Full text: St. Ingberter Anzeiger

eine Million Männer zu den Waffen zu berufen. Um diese auch 
nur theilweise einstellen zu kͤnnen — denn es kommt nicht bloz 
auf die Zahl der Wehrpfl'chtigen an, sondern auch auf die Cadres, 
in welche sie eingestellt werden sollen — war es nothweundig, die 
Zahl der Kadres zu vermehren. Die franzdsische Nationalversamm - 
ung hat ohne Rücksicht auf die Staatsfinanzen und ohne Unter- 
schied der Parteiean bertitwillig ein jedes Opfer gebracht, welches 
für die Wiederherstellung und Erweilerung der ftanzösischen Heeres⸗ 
nacht gefordert wurde, sie ist sogar noch weiter gegangen? kriegeri 
scher als dec Kriegsminisier, hat sie für einen gewissen Zweck, die 
Heranziehung der ssconde portion in diefem Jahre, der Militar 
sommission siebenzehn Millionen geradezu aufgendthigt. Die 
ranzofischen Communen sind in ihrem Patriotimusnicht zurüce· 
hlieben: fie weisen Exercierplätze, Bäulichkeiten für Offizierscasinos 
an, sie errichten Kasernen u. s. w. Dies Alles gibt uns ein Bild 
pon der Stimmung in Frankreich. Ich glaube nun zwar, daß 
die große Mehrheit der Franzosen, welche ohne Zweisel ihr Miß 
geschich mit mehr Besonnenheit und Wurde tränt, als man glauben 
soune wenn man nur die französtschen Voltsredner hört und die 
französischen Journale liesi, daß diest Mehrheit wohl durchdrungen 
ist von der unbedingten Nothwendigkeit, zunächst den Frieden zu 
wahren. Ich sehe eine Bestäͤtigung dafür auch in dem Umstande, 
daß eben ein einsichtsvoller Militär wieder an der Spitze der 
ftanzosischen Regierung steht. Aber wir haben Alle erlebt, wie die 
franzdfischen Parteien, die ihren Ausdruck in Paris finden, Regie- 
rung und Volk zu den außerordentlichsten Beschlüssen hinreißen 
sönnen. Was von den Vogesen zu ung herüberdringt, ist ein 
wüstes Geschrei nach Rache für die selbst heraufgerufene Niederlage 
Nun, wir sind unseren Nachbarn nicht gefolgt auf dem Wese— 
die Armeen zu vergrößern, wir glauben mit dem auskommen zu 
»önnen, was in dieser Vorlage euthalten ist. Aber wir dürfen die 
nnere Güte unserer Armeen nicht schwächen lassen, weder durch 
Abkürzung der Dienstzeit, noch durch Herabsetzung des Präsenze 
standes. Die erste Maßregel führt, wenn sie üdertaupl einen 
ananziellen Effelt haben soll, zur Miliz. Die darch Milizen ge⸗ 
führten Kriege haben die Eigenthüml:chleit, daß sie sehr viel läan— 
der dauern und schon aus diesem Grunde sehr viel größere Opfer 
an Geld und Weenschea kosten, als alle übrigen Kriege. Ich 
rrinnere Sie nuc an den letzten amerikanischen Secessionskrieg 
der von veiden Seiten wesentlich von Milizen geführt werden 
mußte. Bancrof in der vortrefflichen Geschichte der amerilanischen 
Staalen theilt das Urtheil Washingtons über Mitizen mit. Zu 
feiner Zeit und an keinem Orte konnte eine Forderung unpopulaͤ— 
rer sein, als die, welche Washington immer wieder an den Con· 
greß stellte, die Forderung, ein stehendes Heer zu errichten. Dies 
önnte befremdend erscheinen, aber Washington spricht sich folgen⸗ 
dermaßen aus: „Vie Erfahrung, welche die beste Leiterin für 
das Handeln ist, derwirft so völlig klar und entschieden das Ber⸗ 
srauen auf die Miliz. daß Niemand, der Ordnung, Regelmäßigkeit 
und Sparsamkeit schätzt und der seine eigene Ehre, jeiren Charal · 
jer und Seelenfrieden liebt, diese an den Ausgang eines Unter 
nehmens mit Milizen setzen wird.“ Und etwas später schreibt er 
Kurze Dienstzeit und ein unbegründetes Vertrauen auf die Mi⸗ 
an find die Ürsache alles unseres Mißgeschids und des Anwach 
jens unserer Schuld.“ Beendet wurde bekanntlich der Krieg durch 
das Auftreten eines kleinen Corps von nur 6000 Mann, aber 
wirklichen Soldaten. 
