Full text: St. Ingberter Anzeiger

hereins unter Anwesenheit des Kronprinzen und des Handels⸗ 
ninisters statt; über 1000 Personen waren anwesend. Die nächste 
Heneralversammlung wird 1876 in München zusammentreten. 
— Es ist interessant, die Haltung zu beobachten, welche die 
voltsparteiliche Presse verschiedenen Vorfällen der jüngsten Zeit 
zegenüber einnimmt. Als Deutschland sich bemühte, die europäischen 
Staaten zur Anerkennung der spanischen Republik zu bewegen, 
da mußte doch jeder freisinnige Mann vom zahmsten National⸗ 
zsiberalen bis zum starrsten Demokraten sich freuen, daß auf diese 
Weise das Legitimitätsprinzip einen veuen Stoß erhalten, die Idee 
des Selbstbestͤmmungsrechtes der Voölker einen neuen Sieg errun⸗ 
gjen habe. Und als Rußland die Anerkennung verweigerte und 
Deuijchland dessen ungeachtet allein vorging. da konnte man sich 
wiederum freuen, daß die Leiter der deutschen Politik sich nicht 
stre machen ließen und, so werthvoll auch die Freundschaft des 
nordischen Kolosses für uns ist, sich vicht durch Rüchsichten auf 
Aenselben abhalten ließen, das zu thun, was einer aufgeklärten und 
weisen Regierung zu thun würdig war. Was that die volks 
harieiliche Presse diesen Vorgängen gegenüber ? Sie floß über 
hon Spott, Hohn und Schadenfreude über diese angebliche, Nieder⸗ 
sage der deuischeu Politil“ und zeigte damit auf's Neue, daß der 
Demokratismus dieser Partei nichts als eine Maske und daß das 
vahre Band, das sie zusammenhält, nur der Haß cegen ihr eigenes 
Haierland, gegen das Deuische Reich ist. Als neulich ein Carlisten⸗ 
hlatt einen Brief veröffentlichte, den Kaiser Alexander angeblich au 
Don Carlos gerichtet haben soll, da mußte jeder freisinnige und 
deuischgefinnie Mann vor Allem ein Gefühl der Befriedigung 
mpfinden darüber, daß der Deutsche Kaiser es besser versteht, 
jeine persönlichen Neigungen und Ansichten dem Intersse des 
Staates unterzuordnen, als sein Naffe anf dem rusfischen Kaiser⸗ 
hron. Die volksparteilichen Blätter dagegen reiben sich vergnügt 
die Hände und freuen sich lindisch über den „Fußtritt“, den die 
deutsche Politik angeblich von dem russischen Czaren erhalten. Auch 
die derkörperte Reaktion, das rufsische Knutenthum, darf eben auf 
den Beifall der Volkspartei rechnen, wenn nur Deutschland irgend 
welchen Schaden leidet. Das ist diese Clique von unfähigen und 
bornirten Menschen, welche die Welt hassen, weil der Schöpfer bei 
der Erschaffung fie nicht konsultirt hat; das ist diese Partei, die 
so weit herabgeiommen ist, daß man sie nicht einmal mehc 
Hekampft, sondern nur von Zeit zu Zeit vorführt, als eine der, 
trankheiteerscheinungen das sozialen Lebens. — Was die 
Schlappe? anbelangt, welche das Deutsche Reich nach dem 
HZeschrei der Volkspattei und ihrer guten Freunde, der Uttramon- 
sanen und Sozialdemokraten angeblich erlitten haben soll, so ist 
das eilel Schwindel. Die Frage der Anerkennung Spaniens ist 
eine solche, über welche die besten Freunde verschiedener Ansicht 
sein können; wir haben uns die Beziehungen Deutschlands zu 
Rußland ũberhaupt nie als ein Bündniß bvorgestellt, das beide 
Staaten zu gieichem Handeln in allen politischen Fragen verpflichtet. 
