Full text: St. Ingberter Anzeiger

Das Zunf twesen und die Gewerbefreiheit. 
Kortrüung 
3. Dig Gewoerbefreiheit. 
Der freie MNitbewerb ist dig natürliche Ordnung der Dinge 
er ist schon um dekwillen die Grundlage für die gewerbliche Ent⸗ 
wicklung, weil er einem Jeden erlaubt, von seinen Fähigkeiten und 
Zräften denjenigen Gebrauch zu machen, welchen er sür angemessen 
erachtet; er setzt den Menßschen in sein natürliches Recht ein. 
Jeder muß die Befugniß haben, seine Kräfte zu seinem Rutzen zu 
Febrauchen, wenn er nur Andern vadurch nicht schadet und zu nahe 
ritt. Dadurch aber, daß Jemand strebt und erwirbt. beeintruͤchtigt 
NRiemand in seinen. Rechten. Jeder Audere kann ja cheuialla 
von diesem feinem Rechte cinen freien Gebrauch machen. 
BDi volle Freihen der Gewerbe ist zugleich für dis Entwidlung 
des Gewerbbetriebs felbst vortheilhaft; sie stachelt den Wetteifer der 
wemecbirebenden an; Jeder sucht den Anderen zu übertreffen. 
Dadurch werden die Erzeugnisse aufs Veste hergestellt. 
ANus demselben Grunde sucht Jeder alle Vortheile des Petriebeß 
zuf, macht rfindungen und sördert dadurch. den Fortschritt des 
Rewerbes. 
Dag Ppblifum zieht hieraus die grökten Vortheile; denn durch 
hen diese Toncuerenz werden ihm die besten Waaren zu den bil· 
ligsten Preisen geliefert. 
Zu diesen positiven Gründen kammen noch die negativen, 
welche gegen die Zünfte sprechen. Das Vorschreiben einer bestimmten 
Lehra und Gejellenzeit ist keine Gewähr dafür, daß die Zeit auch 
un zum Lernen benützt worden jei; auch ist bei der Verschiedenheit 
der Anlagen bei dem Einen ejne viel kürzere Zeit hinreichend, um 
aß Handiert zu erlernen, als dei dem Anderen. 
die bei der Prüfung ahgelegien Proben bürgten nicht dafür. 
daß der Arbeiler auch fuͤr seine Kunden mit derselben Sorgfal⸗ 
eiten werde. wie für das Gesellen⸗ und Veeisterstück. Auch ift 
5 nicht. die Fühigkeit zu arheiten allein, welche den tüchtigen 
Neister macht, sondern eben jo seht und noch uehr die Fähigkeit, 
— 
Aus allen diesen Gründen versuchte zuerst der Minister Turgo 
m J. 1774 die Zunfteinrichtungen in Frankreich aufzuheben. 
Rach seinem kurz nachher erxfolgenden Austritt aus dem Ministerum 
wurde indessen das darauß bezügliche Edicte zurückaenommen. Als 
sber die Rauonalversammlung am 4. August 1789 auen mittel · 
Aierlichen Cinrichtungen ein Ende machte, fielen mit den Vorrechten 
er Kuche und des Adels auch die Genossenschaften des bürgerlichen 
Jewerbes, und es wurden nicht nur die Erxclusivtechte qufgehoben, 
—X die Innungsgenossenschasten v rboten. 
Mit der Eroberung des lintken Rheinufers durch die Franzosen 
purden ihre Einrichtungen auch dorthin gebracht. Im ehemaligen 
Zönigreiche Westphalen wurde ebenfalls die Gewerbefreiheit 1808 
tingesührt und das Vermögen der Innungen 1809 als Staatsber⸗ 
mögen eingezogen. 
Allein die Bortheile, welche man sich von der Gewerbefreiheit 
nersprach, haben sich bei weitem nicht alle bewähtt. Im Gegentheil 
führte dieseibe sehr bald wesentliche Nachtheile im Gefolge. 
Zuerst ist es eine nicht wegzuleugnende Thatsache, daß beson⸗ 
derz in den Gewerben, welche ein geringes Anlagekapital erfordern. 
ich Leute fesisetzten, die noch nicht die gehörige Befähigunge zum 
Vetriebe besahen, daß anderen, welche zwar die Faäbigleit aber nicht 
die Miltel hatten, das Gewerbe zu betreiben, ebenso wenig im 
Stande waren, gute und fertige Waare zu liefern. 
Sodann ergab es sich als nicht richtig, daß die freie Con⸗ 
rurrenz unbedingi vortheilhoft auf den Gewerbebettieb wirke. Im 
Gegentheil führte die allgemeine Ueberbietung dazu, das, was nicht 
durch Uebertreffen der Concurrenten etteicht werden konnte, durch 
Sgeein zu ersetzen. Aeußerlich anfehnliche und verhältnißmäßig 
‚och nicht brauchbare Wagre zu liefern, wurde ein allgemein an⸗ 
ewandies Mittel, die Mitbewerber aus dem Felde zu schlagen. 
