Full text: St. Ingberter Anzeiger

enischieden, daß decartige Bestimmungen nicht im Widerstreit mit 
der Reichsgewerbeordnung seen. 9*P 
Barder Feier des Krönungs- und Ordensfestes in Berlin 
wurden durch Ordensverleihungen anagezeichnet u. A: Hofinger, 
Landesgerichtẽpräsident in Mühlhausen, Janton, Kreis— 
schulinspeltor in Forbach, mit dem rothen Aolerorden 4. Klasse 
e Wirtigens, Kanionalarzt in Bliisch, mit dem Kro 
nenorden 4. Klasse. 
peipzig 16. Jan. (Aus der Recht'prechung des Re'chs⸗ 
Oberhandeisgerichts.) Am 1. März 1872 lieferte eine Fabrit 
eine bestellte Dampfmaschine ab; der Kaäufer schrieb acht Tage da⸗ 
rauf, daß die Maschine nicht gehe, und wenn der Fasrilant die 
Maängel nicht beseitige, fo werde er von ihm Schadenersatz fordern. 
Monate lang wurden vom Fabrikanten vetgebliche Versuche ge⸗ 
mucht, um die Dampfmaschine in brauchbaren Stand zu fetzen; da 
brach ein Brand aus und zerstörte die Dampfmaschine. Nunmeüx 
klagie der Käufer auf Erstattung von täglich 10 Mark von der 
Lieferung bis zum Brande, weil er so viel hätte mit der Dampf- 
maichine verd'enen koͤnnen. wenn sie ihm in gutem Zustande ge— 
siefer worden wärr. Die Vorrichtet wiesen die Forderung zu⸗ 
ruck, indem sie annahmen, im Gestatten der Verbesserungsversuche 
liege eine Zustimmung zu denselben, also eine Art Verzicht. Das Urrhu 
wuͤrde vernichtet; eine derartige Befaͤlligkeit enthäl keinen Vereht 
auf die Rechtsfolgen des Berzuges in Lieferung einer verltagmä— 
zigen Waare. — Bei einem norddeulschen Appellationsgerich! 
barde ein Prozeß entschieden, in welchem es sich darum handelte. 
ob eine Altiengesellschaft zur Honorirung gewisser Dividenscheine 
vrrpflichtet sei. Der Vorsitzende hatte ebenfalls solche Dividenden 
anspruche an jene Gesellschaft außergerichtlch geltend gemacht. Als 
hdiese den Prozehß verlor, focht sie das Urtheil als nichtig an auf 
Grand persönlicher Betheilig jenes Richters. Der Rekurs wurde 
berworfen; nur direkte Velheiligung am Ausgange des Prozesses 
macht den Richter unfähig, und eine solche Kegt nicht in der 
Möglichkeit des gheschen Prozesses; ein Ablehnuungsgesuch gegen 
den, Richter war vor Erlassung des angefochtenen Urtheils nicht erhoben. 
Fine ganz andere Frage ist natuͤrlich, ob es nicht Sache des Zart⸗ 
gJefühles für den Richter wäre, in einem solchen Falle auf die 
Minwitung zu verzichten. — Ein Rittergutsbesiter hatte unter Bei⸗ 
sügung seines Wohnsitzes ein Blanko⸗Accept auf Höhe von 3000 
He. ertheilt; dessen En pfänger fügte aber noch einen Domizilder⸗ 
merk hinzu. Dies wurde sür unstatihaft und darum der Wechsal 
für ungiltig erk ärt, weil das Domizil des Trassaten uund Ace . 
anten auch den Zahlungsott bildet, sofern nicht ein besordas 
Abkonmen stillschweigend oder ausdrücklich getroffen wird. 
pBremen, 19. Jan. U⸗ber die Abnahme der Aus— 
wanderung schreibt man dea „Hamburger Nachrichten: Auswan 
derung über hier hat im vorigen Jahre 30,636 Personen in 151 
Schiffen betragen gegen 63,243 Personen in. 208 Schiffen im 
Jahre 18738. Von der vortgiährigen Gesammtzahl begaben sich 
21324 Personen zunachst nach Rew Yorl, 7900 nach Baltimore, 
1008 nach New-Orleans. 
