraphischen Auszuge das Tagesgespräch in der 
politischen Welt und die soeben angekommenen Berliner Zeitungen 
mit dem Wortlaute der Aeußerungen des Reichskanzlers werden 
fötmlich verschlungen. Das Bewußtsein der Solidaritat zwischen 
einem deutschen Bayern und der nationalen Politik ist um so 
staͤrker zu Tage getreten, als die Schale der Entscheidung hier 
noch so kürzlich ungewiß auf und nieder schwankte. Der starke 
Rückhalt des Reiches dient jetzt dazu, die Freude über den hier 
erfochtenen Sieg zu verdopplln. 
München, 7. Jebr. Für die auf heute Vorm. 9 Uhr 
anberaumte Wahl eines besonderen Ausschusses von 9 Mitgliedern 
zur Berathung einer neuen Geschäftsordnung der Kammer der 
Abgeordneten fand zum ersten Male eine Einigung der beiden 
Parteien über die zu wählenden Persönlichkeiten statt. Von der 
Fortschrittspartei waren hiezu ausersehen die Herren: Dr. Edel, 
Dr. Frankenburger, Dr. Marquardsen und v. Stauffenberg; von 
der ultramontanen die Herren: Dr. Jörg, Eder, Dr. Ruland A. 
o. Hafenbrädl und Dr. Krätzer. Das Ergebniß der soeben been⸗ 
digten Wahl ist folgendes: Zahl der Abstimmenden 106; absolute 
Majorität 54. Gewählt wurden: Dr. Edel mit 105 St., Dr. 
Ruland mit 105 St., v. Stauffenberg mit 104 und Dr. Jörg 
mit 104 St.; Dr. Frankenburger mit 103 und Eder und A. v. 
dafenbrädl mit 103 St.; Dr. Marquardsen mit 101 und Dr. 
Zrätzer mit 100 S8ütt. 
München, 8. Febr. In der heutigen Sitzung der Abge⸗ 
ordnetenkammer wurde der neueintretende Abg. Engert beeidigt, 
das Austrittsgesuch Kolb's wurde genehmigt. Hierauf sprachen 
jür den Initiativ-Antrag Schüttinger's der Referent Sedlmaier, 
Huttler und Schüttinger, Völk dagegen; durch kgl. Botschaft wurde 
der Landtag bis zum 23. März verlängert. Morgen findet Fort⸗ 
etzung der Debatte statt. 
Würzburg. Am 2. ds. fand in der Aula unter der 
Leitung des Rectors Prof. Dr. Sachs eine allgemeine Studenten⸗ 
persammlung statt, in welcher ein Studentenausschuß für das lau—⸗ 
fende Semester constituirt, sowie über die in der vielbesprochenen 
Polizei⸗Affaire bis jetzt erzielten Ergebnisse referirt ward. n 
Karlsruhe. Am 31. v. Mts. ist in unserer Kam mer 
zum ersten Male die Frauenfrage berührt worden. Der Abgeord⸗ 
nete Müller aus Pforzheim benutzte die Gelegenheit bei Berathung 
des Gesetzes über höhere Töchterschulen, um zu betonen, daß wir 
noch zu weit zurück seien, weil wir die Frauen bei Berathung 
dessen, wobei sie selbst am meisten interessirt seien, namlich bei der 
veiblichen Erziehung, nicht mitwirken lassen. Er glaube aber, daß 
man bald gezwungen sein werde, auch die Frauen in ihr heiliges 
Recht einzusetzen; denn wenn man bedenke, daß jctzt schon Uni— 
versitätsprofessoren, wie Bluntschli, Zeller ꝛc., den Frauen Vor—⸗ 
lesungen halten, was noch vor nicht gar langer Zeit von berühmten 
Männern als Herabwürdigung der Wissenschaft bezeichnet wurde, 
so könne man schon noch zur Ueberzeugung gelangen, bei den 
Fragen, welche die Frauen selbst betreffen, haupisächlich in Bezug 
auf Erziebung und Unterricht des weiblichen Geschlechts, dieses mit 
rathen und thaten zu lasen. 
Berlin, 7. Febr. Die „Provinzialcorrespondenz“ bespricht 
die Aeußerungen des Fürsten Bismarck über das Auftreten der 
Tentrumspartei. Die wirkliche Bedeutung dieser Aeußerungen be⸗ 
ruhe in der mahnenden Abwehr gegen politische Bestrebungen, welche 
aunter dem Deckmantel des religiösen Glaubens ganz andere Zwecke 
verfolgen. Aus den Aeußerungen des Reichskanzlers geht klar 
hervor, daß die Regierung fern davon war, die katholische Be⸗ 
dölkerung irgendwie in ihrem kirchlichen Leben anzutasten oder zu 
»eunruhigen. Auch die Concilsbeschlüsse über die Unfehlbarkeit 
»estimmen die Regierung nicht zu einer Aenderung ihrer Stellung 
ju den inneren Glaubensangelegenheiten der Katholiken. Fürst 
Bismark habe die Frage, ob durch die jüngst verkündete Lehre eine 
zründliche und duichgreifende Wandlang des katholischen Glaubens 
erfolgt sei, nicht berührt. Von dem weiteren Verhalten der Cen⸗— 
rumspartei wird es vor allem abhängen, 'ob und wie bald der 
PWunsch des Fürsten Bismarck erfüllt werde, aus der Calamität 
heologischer Erörterungen auf politischem Gebiete friedliche und 
uhige Auswege zu finden. 
