Full text: St. Ingberter Anzeiger

gekauft, ver nur zu finden war, echte brüsseler Spitzen pum Brsatz, 
durz ein Kleid, in dem sih eine Primzessin haätte trauen lassen 
hnnen. Zur Bearbeitung des Stoffes war der Braut von e ner 
Freundin ein Schneider aus Berlin empfohlen worden, der denn 
duch am Montag voriger Woche eine Einladung erhielt, um der 
Braͤut das Raß jum Kleide zu nehmen. Ler Taillenkunstler ver⸗ 
sprach sein Bestes zu thun, und nahm den Stoff mit nach Hause. 
Am vergangenen Sonntag sollte die Trauung in der kleinen Kirche 
des Dorfes stattfinden. Der Schneider hatte bersprochen, das fertige 
stleid punkt zehn Uhr Vormittags abzuliefern; aber um 12 Uhr 
war noch kein Schneider da mit dem Brauttleide. Jchzt fing dem 
Brautvater die Sache an bedenllich zu werden. Er ließ anspannen, 
und fuhr selbst nach Berlin zu dem Saäumigen. Meister Zwirn 
saß ganz gewüthlich zu Hause bei dem Mittagsessen und ließ es sich 
wohl sein. Als der Gutsbesiher mit zornglübendem Gesicht e'ntrat, 
erbiaßte der Meister. Warum bringen Sie das Kleid nicht ? 
schrie der Dörfler; „Sie wissen doch, daß heute um drei Uhr die 
Trauung stattsinden soll.“ Als ob ein Keulenschlag ihn getroffen 
hätte, so saß der Schneider da und erst nach längerer Pause fragte 
zr müt bebend: n Lippen: „Heute — Hochztit? Ich habe nolirt 
nächsten Sonntag.“ — „Dann haben Sie sich verrechnet schreit 
der Brautibater. ‚Wo ist das Kleid?“ — Da wimmert der BGe⸗ 
angstigte mit halblauter Stimme: „Ich hab's fertig gemacht und 
ver —setzt, weil ich glaubte, die Hochzeit sei erst nächsten 
Sonntag.“ — „Wo isl's versetzt?“ — „Bei einem Rücktaäufer 
hier d'cht neben an.“ — „Wiev'el haben Sie darauf erhaltene“ 
Sechszig Mark.“ — Den Versatz-Zeitel!“‘ — Hier ist er!“ 
— FuUnterschtagung, Diebstahl!“ schrie der Brautvater; da es ia⸗ 
wischen aber ein Uhr geworden war, verlor er mit Worten keine 
Zeit mehr, sondern ging zum Rüdkäufer, löste das sauber in einem 
Forton liegende Kleid ein und fuhr damit, so schnell die Pferde 
laufen konnten, nach Hause. Hier hieß es im wahren Sinne des 
Wortes: Aller Auzen warien auf dich. Zehn Frauenhände waren 
sofort beschäftigt mit den Ueberwerfen, Schnüren und Nesteln des 
seieides; uls aber die Braut endlich vollstäudig anzekleidet dastand, 
hörte man von allen Seiten Ausrufe des Staunens und der Be⸗ 
wunderung. Der Schneider hatte das Höchste geleistet, was der 
Kunst mit Nadel und Scheere nur möglich war. Der Bräutigam 
war so entzückt, daß er ein Gelübde that, den „Taisleur“ extra X 
einer Doppelkrone zu honoriren. Jetzt trat der immer noch grol 
lende Valer ein. Er betrachtete seine Tochter einige Minuten mit 
stummer Bewunderung, dann rief er aus: „Soll‘e man glauben, 
daß Schneiderhände so was fertig kriegen? Friedrich! fahre gleich 
nach Berlin und bringe dem Schneider in meinem' Namen Ver - 
Jeihung, zwei Flaschen Wein und eine Torte.“ — Seine Kunst 
hat diesmal über den Staatsanwalt den Sieg davongetragen. 
