Full text: St. Ingberter Anzeiger

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Sb. Ingberter Anzeiger 
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e eicheiat vl atlich viernal: Dieusstan, Derner ätan, Sambtag und Sonntas. Abennementapreis vierteljahrig 2 Arze. d⸗ 
12 Silberar. Kngeigen werden mit 4 Arrr. die dreispaltige Zeile Blattichrift oder deren KRaum berehhuet. 
Samstag, Cꝛu 20 Rcruar F J —— 
— — 1871 
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Die parlamentarische Woche. 
Die Verhandlungen des Reichstagt in der bergangenen Woche 
daben den Beweis dZeliefert, daß es nicht der Inszenesezung det 
Jroßen Kulturkampfes dedarf, um erregte Dislussionen, dramatifche 
Szenen mit weitem historischen Hintergrunde in unserem Parla⸗ 
mente herdorzurufen. Die Szene für den Kulturkampf“ war 
dieumal in das preuß. Herrenhaus verlegt, wo in laug sich hin⸗ 
ziehendet und von dem großen Publikum wenigbeachteter Bera- 
ihung der vom Abgeordnetenhause angenommene Gisetzentwurf über 
die Einführnng der obligatorischen Cibilehe einige Abänderungen 
erfahren hat, welche das Zustandekomten des Gesetzes nicht hindern 
werden und vom Standpunkt der Fortschrittspartei seltsamerweise 
jogar als Verbesserungen aufgefaßt werden müssen. Es gilt dies 
namentlich in Bezug auf die beschlossene Ausschließgung der Grist⸗ 
sichen von den Funktionen der Zidilstandsbeamten. Für den dra⸗ 
matischen Effekt war auch insofern gesorgt, als auch wieder die 
dekannten antediluv'anischen Gespenster in der Person des Herrn v. 
Aleist-Retzow, Senft von Pilsach, Graf zur Lippe über die Scene 
Angen. Graf Brühl hatte außerdem für eine Ueberraschung ge⸗ 
orcgt durch Einbringung des nuiven Antrages, der wirklich die 
Stimmen von fünfzehn Herren für sich hatte. Doch lofsen wir 
die „Todten ihre Todten begraben“ und wenden wir uns von 
den Mumien des preußischen Oberhauses zu dem lebensvollen 
Wirken des deutschen Reichstages, der aus den freiesten demokra- 
tischen Wahlen hervorgegangenen Vertretung der deutschen Nation ˖ 
Hochwichtige Gesetzentwürfe ton weittragender prinzipieller Bedeu⸗ 
sung waren in der abgelaufenen Woche Gegenstand der ernstesten 
Ditkussion. Wir heben zunächst hervor, das Reichsmilitärgefetz, 
das Neichspreßgesetz. den Entwurf eines Gefetzes zur Abänderung 
der Gewerbeordnung. Alle diese Gesetzentwurfe sind nach der ersten 
Berathung besonderen Kommissionen überwiesen worden, theilweise 
gegen den Widerspruch der Fortschrittspartei, die nicht ohne Grund 
türchtet, daß hinter den Kulissen jenes Intriguenspiel aufs Neue 
begonnen werden koönnte, weiches ror 8 Jahren zu der Bewilligung 
des Pauschquantums führkte. Um Uebrigen hat uns die Diskussion 
zu unserer Genugthuung bereits die Sicherheit verschaffl, daß die 
Vorlagen der verbuͤndeten Regierungen in ihrer ursprünglichen 
Fossung auf die Unterstüßung eines nur sehr kleinen Theils des 
zegenwärtigen Reichstag rechnen können. Die Anschauungen nnd 
Gesichtspunkte, welche don den Rednern der Feortschrittsparlei in 
früheren Sessionen fuͤr die Schaffung einer Heeresorganisation 
geltend gemacht worden sind, die, ohne die Wehrikraft der Nation 
zu schwächen, verträglich ist mit dem Budgetrecht der Volkt vertre ⸗ 
tung und vereinbar mit den wirthschaftlichen Leistungen des Volkes 
haben mehr und mebr Etngang gefunden, und die von ihnen 
ausgesprochene Ueberzeugung, daß die Entf sselung des freien Wor 
ies, die Befreiung der Presse von Präventivmaßregeln und unge⸗ 
echten Abgaben zumeist den Freunden politischer und bürgerlicher 
Freiheit, des in Freiheit geeiniglen deutschen Volksstaates zu Gute 
lommen müsse, veginnt auch in solche parlamentarische Keeise ein⸗ 
uudringen, welche die Fortschritt pariei des unverbesserlichen utopi⸗ 
chen Radikalismus beschuldigten. Auch die Diskussion über die 
Bewerbenovelle hat sehe bemerkenswerthe Fortschritte in der Be— 
feiung voa vorgefaßten Meinungen konstatirt. Die juristische Un⸗ 
geheuerlichleit, den Kontrakthruch der Arbeitnehmer unter Strafe 
zu stellen, faud nur an zwei konserdativen Abgeordneten, einem 
zeichen Fabrikanten der Rheinproving und einem großen Grund⸗ 
defitzer, Vertheidiger, während Lasker mit der unwiderstehlichen 
arfen Logit seiner eindringlichen Beredsamkeit die juristischen 
Maͤngel des Gesetzentwurfs in geradezu vernichtender Weise belegte. 