FKuürzlich starb in der Nähe Berlins ein Greis, dessen 
Leben zu den pfychologisden Raͤthseln gehört. Philipp L., ein 
geborenes Berliner Kind, war der Sohn eines reichen Töpfermeistes 
Ind in seinen Jugendjahren ein Taugenichts erster Klasse. Er 
hatte das Handwert seines Vaters erletnt, um nich dessen 
einst das recht einträgliche Geschaͤst übernehmen zu kdunen, 
fümmerle er sich um letzteres schon zu Lebzeiten des Vaters 
wenig und verbrachte er Tage und Nächte in der leichtsim 
Gesellschaft, feine brade und hübsche junge Frau vollständig 8 
nachlässigend, so ging die tolle Wirlthjchaft erst recht los, als der 
Vater starb und ihm, dem einzigen Kinde, ein schöͤnes Haus und 
ein baares Bermögen von mehr als 30,000 Thalern hinterließ. 
Die unglückliche junge Frau starb vor Gram, während Philipp 
seinem leichtsinnigen debenswandel nicht eher ein Eude machte, bis 
der letzte Thaler todtgeschlagen war. Dann schnürte er sein 
Bündel und ging, 38 Jahre alt, als — Toͤpfergeselle in die Fremde. 
kefliß sich allenthalben des solidesten Lebenswandels und eincet 
stets zunehmenden Sparsamkeit, etablitte sich zeha Jahre später a 
Meister in Hamburg, ohne je wieder zu heirathen, und kehrte 
1849 nach Berlin zurüdc, scheinbar aus blutarmer Mann, obgleich 
er bei den wenigen Verwandten, die er noch hatte, im Verdacht 
fstand, Wuchergeschäfte zu treiben. Als ihm Wohnung und Lebens— 
mitiel in Verlin zu theuer wurden, zog er 1867, bereits im 72. 
Jahre, zu der noch einzigen, etwa sechs Meilen von hier auf dem 
Zade Abenden Verwandien. Sein bereits bekannter Geiz steigerte 
ach hier von Jahr zu Jahr bis ins —XXVD 
eine Verwandie selost nur von ihrer Hände Arbeit und der Ur 
terstützung ihrer beiden Söhne lebte, von denen der eine im Ort' 
als Schumacher, der andere in Berlin als Drechsler verheirathet 
ist, so zahm der alte Herr doch ihre Unterstützung in Anspuch, 
ndein er äußerte: „Du erbst doch einmal meine paar Hundert 
Thälerchen ganz allein.“ Sein Geiz war zuletzt so groß, daß er 
ich sogar von den geschenkten Kartoffeln und Wassersuppen nicht 
ait zu essen wagle, so daß der Arzt, welcher nach seinem ueulich 
folgten Tode im Interesse der Wissenschaft seine Leiche üffnete, 
erkläcte, der Alte sei, bei sonst ganz gefundem Körper, nur aus 
Mangel an Nahrung gestorben. Seit Jahren schlief er nur in 
einer vollen Kleidung auf purem Stroh. Sehr häufig begab 
er sich nach Berlin, aber nur zu Fuße, indem er fich hin und 
zurück auf's Betleln verle te. Oefter nahm er seinen Verwannten 
das Versprechen ab, daß sie nach seinem Tode seine Leiche nicht 
mit Waschen und Umklleiden quälen möge, soudern ihn gerade so 
in den Sarg legen lasse, wie er auf dem Stroh liezge. Dieses 
Versprechen wollie sie auch gewissenhaft halten, besonders als sich 
in dem Koffer des Alten unter den wenigen Lumpen,welche 
zleideng;«stück? und Wäsche darstellen sollten, die Summe von mehr 
als 500 Thlr. in Gold und Kassenscheinen fand. Ihr Sohm aber, 
)er Schuhmacher, war klüger, er bestand auf der Entkleidung und 
näheren Untersuchung, und siehe! in den verschiedenen Kleidungs 
tücken eingenäht fand man die hübsche Summe von 23,000 Thlr. 
in lauter neuen Hundertthaler-Kassenscheinen! Dafür bekam der 
Jeizige Erblasser auch einen neuen schwarzen Anzug und JTeinen 
chönen eicht. en Sarg. Ob sich der Geszhals dieser Verschwendung 
vegen nicat ven Grabe umgewendet hat??: 
FIn Unm hat am 14. der „Spar- und Creditverein“ seine 
Zahlungen eingestelt. Der Starz der Wärttembergischen Commis⸗ 
nonsbant“ war diesem Fall vorausgegangen. Die Verluste sollen 
mehr als eine Million Gulden betragen und hauplsächlich Ober⸗ 
chwaben von Geislingen bis Ravensburg betreffen. Im März 
1873 war bereits in zrei Broschüren gewarnt nund dararf auf⸗ 
nerksam gemacht worden, daß dieser Sparverein nur das Geschaäft 
———— 
zurften die beiden Herren für eine und eine halb Millionen 
Dbügationen ausgeben. Eine Mençe Vauerngund Handwerkaleute 
haben nun Hr sauer erspartes Geld verloren. 