Das „N. Berl. Tagbl.“ berichtet folgendes Berliner 
Nachtbild: Verschiedenen hiesigen Polizeirevieren war schon zu 
wie erholten Malen die Mitiheilung zu egangen, daß ein in Lumpen 
zehüllter Knabe allnächtlich, abwechselnd unter den Königslolonnaden 
und am Säaulengange hinter dem Museum kauernd, die Vorüber⸗ 
gehenden mit wehmüthiger Stiwmme anrufe, ihm Streichhölzer ab⸗ 
jukaufen. „Es fehlen mir noch 2 Groschen, bevor ich die nicht 
habe, darf ich nicht zu Hause kommen,“ so lautete die stereotype 
Bitte des eiwa 8jährigen Knaben, der selbst in den kältesten und 
ce znerischsten Nachten an den genannten Otten bis zum frühen 
Morgen ausdarrte. Um die Personalien des jugendlichen Nacht ⸗ 
oogels festzustellen, wurde derselbe neulich verhastet und zur Wache 
des 13 Polizeirediers (Große Hamburgerstraße) gebracht. Das 
dort vorgenonmene Verhör des Knaben,, resp. die von dem Vor⸗ 
stand des Reviers angestellten Recherchen haben ergeben, daß der 
unglückliche klrine Streichholzhändler und Betiler schon seit seinem 
4. Lebensjahre seine pflichtvergessenen Eltern ernährt. Dieselben 
heißen Rogge und wohnen, weil sie siets ein von der Polizei ge⸗ 
suchter Artikel sind, unungemeldet in dem Hause Pappel llee Nr. 
—A 
Vater und Mutter jedesmal auf das Empörendste mißhandelt und 
mit mehrtägigem Fasten bestraft wurde, wenn er einmal nicht die 
jestgestellte Summe heimbrachte; sür das Sündengeld schafften sich 
Vater und Mutter ein angenehmes Leben nach ihrer Art, meisten⸗ 
theils sind Beide den Tag über detrunken. Kaun es ein trüberis 
Bild aus den niederen Regionen der Koiserstadt geben? 
7 Grausame Prode. Das „R. Wiener Tsbl.“ erzählt: 
Die Frage, ob die Frauen ein Amtsgeheimniß zu bewaöhren ver- 
sehen, ist schon sehr oft aufgeworfen und auch schon sehr oft in 
verneinendem Sinne beantwortet worden. Der nachstehende Fall 
jedech stellt speziell einer Dame vom Apparat, einer Telegrophistin, 
ein glänzendes Zeugniß ihrer Enthaltsamkent aus. Vort wenigen 
Lagen war es, da trat in ein Telezrapheibureau des zwesten Be⸗ 
jirkes ein Dienstmann und gab folgende Depesche auf: „G.... 
D .. ..-.., Willergasse, Wiea. Warum bist Du gestern nicht 
zelommen, sehnfüchtig Deiner geharrt — böser, bösert Mann. Heute 
8 Ubr Kursalon. Tausend Kusse. Ewig Dein. Bertha.“ Die 
unge Dame vor dem Apparate nahm daß Konztpt zur Hand, 
ber kaum hatte sie die exrsten Worte gelesen und sofort schoß das 
lut in ihre Wangen und die schöne Hand, die bereits am Tasten 
lag, fuhr erschrocken zurück. „Das soll ich telegraphiren? Nie⸗ 
mals rief sie aus. Daun aber erinnerie sie sich ibrer Dienst 
Ffligt, und während Thränen in die schönen, hellen Augen traten, 
Tbeilete der Apparat und der elektrisae Strom brachte ihrem 
gräutigam tausend Küsse von einer Anderen!! Als das leßte Wort 
— der Name der R'valin — dem Drahte überantwortet war. 
zerließ das Mädchen das Bureau, da inzwischen die „Ablösung“ 
Jekommen war, und eilte thränenden Auges heim, um vor der 
Nutter hinzusinken und ihr den Wortlaut jenes Telegrammes mit⸗ 
utheilen. Das Ganze löͤste sich alsdann in Freude auf, als es 
ich herausstellte, daß ein Freund des beneidenswerthen Br autigams 
»en Spaß“ in Scene gesetzt hatte, um die Verschwiegenheit unserer 
Telegraphistinnen“ zu prüfen. 
FPrag, 285 Febr. Im Shacht Engerth bei Kladno, 
der Staats ⸗Eisenbahn gehörend, hat heute Morgen eine Explosion 
tattgefunden, 80 Todie wurden aufgefunden. Der Schacht 
rennt. 