Wahrend der Sozialdemokrat Hasselmann mit pomphaften 
Dellamationen, die indessen manchen glücklichen Gedanken hatien, 
»aß Gesetz bekämpfte, dabei aber nicht undeutlich den Wunsch durch 
blichen ließ, die Majorität wöchte das Gesetz annehmen, welchet an 
iich ungerecht und unwirksam, zur Verftäskung der vorhendenen 
Klassengegensätze führen und somit zur Unterstüßung der sozialisti- 
shen Vropafonda bienen würbe traten sowobl köstee als ouvb di—⸗ 
Redner der Forischrititpartei für die Aufrechterhaltung der frei⸗ 
villig übernommenen Verbindlichkeiten ein, wollten dieselben aber 
nicht durch juristifche Ausnahmegesetze, sondern durch Verollgemeine 
ung der Volksbildung, durch Verbreitung der wirthschaftlichen 
rrkenntniß, insbesondere aber durch die staatliche Anerlennung und 
Foͤrderung der deutschen Gewerkvereine, der Einigungs⸗ und 
„chiedsamter gewahrt wissen. 
Der Schwerpuntt der Arbeiten des Reichstags wird somit in 
zer nächsten Zeit wesentlich in den Kommissionen ruhen. Die 
dattgehabten Diskufsionen berechtigen uns jedoch zu der Hoffnung, 
aß die hochwichtigen Aufgaben, welche ihnen übertragen sind, im 
Beiste der polisischen und bürgerlichen Freiheit eine vollständige 
ind durchgreifende Umarbeitung erfahren werden. Auf solcher 
Brundlage, welche unseres Erachtens die Lebenebedingung für eine 
zefriedigende Entwicklung des deutschen Reiches ist, wird auch die 
zeutsche Fortschrittspartei gerne ihre Hand bdieten, um eine Ver 
tändigung in allen Fragen herbeizuführen. 
ge ze Deutsches Neich 
— Mänchen, 19. Febtuar. Vom Cultusministerium ist jüngst 
eine Entschließung ergangen, worin es heißt: „Gemäß Paragraph 12 
er Verordnung vom 18. April 1873 über die Errichtung und 
deitung von Erziehungs; und Unterrichtsanstalten haben die Auf⸗ 
ichtsbehorden bei der Visitation solcher Austalten der Beschaffenheit 
)er Lokalitäten, der Reinlichkeit, dtr Verpflegung und überhauyt 
den sanitätspolizeilich n Normen entsprechende Aufmerksamleit zuzu⸗ 
venden. Die im Jahre 18783 vorgenommene Visitation vieler 
Institute hat gezeigt, daß in nicht wenigen Erziehungsar stalten 
Seminar:ten, Alumnen, Penfionaten) die bestehenden Einrichtungen 
aamentlich in Bezug auf die Lokalitäten den nothwendigen Anfot- 
derungen der Hygiene nicht entsprechen.“ 
Munqhen, 24. Februar. Die Einlieferrng alterrr Münz- 
orten an das k. Hauptmünzamt hat zusolge Finanzwin'sterial- 
entschließung zu unterbleiben. Sollte an derartigen, jedenfalls nur 
in geringen Beträgen noch vorkommenden Münzen bei irgend 
einem Kassabestande noch vorhanden sein, so sind dieselben vorerst 
aicht wieder in den Verkehr zu bringen, sondern für die seinerzeitige 
allgemeine Einziehung aufzubewahren. 
—München, 25. Febr. In einer Müncherer Korrespondenz 
durde dieser Tage behauptet, daß die zur Berathung und Begu:- 
aichtung des Gesuches um Anerlennung des Herun Bischofs Rein- 
ens niedergesetzte Kommission ihren Ausspruch dem Kultusmini⸗ 
serium bereits unterbreitet habe und daß man seither mit Sebn- 
acht der Entscheidung der Staatsregierung harre. Dem entgegen 
nuß aber versichert werden, daß die Kommission, seitdem sie in 
hrer Sizung vor mehr als zwi Monaten den Herrn Reichsrath 
Drof. v. Poͤpel zum Referenten wählte, keine weilere Sitzung ge⸗ 
zabt und demzufolge auch noch keinen Beschluß gefaßt hat. (Ultra⸗ 
nontane Blätter brachten zwar schon vor mehreren Tagen die 
Nachricht don Ablehnung der Anerkennung des Bischoss Reinkens 
n Bayern.) Es duͤrfte aber allerdings jJeßt anzunehmen 
ein, daß der Referent baldigst in der Lage ist, seinen Bericht der 
dommission unterbreiten zu innen und daß dieselbe dann in 
rjester Zeit wird in Verathung treten können. Daß über den 
n mehrfacher Beziehung wichtigen Gegenstand aus der Feder des 
derrn v. Poͤpel ein sehr gründlich gearbeitetes Referat zu erwarten 
st, darf mit Sicherheit angenommen werden. (Fr. Kur.) 
Straßburg, 25. Febr. Das ‚Elsösser Journal fordert 
zie he'mgelehrten elsaßlothringischen Abgrordneten auf, mit Rück⸗ 
icht auf die zu vertreienden zemeinsamen Interessen in den Reichs⸗ 
ag wieder einzutreten. — In demsilben Blatie erklärt Prof. 
Bluntschli: Wenn Teutsch in der Reichstagssizung vom 18. Febr. 
hu richtig und vollsländig citirt hätte, würde sich Jedermann 
iberzeugt baben, daßk die kraaliche Stelle keine Bestäticuna, son—