St. Ingberler ANnzeiger.
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der St. Ingberter Anzeiger und das (2 mal wöchentlichj) mit dem Hauptblatte verbumndene Unterhaltungsblatt. (Sonnkags mit illustrirter Bei⸗
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—E —157. Dienstag, den 8. Oetober J 1876.
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Deutsches Reich.
Berlhin, 29. Septi. Tie „Nat.-Ztg.“ schreibt officiös: Die
in hiesigen Zeitungen enthaltene Notiz, daß die Auflösung des Ab—
geordnetenhauses schon in den nächsten Tagen erfolgen würde, dürite
iich nicht bestätisen. Der Termin der Auflösung hängt ja mit dem
Termin der Berufung des Landtages eng zusammen, da nach der
Berfassungder Zujammentritt des Abgeordnetenhauses fpätestens
90 Tage nach erfolgter Aufiösung stattfinden muß. Da nun der
Landtag nach der unerläßlichen Rüchssicht auf die Reschstags⸗Session
und die Reichstagswahlen erst gegen Mitte Januar wird berufen
werden können, so steht die Auflösung nicht früher als um Mitte
Dkiober und der Termin der Wahlen erst in der letzten Oltoberwoche
uu erwarten.
Berlhin, 830. Sept. Von verschiedenen] Seiten wird ge⸗
meldet: Der Vorschlag, den der Kaiser von Rußland durch General
Sumarokow dem Kaifer von Oesterreich habe machen lassen, bestehe
darin, daß Oesterreich Bosnien und die Herzegowina und Rußland
Bulgarien besetzen solle. Die Antwort, so deißt es, sei heute Morgen
zwischen dem Kaiser Franz Joseph und dem Grafen Androssy fest⸗
zestellt und Sumarokow kehrte unmittelbar nach Livadia zurück. Es
ind erst die Friedensbedingungen der Mächte der Pforte überreicht
nad sie hat sich geneigt gezeigt, alles zu bewilligen, was man ver—
angt; der Deutsche Kaiser und der englische Minister des Aus⸗
wärtigen haben erklätt, daß sie den Frieden für gesichert ansehen;
unter diesen Umständen muß Rußlands Vorgehen, wenn es mehr als
tine eventuelle Drohung sein soll, aufs höchste besremden. Es war
ein verhängnißvoller Schritt des Kaisers Nikolaus, als er türkische
Provinzen als Pfandobjekt besetzte; möge dessen Sohn sich wohl
dedenken, ehe er einen solchen Schritt wiederholn!“
Mannheim, 26. Sept. In einemn im hiesigen Arbeiter⸗
Bisdungs-Verein gehaltenen Vortrage wurden die Bekämpfung ver—⸗
erblicher Gewohnheiten und die Ane'gnung größ'rer peofessioneller
Tuchtigkeit als die Hauptaufgaben bezeichnet, welche jeder vernünf⸗
uige deutsche Arbeiter verfolgen müsse, wenn er dazu beitragen wolle,
)as gesunkene' Ausehen der deutschen Arbeit zu heben. Es wurde
xcrechnet, wie viel kostbare Zeit ein großer Theil der deutschen Ar⸗
zeiter vergeude, daß in dielen Fällen nach Abzug von 52 Sonn⸗
agen, 12 Festtagen, 52 blauen Montagen und 25 blauen Diens⸗
agen, während zwei Fünfteln dis zur Hälfte des Jahres nicht allein
nicht gearbeitet, sondern Lust und Liebe zur Arbeit für die andere
hälfte des Jahres zerstört werde; es wurde daran erinnert, daß,
venn auch die durchschnittliche Schulbildung des deutschen Arbeiters
inen höheren Grad erreicht habe, als die in anderen Ländern, er
zoch mit immer seltener werdenden Ausnahmen in professioneller
beziehung untenan stehe, daß die Unfähigkeit und Pfuscherei mehr
ind mehr die Regel, gewissenhafte, saubere und schöne Arbeit immer
ꝛeltener geworden sei. Unter Himweisung auf die Ausstellungen,
iamentlich die in München, wurde bemerk!, daß es leineswegs an
Anlagen und Fähigkeit fehle; daß ader die Nothwendigkeit einer
allgemeinen Besserung von innen heraus und von unten he auf noch
veil entfernt sei, überal eingesehen zu werden, und daß wir aus
)er herrschenden Krisis nicht eher herauskommen würden, als bie
ich eine bessere Selbst · Disziplin in allen Produltions Sphaären Bahn
zebrochen habe. Es ist gewiß mit Freuden zu begrüßen, wenn der
deutsche Arbeiter sich heute solche Dinge sagen läßt. Vor Jeahr
und Tag durfte man es nicht wagen, solche Sprache zu führen;
a führten die sozial stischen Reise-Apostel, welche das Thema vom
daumen auf's Auge und vom Kuie auf die Brust“ behandelten,
as große Wort. Wir sind auf besseren Wegen; die Schule der
Noth fängt an, sich fühlbar zu machin. In den Werlstätten fängt
nan an, wählerischer zu werden, und die Arbeiter, wesche es
estern mit der Maurer-Kelle, am Tag zuvor mit dem Hobel, einen
Tag früher mit der Feile versuchten und sich für Maurer⸗, Schreiner⸗
und Schlosser: Gesellen ausgabhen, ohne von nur einem Handwert
iwas Rechtschaffenes zu verstehen, sehen sich mehr und mehr auf
Tagloͤhner · Dienste angewiesen. Und Die, welche etwas gelernt
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haben, lasseu mit sich sprechen. Aber mit dem Aufhören des blauen
Montags allein in nicht geholfen. Die Zeit hat außer den Arbeiter⸗
dreisen in Deutschland voch lange nicht ihren gebührenden Werth.
