Full text: St. Ingberter Anzeiger

St. Ingberler Anzeiger. 
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Me 115. J Samstag/ den 22. Juli 1876. 
Deutsches Reich. ——— 
Mänchen, 19. Jul. Der Finanzausschuß der Kammer der 
Reichsrathe dat die Berathung des Budgets zum gropten Theil 
etledigt, und beantcagt u. A., daß dem Beschluß der Abgeotdneten⸗ 
anmece, welcher die Wiederaushebung der fünfen Classe an den 
Zoteinschulen bezweckt, nicht beizustimmen sei, daß vielmehr in d'eser 
geziehung das Regierungspostulat urverkürzt bewilligt werden solle. 
Dagegen ist der Ausschuß dem Beschluß der Abgeordnetenkammer 
ezůglich des Obersten Schulrathes beigetreten, es wurde aber dieser 
Bgischluß nur mit 4 gegen 3 Stimmen gefaßt. 
Mänchen, 19. Juli. Kaiser Wilhelm ist heute Nachmittag 
dier durchgereist, ohre ich aufzuhalten. In Rosenheim, wo er 
zinirte, begcüßte ihn Prinz Luitpold im Auftrag des Koͤnigs. 
Berin, 17. Juli. Obwohl nachgerade kein Zweifel mehr 
bwalien kann, daß das Urtheil, welches Herr Reuleaux über unsere 
Industrie gefällt hat, auf der schmalen Unterlage der höchst un⸗ 
‚ollständigen deutschen Ansstellung in Ph ladelphia viel zu sehr ins 
Zreile sirett, um durchweg als haltbar gelten zu koͤnnen, so will 
zech der Kampf der Vieinung, der sich aus ihm entsponnen, noch 
nicht zun Abschluß gedeihen. Selbstoverstä dlich sind die verschiedenen 
virthichaftuchen Richtungen möglichst bemüht, die Schuld ihren 
HZegnern zuzuschieben, und so saumen denn aͤuch die Anhanger des 
Schußzzolles nicht, in erster Linie die deutsche Zollpolitik für die 
von Herrn Reuleaux hervorgehobenen Mängel verantwortlich zu 
nachen. Ein Beispiel der Angriffe aus diesem Lager bietet ein 
zon Fr. Pecht in der Allg. Zig. veröffentlichter Aufsatz, worin er 
jen der deutschen Production gemachten Vorwurf, daß sie die Losung 
dillig und schlecht“ befolge, mit nachstehender Bemerkung begleitet: 
Daran ist ohne Zweifel oft etwas, wenn es aber so ist, so trägt 
diemand anders die Schuld als diejenigen, welche den unvernünf⸗ 
igsten Zelltarif geschaffen, welchen die Welt je gesehen hat. Er 
esizt nar eine Tugend, die: daß er für die Beomten überaus 
„equem ist, da er die Einfuhr nicht nach ihrem Werthe, nicht nach 
ein Maße der daranf verwandten Arbeit besttuert, sondern nach 
ein Gewicht. Er drängt also dem einheimischen Producenten nicht 
ur das „billig uad schücht“ mit aller Gewalt auf, da er ihn nur 
n dusen Falle wirksam schützt, soudern er fetzt auch eine Prämie 
darauj, daß uns das Ausland biessere Waaren schicke, als die, 
in denen es den mesien Arbeitslohn verdient. Welche Weis⸗ 
Jeit, welche die feinste Tascheruhr, wo der Materialwerth durch 
die Arbeit um's Tausendfache erhöht wird, mit eben so geringem 
Hewichtszoll belegt als den Schwarzwä der Kutuk, diesen also hundert. 
Mal mehr schüße! Sie hut es denn auch richtig dahin gebracht. 
daß des Land, welches die Taschenuhten ersand — nut noch 
zutute fabricert.“ Gegen dieses Urtheil legt die Nat.Lh. Corr. 
Berwahrung ein, indem sie zuerst die am Schlusse angeführte Ein⸗ 
elheit üund sodann die allgemeine Behauptung in das richtige Licht 
elln. Aus der eben erschienenen Zusammenstellung der Gutach'en 
et Handelskammern übert die bei der Erneueruvg der Handelsver⸗ 
räge zu betrachtenden Tarifsätze geht herdor, daß über die Position 
ühren“ Seitens der Handelskammern überhaupt keire Bemerkun 
Jen gemacht worden sind, also auch betreffs einer Aenderung des 
Tariss keine, wenigstens keine allgemein verbreiteten, Wünsche zu 
destehen scheinen. Alsdann heißt es weitert: „Belannt ist jedoch 
geworden, daß die Uhren-Industrie in Sachsen, Schlesien, Wür⸗ 
emberg, namentlich in feinen Taschenubren, sich mehr und mehr 
der Schweizer und Pariser Industrie ebendüriig zeige, dieselben 
ogar hier und da in der Accuralesse der Ausfuͤhrung überlrifft. 
der Absatz ist steigend noch Oesterreich, Reßland, England und 
»en übersee schen Platzen. In Nordamerika hat selbst der hohe 
Wer!hzoll von 35 pCEt. dautsche Taschenuhren bestester Qualitãt 
ucht verdrängen können.“ Was übrigens die Frage, ob Verzollung 
jach dem Gewicht oder nach dem Werth im Allgemeinen tetrifft, so gehen 
antet den Handelskammern die Ansichten darüber auscinander. 