(ESchluß solgt.) 
Muünchen, 16. Febr. Der ällgemeine deutsche „Reichs 
militärgesetzentwurf“ enthält dielfach verschärfte Bestimmungen über 
inzelne Reate gegen das deuische Kriegsdienstgeseßz; unter Anderem 
ist eine Verschärfung der strafrechtlichen Bestimmungen hinsichtlich 
der unerlaubten Auswanderung von Militarpflichtigen und hinsicht 
lich der unterlassenen Anmeldung zur Berichtigung der Stammrollen 
und versäumten Gestellung vor die Ersatzbehörden in Vorschlag 
gebracht. Der F 140 des deutschen Ztrafgesetzbuches handell in 
strafrechtlicher Beziehung nur von dem dvollendeten Vergehen der 
Merlaubten Auswanderung Militärpflichtiger aus dem Reichsgebiete, 
vahrend der Versuch straflos bleiben muß; in Folge dieser Be⸗ 
dimmung ist das strafrechlliche Einschreiten auf eine Zeit hinaus 
gerüdt, in welcher meistens sowohl der Thaͤter als dessen etwaige 
Zelfershelfer mit Sicherheit jeder wirlsamen Verfolgung entgehen, 
beziehungsweise entzogen sind. Der neue Entwurf bedroht nun 
auqh diejenigen mit einer Strafe „welche versuven, das Bundes 
gebiet ohne Erlaudniß zu verlassen, um fich der Erfüllung ihrer 
nden Friedensdiensipflicht zu eutziehen.“ — Weiter waren diejenigen 
Militarpflichtigen, welche ohne genügenden Entschuldigungsgrund 
die dorgeschtirbenen Meldungen zur Berichtigung der Stammtollen 
unterließen, oder der erlafsenen Aufforderung, sich zur Musterung 
oder Aushebung vor die Ersatzzkommission zu stellen, keine Folge 
Heutsches No⸗ich 
eisteten, nur in Geld bis zu 10 Thalern strafbarz, wähcend nach 
dem neuen Gesetzentwurfe allernativ ejne Geldstrafe dis Ju 30 
Diark oder eine Haftstrafe bis u S Tagen verhängt werden kann 
—Munchen, 18. Febr. Dexr dem Reichttage. dorgelegte 
Futwurf des Reichsmilitargeseßes nihait auch eine Bestimmung, 
durch welche das finanzielle Inieresse -det Staädte, in denen⸗ sich 
Barnisonen befinden, wesentlich beeinträchtigt wird. Nach 8 42 
oslen nämlich alle Militärpersonen von der kommuralen Steuer⸗ 
flicht, demnach von ollen direlten Sleuern defreit werden. Eine 
olche Befreiung findet allerdings bisher schon in Preußen. und 
indern deuischen Staaten siatt, allein in Bayern, Wuürttemberg 
Sachsen waren und sind die Miltärpersonen zur Mitttagung der 
direkten Gemeindesteuern verpflichtet. Die Stadtverordneten von 
Dresden hatten sich, wie wir dvernehmen, mit einer Petition gegen 
die Steuerbefreiung des Milidärs an den Bundesrath gewenden 
jedoch ohne Erfolg, allein es wird sich doch lragen, obes nicht 
wecentsprechend erschiene, wenn sicht unsere Gemerndebertretung in 
dieser, in finanzieller Beziehunz“ gewiß icht unwichtigen Frag⸗, 
an den Reichstag wenden würden,“ nur müßte dies allerdings in 
der allerkürzesten Zeit geschehen, da der Mlitärgesetzentwurf, dertits 
in der Kommission des Reichstages berathen wird. igiꝑ 
Müntchen, 18. Februar. Die, Ecrnennung des Ministerlal- 
aihs Hocheder dahier zum Vieeprasidenten 4des Reichtoberhan dels- 
erichts in Teipzig ist dom deutschen Kaiser vollzogen worden. 