Wenn nun dewerbsmäßige Kriegshetzer, die für die nüchsten 14 
Tage einen Weltkrieg prophezeien, wegen dieser Meinungsverschi e⸗ 
denheit zwischen den beiden Großmächten getrübte Beziehungen und 
jar einen Krieg in Aussicht stellen, so ist das ein unsinniges 
Ammenmährchen, mit dem man politische Kinder und alte Weiber 
naännlichen Geschlechts vielleicht schrecken kann, über das ein 
dernünftiger Mann aber pur lachen wird. (Fräuk. Kur.) 
Fraukreich. 
Paris, 28. Sept. Der „Bien public“ glaubt zu wissen, 
auf den Antrag einer eigens im Marineministirium n'edergesetzten 
Fommission hade die Regierung beschlossen, einen Gesetzentwurf 
inzubringen, dem zusolge sammtüche Deportirte in Neu-Caledonien 
fortan zwangsweise zu physischer Arbeit anzuhalten und die zur 
Deportation nach einem befestigten Platze Verurtheilten nach Ile 
des Pins zu verbringen wären. Der beireffende Gesetzentwurf sfoll 
bei Beginn der neuen Sesston eingebracht werden. Inzwischen 
Jeht Henri Rochefort, dessen Entweichung ohne Zweifel zu diesen 
verschärfenden Maßregeln Veranlassung gegeben hat, in Genf spa⸗ 
zieren. Et ist dort, wie man der „Liberte“ schreibt, im Hotel 
de PEcu abgestiegen, wo sich zufällig auch der Prinz Napoleon 
hefand. Als dieser von dem neuen Ankömmling erfuhr, verlangte 
er sogleich sein Rechnung, wodurch sich der Wirth genöthigt sah, 
Rochefort das Unterlommen zu verweigern. Deiselbe hat dann 
mit seiner Tochter im Hotel du Lac Quartier genommen. Er hält 
sich, wie es scheint, von den dort weilenden Communeflüchtlingen 
jorgsam fern; einem amerikanischen Zeitungslocrespondenten, der 
hmeseine Berwunderung darüber aussprach, erwiederte er: „Wie 
ann ich anders? Sie sind so schmutzig!“ Die Auflage der 
Lanterne“ beträgt nach dieser Quelle 1600 Exemplare, wovon 
nicht weniger als 2000 regelmäßig nach Frankreich eingeschmuggel 
verden. 
Paris, 24. Sept. Thiers ist gistern Abend nach Jia⸗ 
ien abgereist. — Der berühmte Geologe Elie de Beaumont ist 
Jestorben. — Eine karlistische Depesche aus Tolosa vom 22. d. 
neldet: Die Crlisten nahmen die Kirche und das Dorf Biur⸗ 
⸗um mit dem Bajonnet und machten 80 Gefangene. 
Zwischen der Exlaiserin Eugenie und dem Prinzen 
stapoleon⸗Plon⸗Plon ist ein vollständiger Bruch eingetreten. Der 
tothe Prinz ist in Paris angekommen und gedenkt eine Schrift 
uu veröffentlichen, in welcher er die Gemahlin Napoleons des 
Dritten auf alle woͤgliche Weise bloßstellen wird. In dieser Schrift 
vird nicht allein der unheilvolle Einfluß auseinandergesetzt wer⸗ 
ven, welchen die „Spanierin“ auf die Politik und Geschicke 
Frankreichs außgeübt, sondern auch die Geschichte ihrer Heirath 
nit Napoleon dem Dritten in allen ihren Einzelheiten erzählt und 
ogar ihre frühere Lebensgeschichte mitgetheilt werden. Freunde 
»es Skandals moͤgen sich freuen, — der Stoff ist vorzüglich. 
Spanien. 
Madrid, 23. Sept. Eine Abtheilung von 800 Gen⸗ 
»armen nebst 200 Zollwächtern zersprengte bei Jat'va (Provinz 
Balen ia) ein 2000 Mann starkes Carlistencorps, welches die 
Fisenbahnbrücke bei Albaida und die dortige Telegraphenleitung 
erfiört hatte. Ein Transport von Lebensmitteln ist von Tafalla 
n Pampeluna eingetroffen. 