ẽs finden sich auf der einen Seite vielfache Klagen über Chikanen 
and Veschwerden, welche das im Ausland und vorzugsweise in 
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Frankreich gehandhabte System der Werthverzollung mit sich bringt, 
duf der anderen Seite aber wird dem Wunsche nach Einführung 
jon Werthzollen im deuischen Reiche mit dem Bemerken Ausdruck 
zegeber, daß für gewisse Industriezwe'ge, vor ollen Dingen für 
ʒꝛe Spinnerei, das gegenwärtig bei uns hertschende Zollsy st em 
inen Schutz überhaupt nicht gewähre und namentlich der Entwick⸗ 
ung der Feinipinnerei hemmend im Wege stehe. Für Umsetuug 
llet unserer Gewichtszölle in Werthzolle verwendet sich Heidenheim, 
bährend wiederum Breslau bei Erörterung der Frage, ob Werth- 
der Gewichtszölle den Vorzug verdienen, zwar der Theorie nach 
ʒen Einfluß der ersteren nicht bestreiten will, praktisch aber den 
gewichte zoͤllen, für welche Leipzig in der Regel das Kilogramm 
uns Einheit vorschlägt, entschieden den Vorzug gibt. Man siehlt 
ilfo daraus zum mindesten so viel, daß es die durch die „schrei⸗ 
ndsten Thatsachen nicht zu belehrerden Doctrinare“ nicht allein 
ind, welche das Princip eines Zolltarifs billggen, den man als 
den unveruünftigsten, welchen die Welt je gesehen hat“, schildert. 
derr Pecht hält schließlich dem Reich und beziehungsweise den 
kinzelstaaten das ganze Sündenregister in folgendem Sotze vor: 
Wenn man die deutsche Industrie durch die verkehrtesten Maßregeln 
uinitt, ihr durch die Gestattung ungemessener Papsergeldfabrikation 
jud überflüffiger Eisenbahnbauten auf Staatskosten den Taglohn 
uertheuert durch Differentialtarife und Herabsetzung der Zölle noch 
Zraäͤmien auf die Einfuhr gesetzt, sich dei den Handels⸗ 
etrcägen auf wahrhaft unbegreifliche Weise nicht ein⸗ 
nal das Recht der Reciprocität gewahrt hat, dann steht 
⸗ Einem wohl an, den Zustand den man mit aller Gewalt herbei⸗ 
eführt den dedurch Geopferten auch noch zur Last zu legen und 
ie darob zu verhöhnen!“ Die Kritik ist ausdrücklich gegen Reichs⸗ 
ag und Reichsregierung gerichtet. Wie aber diesen gegenüber der 
zorwurf begründet werden soll, eine ungemessene Papiergeldfabri⸗ 
ntion gestattet zu haben, ist schwer abzusehen. Nicht minder räthsel⸗ 
saft bleibt es, wie oder vrelmehr wo der Taglohn durch überflässige, 
uf Staatskosten vorgenommene Eisenbahnbauten vertheuert worden 
ein soll. In Preußen wird ja seit Jahren eher Klage geführt, 
aß der Handelsminister auf die Ausführung der bewilligten Staots⸗ 
ahnlivien nicht Ardeitskräfte genug verwende! Im Uebrigen ist 
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Hegenseitigkeit zu dringen sei, so weit nur irgend möglich, so wie 
uch über die Aukwüchse des Differentialtarifwesens nur Eine Stimme 
jerrschi. Der ferneren Behauptung, daß unsere Industrie durch 
ie „derkehrtesten Maßregeln“, unter denen in erster Linie das 
inseren Handelsverträgen zu Grunde liegende System angeführt 
viid, ruinirt werde, tritt wiederum dis Urtheil der Handelskammern 
nigegen, wilche zum weitaus größten Theil in lebhuften Worten 
ie durchaus günstige Einwirkung jener Verträge auf Handel und 
ßewerbe anerkennen und hervorheben. 
Dir kleinlichen Chikaren, welchen das Deuischthum in Ruß⸗ 
and auscesetzt ist, erstrecen sich auch auf das irntellektuelle Gebiet. 
Das königliche Gymnasium zu Lyk in Ostpreußen und das Helenen⸗ 
tift in Stutgart wollten neuerdiugs in russischen Zeitungen eine 
Annonce eintücken lassen, welche diese Unterrichtsanstalten ewpfahl. 
diese Anzeige wurde jedoch dem Ruftraggeber mit dem Bemerken 
urückgesandt, daß die Poltzei-Censur jede Ankündigung von aus⸗ 
ändischen Lehranstalten in russischen Zeitungen auf das strengste 
jerboten habe. 
Nusland. 
Wien, 17. Jali. Das Erdbeven, welches heute Nachmittag 
.Uhr 22 Minuten hie: verspürt wurde, nahm die Richtung von 
züdwest nach Nordofst und währte eiwa 3 Sekunden. Zahlreiche 
S„chornsteine sind durch die Erschütterung eingestürtzt und viele Ge⸗ 
aude' erhielten Risse und Sprünge- Nirgends ist indeß ein be⸗ 
onderet größerer Unfall zu beklagen. 
Paris. Der Oberhandelstatt hat in seinen letzten Sitzunzen 
er Frage der Weinzdlle seige besondere Aufmeikfamkeit gewidmet. 
Paͤhrend nämlich die ausländischen Weine. die b's 4 Grad Alko—