Berlin 17. Febt. Dem Reichstage ist dvon der Regie⸗ 
rung eine Dentschrift zugeganger, welche über die Einnahmen aus 
der sranzoösischen Kriegslofienentschädigung Auskunft ertheilt. Die⸗ 
elben ergeben einen Gesammibeltrag von 1, 484, 861, 274 Ihle. Doq 
nüssen von dieser Summe die 86,666,666 Thlr. abgezogen werden, 
velche an Fraukreich für die abgetretenen Eisenbahnen in Elsaß- 
dothringen zurückgezahli sind. Es dleibt alsc eine reine E nnahme 
von 1,8397,884 608 Thaler. Aus diesen Einnahmen sind nach 
den ergangenen Gesetzen die Mittel für eine Reihe dem Reiche 
jemeinsamer Ausgaben vorweg entnommen; so ist für den Reichs 
Indalidenfonds, für Festungs und Eisenbaßndauten, sür den Reichs- 
rriegsschah, die Marine-Verwaltung, Dotationen u.“s.“ w. im 
hanzen die Summe von 480.778,029 Thlr. aus geschieden worden. 
Beranschlagt sind fernes die großentheils noch zu deckenden Betraͤge 
zum Ersaß von Kriegsschäden, Verlusten der deutschen Rhederei 
und der gemeinschaftüchen Krieggausgaben überhaupt im Ganzen 
etwa auf 120 Mill. Thlr., so daß von der gesammten Kriegs 
entschäd igung nach Abrechnung der möglichen Ausfälle eine unter 
die Bundessiaaten zu vertheilende Summe von etwa 793 Mill. 
Thaler übrig bleibt. Hiervon hat Bayern vorweg 90 Mill. b 
onmen. Die übrigen Staaten entnahmen für gemeinsame Rech- 
rung 6 Mill.; dann hat Württemberg erhalten 2813 Mill.; 
viederum sind für gemeinsame Rechnung des norddeutschen Bundes, 
Badens und Südjessens 10812 Mill. angesetzt, nach deren 
Ausscheidung Baden noch 20 Mill. Süddeutschland 9 Mill. be⸗ 
ommen hat; es blieben also für den norddeutschen Bund 530 
Millionen, von denen jedoch über 463 Millionen als Kriegskosten 
irelter und indirelter Natur abgehen. — Die Restsumme don 6612 
RIl. erhöht sich indeß wieder um die dem Norddeutschen Bunde 
auf die erwähnten Kriegsausgaben aus der Entschadigung noch 
desonders zu erstattenden Beträge, im Ganzen um 6314 Millionen, 
so daß für den ehemaligen Norddeutschen Bund rund 130 Mill. 
Thaler disponibel werden. 
Berlin, 18. Febr. Der Reichstag nahm heute in dritter 
Lesung den Antrag von Schulze-Delitzsch, betreffend die Gewaͤhrung 
doun VDiäten an die Reichsstagsabgeordneten, an, worauf zur Bera- 
hung des Antrages von Teutsch und Genossen, betr. die Berufung 
der Elsaß Lothringer zur Abftimmung über die Einverleibung in 
das Deutsche Reich, übergegangen warde. Zu diesem Antrage 
liegt ein neuer, von Teutsch und Genossen eingebrachter Antrag 
dor, desagend: „Denjenigen elsaßlothringischen Abgeordneten, die 
der deutschen Sprache nichi möchtig sind, ist in dieser Sitßung der 
Hhebrauch der franzdsischen Sprache erlaubt.“ Der Präfident 
weist die Unzulassigkeit des lehteren Antrages aus der Geschafts- 
xdnung nach. 
Teulsch verliest hierauf zur Motivirung des Hauptanttags 
ine Rede, worin es heißt, daß Deutschland dei der Annerion die 
Brenzen des einer gediideten Nation zustehenden Rechts verletzt 
dabe, was Larm und Rufe des Unwillens veranlaßt. Der Pra⸗ 
ident ruft Deutsch zur Ordnung. Dieser fährt sort: Ich verlest 
ine Uebersetzung und will Niemand beleidigen, am wenigsten Sie.“ 
Redner versuücht nachzuweisen, daß die Annexion eine widerrechtlicht 
sei, Napoleon Ul. habe nie ohne Volksabstimmung annectiren 
vollen, sondern wenigstens dersucht, den Schein zu retten. (An⸗ 
valtendes Gelächter.).,Wir sind hierher geschictt, um unsere An ˖ 
jänqlichkeit an das frauzosische Vaterland zu belunden. Wir 
danen sie nach der an uns hegangenen Gewaltthat als Brud er 
ucht anerkenner. Deutschland beding mit der Annexion den