Slt. Ingberler Anzeiger.
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48 105. Dienstag, den 4. Juli 1876.
Deutsches Reich.
München, 1. Juli. Die Kanmmer der Reichsräthe hat in
hrer heutigen Sitzung den von der Abgeordnetenkammer angenom⸗
nenen Antrag des Abg. Dr. Freyburger und Genossen ebenfalls
ingenommen, wornach Art. 32 Abs. 1 der Brandversicherungs⸗
»rdnung für die Pfalz folgende veränderte Verfassung erhalten soll:
„Die Kreistegierung ist ermächtigt, vom Gesammtbettag aller Brand⸗
chaͤden jährlich bis zu 4 pCt. weiter zu erheben und im Benehmen
nit dem Landrath zur Förderung des Feuerlöschwesens zu verwenden.“
Munchen, 2. Juli. Die „Bam. N.“ melden, Fürst Gort⸗
schakow sei am 29. Juni incognito in Kissingen bei Fürst Bismarck
jewesen. Dekan Enzler soll für einen der zwei vacanten bayerischen
Bischofssitze bestimmt sein. Der Finanzausschuß hat nach ledhaftec
Debatte das Postulat für den obersten Schulrath gestrichen. Abg.
rugscheider hat sein Mandat niedergelegt. Der Gesetzentwurfe, die
dfälz. Bahnen betr.“ wurde vom Finanzausschusse der Reichsraths⸗
ammer in der Fassung der Abgeordneten angenommen. Der
Staatszuschuß für die pfälz. Bahnen von 1871 bis 1878 beträgt
122,891 fl. und wird für 1876 sich auf 500,000 fl. steigen.
München, 3. Juli. Die Reichsrathskammer hat die Linie
Zweibrüchen⸗Bitsch abgelehnt, im Uebrigen aber den Gesetzentwurf
über die Pfälzischen Bahnen nach den Beschlüssen der Abgeordneten⸗
ammer angenommen.
Kissingen, 29. Juni. Es verlautet, Fücst B'smarck werde
une Zusammenkunft mit König Ludw'g von Bayern haben, sobald
Letzterer sich zur Beiwohnung der Proben zu dem Wagner'scheß
Zuhneufestspiel nach Bayreuth begibt. (N. K. 3.)
Ausland.
Wien, 2. Juli. Von Serbien und Montenegro wurde der
drieg gleichzeitig oan die Türkei erkllärt. Das serbische Kriegsmani⸗—
est fordert zur Achtung des österreichischen Gebietes auf und sagt,
die unerträgliche Lage zwinge Serben, Montenegtiner, Herzegowiner,
Bosnier, Bulgaren und Griechen zusammen für die Freiheit zu
ämpfen. Das an die Pforte gerichtete Ultinatum, welches Ab⸗
retung von Bosnien verlangte, wurde abgewiesen.
Belgrad, 2. Juli. Heute wurde hier der Kriegszustand
oclamirt.
Cettinje, 2. Juli. Nach einem heute vor der fürstlichen
stesidenz abgehaltenen Gotteedienst wurde dem versammelten Volk
»erkündet, daß der Krieg an die Türkei erklärt sei. Hierauf hielt
er Fürst eine Ansprache, übhergab die Fahne dem in Schlachtord⸗
jung aufgestellten Heer und marschirte mit demselben gegen die
herzegowina ab.
London, 2. Juli. Der „Observer“ erfährt, daß der Bot⸗
chafter Lord Odo Russel in Berlin, der zur Zeit in Urlaub hier
st, wegen der Lage der Dinge im Orient demnächst nach Berlin
urückkehren wird.
(Die Deutschen auf der Weltausstellung in Phi—
adelphia). Allgemeines und verdientes Auffsehen erregt ein
Br'ef des eben zum Generalkommissar der deutschen Ausstellung in
Philadeiphia ernannten Prof. Reuleaux in der „Nat.«Z.“ Renleaux
zlaubt es lant aussprechen zu müffen, „daß Deutschland eine schwere
iederlage auf der Ph ladelphia⸗Ausstellung erlitten hat“ und fährt
»ann fort: „Unsere Leistungen stehen in der weit aus größten
Zahl der ausgestellten Gegenstände hinter denen anderer Nationen
urück, nur in wenigen erscheinen wir bei näherer Prüfung ihnen
zleich, in einem Minimum von Fällen nur Üüberlegen. Leider ist
denn auch die Presse, und vor allem die deutsch⸗amerikanische, scho—
uungslos über unsere Ausstellung hergefallen. Wir haben Wahr—
jeilen der bittersten Att hören müssen und noch zu erwarten. Wie
n einer Art von Wuth jund deshalb häufiz viel zu weitgehend,
verden die Schwächen der deutschen Industrie an unserer Ausstel—
ung demonstrirt, wird jeder kleine, wenn auch noch so verzeihliche
Mangel gerügt und herausgesucht. Der Grund dieser Gereizlheit,
welche wahrscheinlich in einiger Zeit einer wenigstens unpärteüschen
Auffassung weichen wird, ist einigermaßen erklärlich. Jahrelang
jaben die Deutsch Amerikaner von den Leistungen gesprochen, die
deutschland, das wiedergeborene, erstarkke, an den Tag legen werde;
nit Stolz haben sie prohpezeit, wie ihr ehemaliges Vaterland die
ibrigen Nationen, wenn nicht in Schatten stellen, so doch vielfach
iberflügeln werde. Und nun isl von alledem nichts, vielmehr mei⸗
tens das Gegentheil geschehen und darum sind die überführten
hemaligen Freunde nun unsere eibittertsten Gegner und Tadler
jeworden. Vielleicht sind sie aber dennoh indirelt unsere Freunde,
ndem sie Deutschland öffentlich den Spiegel vorhalten, den ihm
eine Freunde in Europa so oft schen im kleineren Kreise vorzuhal⸗
en gesucht, ohne daß ihnen geglaubt wurde. Aber das neue
Deutschland ist verwöhnt von seinen Schmeichlern, die Phrase von
deutschlands Bestimmung und Stellung ist ihm so oft ins Geficht
jesagt worden, das Lied seines Ruhmes so oft vorgetrillert worden,
aß es die Führung mit den Forderungen verloren hat, welche
in internationaler Wettkampf an seine Kräfte stellt. Thaitsache ist:
Unsere Niederlage ist unleugbar. Sie den Vandsleuten zu ver⸗
hweigen oder zu bemänteln, wäre gegen die patriotische Pflicht.