Das „Fr. J.“ Ppricht gerüchtweise von der angeblich be⸗ 
vorstehenden Verlobung oes Ergroßherzozs Friedrich Wiihezm von 
Baden mit der Prinzessin Beattix, jüngster Tochter der Koͤnigia 
—X 
4 GSeltener Fall von Wahnsinn.) D'e öffealiche Hinrichtung 
ines Moͤrders, des Kräutermannes Moreau in Paris, hatte zur 
Folge, daß E'ner, der auch Moreau heißt und der Guiollotinirung 
eines Nameneneercz be'wohnte, darüber wahnsinnig und von der 
txen Idee banet wurde, er sei der Hingerichtete und sein Kopf 
seĩ wieder 635ecant worden. „Die Akademie der Wisssnschaften“, 
sagte er, als r den erstaunten Brigadier in der Straße Tiquetonne 
ruhig bat, ihn zu verhaften — „hat mir den Kopf wieder aufsetzen 
lassen, aber mann hat es schlecht gemacht, die Adern passen nicht 
recht aufeinawder, dadurch ist der Blutumlauf gestört und es friert 
nich sehr. Es reut mich, daß ich diese Op.ration mit mir habe 
nachen lassen, anstatt in Kopf nud Rumpf getheilt zu bleiben.“ — 
Der Bedauernswerthe wurde —in das Irrenhaus nach Charen 
on gebracht. 
F Dir Thierbandiger Bidel, der gegenwärtig seine Menagerie 
in Paris zeigt, war dieser Tage in Gefahr, von seinen Thieren 
—V V 
egangen in dem üch drej Löwen, 2 Hyanen, 2 Bären, 1Schatal, 
Schaf und 1 Ernphant befinden. Plößlich ging eun Bär, der 
id sonst vor dem Löwen fürchtet, brummend auf diesen los. Bidel 
vollie die anein nder gerathenen Thiere trennen; er faßte den 
Bären am Genicke und entriß ihn den Klauen des Löwen. Dieser 
ließ ein furchtbares Gebrüsle aus und versetzte dem Thierbändiger 
einen Klauenhieb, der ihm die Haut von einer Hand herabriß und 
hu am Schenkel verletzte. Trotz des Blutverlustes bewahrte Bidel 
einen Gleichmuth. Wohl wissend, daß es um sein Leben gehe, 
—„X 
In um zwang sie, sich niederzulegen. Wäre er nur einen Schritt 
urüdxen chen, so würde es um ihn geschehen sein nud sdie Bestien 
dürden ihn zerrissen haben. Unter den Zuschauern herrschte pa⸗ 
nischer Schrecken, dem jedoch der Thierbändiger ein Ende machte, 
indem er, nachdem feine Wunden verbunden waren, grüßend wieder 
»or dem Publikum erschien. 
4 In einem Orte in der Um egend von Toulouse wurde in 
den ersten Tagen dieses Jahres ein Diebstahl ausgeführt, der in 
rolge einer Verwechselung zu einem verhängnißvollen Massacre 
zeranlassung gab. Es waren nämlich Diebe in das Schlafzim ⸗ 
ner einer Familie eingedrungen. See nahmen bie Kleidungastücke 
des Hertu M., die auf einem Stuhle am Fuße des Bettes lagen, 
intersuchten die Taschen, bemächtigten sich der darin befindlichen 
Münzen im Betrage von ungefähr 1000 Fr. und nahmen aus 
iner Brieftasche, die viele Werthpapiere enthielt, ein Bankbillet von 
1000 Fr. Der Schwiegersohn des Herrn M., der in denselben 
Zaufe wohnte, hatte das Geräusch gehört, sprang aus dem Bette 
ind bewaffele sich mi einem Revosber. In damselben Augen- 
licke Zar auch die in einem Nebenzimmer schlafende, Frau des M.