Vermischtes. 
Man mel et dem „Land. Eilb.“ aus Annweiler, 20 
Zept.: Der günstige Einfluß der Eifenbahn auf unsere Verlehrs⸗ 
verhältnisse macht sich in erfreulichet Weise hvon Tag zu Tag mehr 
emerkbar und es gewinnen die Straßen durch die täglich 
intreffenden Toaristen ein lebhaftes Reußere. Heute führten die 
zerschiedenen Züge wieder Gäste zu Hunderten in unsere Stadt und 
jatie sich namentlich der Trifels wieder zahlreichen Besuches zu 
rfreuen. 
pKaiserstautern. Die Pilzausstellung (in einem 
Zaale der Kreisgewerbschule) weist ca. 830 verschiedere Arten 
zenießbarer Pilze auf, welche in der Umgegend von Kaiserslautern, 
m Bienwald und bei Dürkheim (Seebach) gesammelt wurden. 
Aus dem Bienwald wurden auch Speisetrüffel geschidt. Ferner 
ist eine Anzahl ungenießbarer Pilze ausgestellt. Am 22. wurde 
die Ausstellung von Herrn Regierungspräsident v. Braun besucht 
n Begleitung der HH. Bezirlsamtmann Medicus und Bücger⸗ 
neister Hohle. Die Ausstellung wird am 25. September 
geschlossen. 
'Speier 22. Sept. (Pf. 3.) Am A 
zurch den lönigl. Regierungs-Assessor und Kreis- Schulreferenten 
Frhrn. v. Roman d'e Anstellungsprüfung für die pfälzischen 
Schuldienst⸗ Erspektanten erbffnet. Von den 66 Exspeltanten 
gehören 35 den vrotestantischen, 28 dem katholischen und 8 dem 
zraelitischen Bekenntnisse an. 27 derfelben wurden in den 
Jahren 1866— 70 aus den Seminaren enllassen. Von den im 
Jahte 1870 aus den beiden Seminarien entlafsenen Zöglingen 
anden sich 39 zur Prüfung ein: von den übrigen 28 wurden 5 
mus trifligen Gründen dispensirt und der nächstlährigen Prüfung 
ugewiesen, 5 traten in den reichsländischen Schuidienst und 8 in 
)en Bahndienst, 3 sind gestorben, 3 mußten aus dem Schuldiensi 
nnasien werden und 9 sind freiwillig aus dem Schulfache 
usgetreten. 
fSpeier, 283. Sept. Der „Roßkeller“ wurde gestern 
im die Summe von 40,000 fl. von Gebrüder Schultz ersteigert. 
Die Versteigerung des Wohnhauses sammt Bierbrauerei blieb 
vorerst resultatlos. 
p Die Ropf.“ meldit aus Handofen 21. Septemb.: Heute 
vurde die älteste Frau der hiesigen Gemeinde zu Grabe getragen. 
dieselbe, Namens Eva Maria Kripp, war 1779 geboren und 
rreichte demnach ein Alter von nahezu 95 Jahren. Noch dor 
venigen Wochen konnte sie dem Gottesdienste beiwohnen, wo sie 
zhne Brille aus ihrem Gebetbuche las. Eine zahlreiche Nachkom⸗ 
nenschaft ssand am Grabe der Verblichenen, und ein ergreifender 
Moment war es, wie ihre drei Töchter im Alter von 69, 67 und 
39 Jahren den Tod der Mutter beweinten. Gewiß ein seltener 
Fall, daß eine Mutter mit drei Töchtern das respectable Alter 
von 290 Jahren zusammenbringen. 
Geisweiler, 22. September. Am 8. Februar cr. drannte 
er Kostgänger eines hiesigen Einwohners mit der Frau des Letz⸗ 
eren durch, nahmen das 13 Monate alte Kind desselben, das 
Finkommen eines Lohntages und fast sämmtliches Leinen⸗ und 
Zettzeug mit. Mit Paß verseben, glaubte das Paar sich dem 
leme der Gerechtigkernr ent iehen zu kͤnnen, jedoch gewahrte das