Ich werde vielmehr versuchen, im Einzelnen die shwachen Punkte
u charakte ristren. Für heute möchte ich nur in einigen Hauptzü—
jen die gegen uns geschleuderten Vorwürfe ausführen. Als Quint⸗
ssenz aller Angreffe tritt der Wahrspruch auf: Deutschlands Indu⸗
trie hat das Geundprinzipp, billig und schleiht“. Leider hat unsere
Industrie wirklich im Durchschmit diesen Grundsatz, wenigsteus
üdfichtslos in seinem ersten Theile und darum als Konsequenz in
einem zweiten. Soviel sich auch schon tüchtige, wackere Industrielle,
velche jenen Grundsatz verdammen, bei uns bemüht haben, ibm
entgegenzuvirken, soviel auch schon mancher, dem ein warmes Herz
ür unsere Industrie im Busen schlärt, dagegen gesprochen, er be⸗
zjält immer die Oberhand und ist denn auch in unserer Ausstellung
nur zu deutlich zum Ausdruck gelangt. Zweiter Satz: Deuischland
veiß in den gewerblichen und bildenden Künsten keine anderen
Motive mehr, als tendenziös⸗patriotische, die doch auf den Welt⸗
aunp'platz nicht hingehören, die auch keine andere Nation hinge⸗
eracht; sür die tendenzlose, durch sie selbst gewinnende Schönheit
jat es kein Sinn mehr. Ja der That, nachdem man uns dies
jesagt, beschleicht uns ein beschämendes Gefühl, wenn wir die Aus-—
tellung durchwandern und in unserer Abthe'lung die gradezu ba⸗
aislonsweise aufmarschirenden Germanien, Borussien. Kaiser, Kron
rinzen „red princes“, Bismarch, Moltke, Roon betrachten, die in
Jorzellan, in Biscuit, in Bronze, in Zink, in Eisen, in Thon, die
emalt, gestickt, gewirkt, gedruckt, lithographirt, gewebt an allen
ẽcken und Enden uns entgezenkommen. Und nun in der Kunstab—
jeilung gar zweimal Sedan: Was hat die Kommission für Kunst⸗
verke sich bei der Annahme dieser Bilder gedacht! Und wieder in
»er Maschinenhalle: sieben Achtel des Raumes, so scheint es, für
trupp's Riesenkanonen, die „Killingmachines“ wie man sie ge⸗
iannt hat, hergegeben, die da zwischen all dem friedlichen Wetrk,
ꝛas die anderen Nat onen genannt haben, wie eine Drohung stehen!
Ist das wirllich der Ausdruck von Deuschlands „Mission“ ? Muß
nan nicht den Chauvinismus und Byzaatinissmus als bei uns in
ochster Blüthe stehende annehmen? Zwingen wir nicht die fremden
dationen geradezu zu dieser Annahme? Dritter Satz: Mangel an
zeschmack im Kunstgewerblichen, Mangel an Forischritt im rein
Lechnischen. Wiederun wüssen wir an unsere Brust schlagen.
Viederun müssen wir auf die Wichtigkeit der Bestrebungen des
Hewerbemuseums, auf das geringe Entgegenkommen hinweisen,
»rlchrs der Handelsminister in se'ner waten Fürsorge für diese
frage bei der Industrie findet. „Bei allen Nalionen, die auf der
lusstellung vertreten sind'. sagen die Tadler, „haben wir etwas
u lernen gefunden, bei Deutschland nichts!“ Hart, aber beinahe
»ahr! — Diese sind die Hauptargumenie, welche gegen uns erho⸗
en werden. Ich werde nächstens versuchen, bei näherer Annalyse
ie trostreichen Ausnahmen hervorzuhebhen; im Allgemeinen aber
ermag ich den Voiwürfen nicht zu widersprechen und kann nur
—A