Die neuen Infanteriegewehre werden, wie hiesige Blätter 
nittheilen, noch im Laufe dieses Jahres an die Regimenter der 
deutschen Armee, an die hiesigen Garderegimenter bereits vom 
nächsten Monat ab, vertheilt werden. Der Lauf derselben ist 
zroncirt, Kaliber und Kugel conform dem Chassepotsysteme und 
das Gewicht um Lus Pfund leichter als das der Zündnadelgewehre 
Un Stelle des bisherigen dreikantigen Stichbayonnets wird ein 
haubayonnet treten. 
Für die Vertheidigung des Rheines sollen deutscherseits Ka— 
ronenboote erbaut werden. Vorläusig werden zwei eiserne Fluß— 
Vertheidigungsschiffe (Thurmsystem) mit Doppelschrauben und mit 
je zwei Geschützen für den deutschen Strom angefertigt. 
Fraukreich. 
Paris, 5. Febr. Marschall Bazaine soll heute vor der 
dapitulations Enquetecommission erscheinen. Die Voruntersuchung 
hat schwere Anklagen gegen sein Gebahren erhoben. Derselbe hofft 
jedoch, heißt es, die Commission zu überzeugen daß er unter den 
zegebenen Umständen und mit den vorhandenen Elementen unmög— 
lich anders handeln konnte, als er gethan hat. 
Mittwoch sollen dem „Journal de Paris“ zufolge im Norden 
von Paris ein großes Manbver unter der Leitung des Generals 
Ladmirault stattfinden. 20,000 Mann sollen dabei mitwirken und 
einen Scheinangriff auf ein Fort machen. 
Die französische Regierung beabsichtigt den Absynthtrinkern 
ganz ernstlich den Krieg zu machen. Sie hat einen Gesetzentwurf 
ausgearbeitet, der die Trunksucht mit Strafen belegt. Die, welche 
im trunkenen Zustande aufgefunden werden, zahlen danach eine 
Geldstrafe von 125 Francs. Der, welcher in drei Jahren zwei— 
mal wegen Trunkenheit verurtheilt wurde, würde, wenn er sich 
ein drittes Mal betrinkt, mit einer Gefängnißsirafe von 6-230 
Tagen und einer Geldstrafe von 16—360 Fr. belegt. Außerdem 
wird derselbe für unfähig erklärt, folgende Rechte auszuüben: 1) 
das Wahlrecht, 2) das Recht, gewählt zu werden, 8) das Recht 
Geschworener zu werden, oder sonst ein öͤffentliches Amt zu beklei⸗ 
den, 4) das Recht, während zweier Jahre Waffen zu tragen. Der 
Entwurf bestraft ebenfalls die Kaffee- und Weinwirthe, welche 
zestatten, daß ihre Gäste sich betrinken oder bei fich betrunkene 
Leute empfangen. 
Die Umbildung des rechten Centrums der Nationalversamm⸗ 
lung mit einem entschieden parlameutarischen- Programm ist be⸗ 
schlossen. Dieselbe soll die Antwort der Prinzen von Orleans auf 
das Manifest des Grafen Chambord sein. 
Drei Gesetzentwürfe wurden der Regierung unterbreitet, um 
die Eisenbahn von Paris nach Versailles bis an die Thür der 
Assemble zu Nutz und Frommen der Deputirten zu verlängern. 
Zwei neue Waffen hat die Nationalversammlung den Bona- 
zartisten in die Hand gedrückt: die zugestandene Kündigung der 
Handelsverträge und die verweigerte Rückkehr der Regierung nach 
Paris ! Mlagt der „Temps“. Auch durch die hefligen Auftritte 
ind den gänzlichen Mangel an Disciplin in den Parteigruppen 
st in letzter Zeit das Ansehen der Nationalversammlung sehr ge— 
mindert. Der „Temps“ ist sehr niedergeschlagen; daß er mit der 
Republik des Herrn Thiers kaum besser als mit den Fusionsbe— 
trebungen der Monarchisten steht, ist nicht zu verkennen. Die 
reihändlerische Politik Rouhers wirft auf das Kaiserthum einen 
Blanz. der, wenn er auch keine Restauration verheißt, so doch einen 
zrellen Contrast zu der volkswirthschaftlichen Bornirtheit von Thiers 
und Pouyer⸗Quertier bildet. 
In wenigen Tagen wird das Buch des Herzogs von Gra— 
mont über die Ursachen des Krieges von 1870 erscheinen. Dasselbe