Aus Paris wird geschrieben: „Denken Sie sich die Lage 
ines Maunct, welcher ein Haus bewuhnt, wo in jeder Etage ein 
Piano wäre, und wo man den ganzen Tag über zugleich spielen 
vürde. Im 1. Stocke: Charmante Gabriello. Im 2.: La 
parisienne. Im 8.: Partant pour la Syrie. Im 4.: Die 
Marseillaise. Im 5.: Ca iral!... — Eb bien — meint 
reffend der „Figaro,“ dis ist die Lage eines franzoöͤfif hen Bürgers 
im Febiuar 1876.“ 
fIm Walde von Fontainebleau wurden im Jahre 1875 
'm Ganzen 1867 Vipern getödtet. Ein Vipernjäger, der von der 
Stadt eine Prämie erbielt, hat 379 der giftigen Schlangen erlegt. 
p Das „Journal de Charleto i“ erzahlt einen drolligen 
Borfall im dortigen Thealter: Es wurde am vorigen Montag ein 
großes Zauberstück, „Le Monstre et le Magicien“, gegeben und bis 
sum druten Atte war Alles gut gegangen. Das Monstre, das 
Ingeheuer, war auf der Bühne und es sollte ein Dekoxationswechsel 
talifinden, der aher ausblieh. Deswegen schimpfte das Ungeheuer 
n kräftigen Ausdrüden auf den Thealermeister, der aus der Coulisse 
fräftig antwortele, dann hervorstürzte und einen wüthenden Kampf 
nit dem Ungeheutr begann. Die anderen Mitwirkenden mischten 
ich ein, geriethen aber selbst aneinander, so daß zum höchsten Er⸗ 
dtzen des Publikums eine allgemeine Prligelei auf der Bühne 
nistand. Der Vorhang fiel, aber der Kampf ward fortgeseht und 
ndlich trat der Direktor vor, um zu melden, daß unter so traurigen 
Amständen nicht weiter gespielt werden tönne. Das nahm aber 
das Publikum übel und fing vun seinerseits einen Höllenlärm an, 
der aller Beschw'chtigung spottete. Da, als der Skandal den Gipfel 
erreicht hatte, erlosch plötzlihh das Gaslicht und es blieb dem 
—E— 
aus der dichten Finsterniß ins Freie zu suchen. —W 
In Calais hat sich folgendes Unglüd zugetragen. Bei 
»en Artillerie⸗Experimenten, welche dort unter der Leitaag des 
Dsersten Montluisant stattfinden, machte man u. A. Versuche mit 
Beschossen schweren Kal'bers, die mittelst Elektrizität zur Explofion 
zbrachi wurden. Bei 8 Gesttossen ging an diesem Tage die Er⸗ 
losian ohne Schwierigkeit von Statten; das 9. versagte; der 
dauptmann l'Estousdoillon und 3 Soldaten, sowie ein Telegraphen⸗ 
Feantter, der mit der Haudhabung des elektrischen Apparats beauf⸗ 
ragt war, stiegen in die 4 Meier tiefe Grube in der das Geschoß 
xplodiren sollte, hinab, um zu untersuhhen, ob etwas nicht in 
Irdnung. In ' dielem Augenblick setzt ein Soldat unbesonnener 
Wese den unter einem Zelte befiadlichen Apparat in Bewegung, 
zie Explosion erfolgte und der Hauptmann, sowie die drei Sol⸗ 
daten wurden getödtet. Der Telegraphenbeamte kam wie durch 
ein Wunder ohne Verletzung davon. 2 
f In Mazeres bei Toualouse hat eine Explosion große Ver⸗ 
jeerungen in etner Fabrik angerichtet. 300 Quudratmeter deß Ge⸗ 
»äudes sind ei gestürzt und 12 Arbeiter verwundet. worunter 
btödilich. 
Die „Francais“ meldet, daß dem berühmsen Compon'sten 
Ziuseppe Verdi ein amerikanischer Impressario 200,000 Francs 
gold angeboten hat, wenn er während der Weltausstellung in Phila⸗ 
)elph'a in den Monaten Juli und August eine Reihe Concerte ab⸗ 
zielte. Verdi hat jedoch dieses Anerbieten zurückgewiesen. 
4 (23 Personen von Wölfen geftessen. Die Moskauer Zeis 
ung vom 6. Februar berichtet, baß einige Tage vor her in einer 
Zntfexnung von zehn Reitermeilen von Moskau sechs Schltten 
ogen. Faktorenfirler von Wölfen überjallen und sümmtliche Reisende 
ind das Fahrpersonal bis auf einen Fuhrmann, welcher sich durch 
chnelle Flucht auf einem Pferde zu retten vermochte, von den 
v'lden Bestien zerrissen worden sind. Aus den auf der Unglücks⸗ 
dätte später noch dorgefundenen Effelten und Papieren wurde fest⸗ 
gessellt, daß unter den Reisenden fünf polnische Juden aus Lem⸗