Man frage die dielen Ausländer, die in Deutschland umherreisen.
Der größte Theil derselben kommt zu uns, um sich zu amüsiren.
leberall Theater, Concerte, Sänçer-Feste, Fahnen Weihen, Turner⸗
Fefte,, Schutzen:Feste, Bälle, Kirmeß, Fastnacht, Tingel-Tangel,
Felsen Keller, Saolbaue, Café's chantants, Hühner-Jagd, Hasen⸗
JFaund und andere Gelegenheit, sich die Zeit angenehm zu vertreiben.
Wan kommt wobl auch zu dem Volke der Denker, um seine Uni⸗
ꝛersitäten und andere gelehrte Anstalten anfzusuchen, aber nicht, um
zu sehen, was Tüchtiges und Großes in unseren Werkstätten ge⸗
eistet wud, um von uns zu lernen, was Hände und Werkzeug
Porzü liches zu Stande bringen. Die gemüthliche Bummelei, die
eiitödtende Plaisir-Michelei, welcher die Hälfte der deutschen Nation
roͤhnt, ist es, die uns hindert, unsern Wohlstand in einem ähn⸗
ichen Verhältniß zu vermehren, wie der Franzose und andere ge⸗
verblich vorang schrittene Völker. Soll der Arbeiter diesen blauen
Montag aufgeben, so wicrd man sich in ganzen Kreisen der bürger⸗
ichen Gesellschaft auch entschließen müssen, die überhand genommene
debsucht zu mäßigen, jeine Zeit mehr zu Rathe zu halten und pro⸗
duktiver zu werden. (Fr. J.)
Ausland.
London, 1. October. ‚Reuters Bureau“ wird aus Bel⸗
zrad telegraphict, England und Italien seien gegen Serbien sehr
nufgebracht wegen der Adlehnung der ferneren Waffenruhe.
Konstantinopel, 80. Sept. Die Pforte miachte ihren
Pertretern im Auslande folgende Mittheilung: „Die serbische Re—
zierung zeigte den diplomatischen Agenten der Machte in Belgrad
ain, daß die Türken am 17. September bei Alexinatz und Jankowa⸗
dlissura, em 19. bei Javor, am 21. bei Javor und an der Drina
ie Waffenruhe verletzt hätten. Hiermit wollte Riste die Thatsachen
imdreben urd die Verantwortlichkeit auf die Pforte wälzen. Wie
ekaunt, nahmen gerade die Serben eine aggressive Haltung an
ind griffen die Türken auf der ganzen Linie an. Die Pforte kann
nicht umhin, gegen jene Mittheilung formell zu protestiren.“
Konstantinopel, 1. October. Der zur endgiltigen Ent⸗
cheidung über die Friedensvorschläage auf Samstag anberaumte
zroße Ministerrath wurde auf heute vertagt. Der russische Bot⸗
cchufter Ignasieff kehrt am Montag hierher zurück.
Petersburg, 1. October. Die „Internationale Telegraphen⸗
igentur“ meldet aus Semlin vom heutigen Tag: Vorgestern wurden
zie Serben durch eine von Nisch aus erfolgte Verstärkung der Türken
ze öthigt, die am Morgen von Horvatovics eroberten Positionen
vieder aufzugeben. Beide Theile haben ihre früheren Positionen
vieder eingenomennen. Gestern ist der Kaupf von Neuem entbrannt.
Bisher sind 22 Offiiere russischer Nationälität gefallen.
Vermisihtes.
— Bei dem am Sounntag 1. Olt. in Zweibrücken stattge⸗
jabten Pferderennen, kamen durch die ungünstige Witterung hecbei⸗—
Jeführte stellenweise Bodenlosigkeit und Blätte der Bahn, 8 Stürze
vor (ein Landmonn, ein Underoffizier und ein Offizier) ohne sich
edoch glücklicher Weise zu beschädigen. — Der Taglöhner und
Wilderer Daniel Imo von Schifferstadt, wescher im April d. J.
den Woldhüter Martin Witt erschoß, wurde von dem Schwurge⸗
richte zu 15 Jahren Zuchthausstrafe verurtheilt. Ein Abschreckens—
beispiet, wie weit die Befriedigung dieser ungleckseligen Leidenschaft
zur Wilddieberei zu führen vermag.
Wie der „Pirm. Auz.“ hört, ist der der Oberstlituktenant
b. Sauer, Kommandeur der 2. Feldabth. des 2. bayer. Art⸗Rgts.,
sum Regiments-⸗Kommandeur in Würzburg befördert worden.
Neustadi, 80. Sept. In den Kreisausschuß des pfälzischen
reislehrervereins wurden heute gewählt: Hammel von Bergzabern
nit 407 Stimmen, Krebs von Weidenthal mit 390, Thirdlf von
Rheingönnheim mit 407, Hildebrand von Kaiserslautern mit 383,
Berger von Speier uit 360, Dessoje von Schifferstadt mit 326.