Tas Urtheil des Pubkikums bot kein Hinderniß dar; denn das 
Publikum urtheilt meist nur nach dem Preise, vergleicht weniger 
die Güte, und läßt sich wiederholt in dieselde Falle locken, wenn sie 
nur anders gestellt wird. 
H'ezu kommt noch die Ausbeutung der Arbeilslkraft durch das 
Capitol. Der geringe Meister kommt nicht auf, weil der groͤßte 
Theil des Gewinns in die Tasche des Capitalisten fließt, der Ver⸗ 
mögende, auf seine Mittel und seinen Credit sich ftützend, treibt 
jein Handwerk fabrikmäßig. 
Die Nachtheile, welche dieraus für die Communeent stehen, 
sind unkeugbar. Das Armenbudget gibt davon die unwidersprech⸗ 
lichsten Zeugnisse. 
Das Handwerk hut daher unstreitig heute die Bedeunmg nicht 
nehr, welche es ehedem hatte; es ist nicht mehr der Mittelpunkt 
des gesammten technischen Gewerbebettiebs, und jiehen wir eine 
Barallele zwischen Sonst und Jetzt, so müssen wit, so seht es auch 
m Geiste der modernen freiheitlichen Bestrebungen unseres ganzen 
ocialen Lebens widerspricht, doch ungescheut belennen, daß der 
dandweckerstand im Mittelalter besser situirt war, als er es heut— 
sutage ist. — — Doch was nützen alle Reflexionen, was alle Ver⸗ 
zleiche zwischen Sonst und Jehzt, wenn wir keine Mittel finden, 
um die heuligen Mißstände zu veseitigen? Versuchen wit es daher, 
in das sich schnell drehende Rad, das heutzutage alle unsere gewerb⸗ 
lichen Verhältnisse mit mächtigen Schwingen bewegt, einzugreifen 
und Mittel außzusuchen um die eingerissenen Schäden thunlichsi 
auszu dessern. 
Weit entfernt, dem veralteten System des Zunstwesens das 
Wort reden zu wollen oder die wohlthätige Wirkung der Gewerbe⸗ 
reiheit u derkennen, dürfen wir doch die Augen nicht schließen, 
venn uns die Gebrechen, die letztere im Gefolge hat, entgegenireten. 
Nicht die Gewerbefreiheit seibst soll beschtäntt werden, sondern 
die Zersaͤhrenheit müssen wir zu beseitigen suchen, welche in Folge 
desfelden bei dem Handwerlerstande eingetreten ist und nief zu be⸗ 
lagende Mißstände herbeigeführt hat; nicht die Zünfte und ihre 
Zwangsrechte sind weeder herzustellen, wohl aber müssen, da die 
gnfte aufgehoben sind Haudwertsgenossenschaften 
un ihre Sielle treten. Gortlsetzung solgt.) 
Vermischtes 
St. Inabert, 183. Ott. Bei dem vorgestern Nacht statt⸗ 
zehabsen starken Gewitter mit heftigem Regen, schlug der Blitz in 
zas Wohngebäude des Bergmannes Joh. Ad. Reif, wo er zwei 
hallen im Dachfirste zersplitierte, durch die Decke in ein Zimmer 
uht, welches von einem Hüttenarbeiter bewohnt wird, dessen Frau 
gerade die Lampe anzünden wollte; det Schlag war ein so heftiger. 
ohue jedoch zu zünden, daß Mann und Frau gauz betdubt wurden 
— Am 12. d. erschoß der Tuncher J. B. Adt von Ems. 
he im einen jungen umherlaufenden Spitzhund', dem Heinrich 
Fron vom Neumühlerhofe gehörig, welcher, nach thierürztlichemn Be— 
und, wuthkrant gewefen sein foll. 
Die pfaälzische landwirthschaftliche Winterschule zu Kaiserslautern 
yesteht seit 10 Jahren;während dieses Zeitraums wurden in derselben 
148 Schüler unserrichtet; dieselben vertheilen fich auf die Bezirbãmten 
— 2, Germersheim 
. Homburg 28. Kaiferslautern 44, Kirchheimbolanden 19, ufel 
Sandau 9, Neustadt 7, Pirmasens 8, Speier 8, und Zwelbrüden 
3. Das Schuljahr 187576 zählte in deiden Kursen 22 Schüler. 
Die Kosten berechnen fich ungefähr folgendermaßen: 1. Schulgettd 
s M. 60 Pf., 2. Koft und Logis sür 5 Monate 170 2250 
MN., 3. Bucher, Zeichnen⸗ und Shhreibmaterialien 30 — 35 Mi 
Taschengeld 28 — 85 M., 5. Reifegeld für Exkursionen 12 — 
0 M.“, im Ganzen 245 M. 60 bis 348 M. 60 Pf. — Der 
Zzweck der Winterschule ist den Söhnen von Landwirthen zu 
iner Ziit, in der sie in der elterlichen Wethschaft entbehrt werden 
dnnenm, auknüpfend an das in der Volksschul Erlerate, sowie am 
as in der Praxis Erfahcene, allgemeine und fachliche Bildung 
angedeihen zu lafsen. Der Unterricht beginnt Anfangs Novbembert 
iad dauert dis Ende Maärz; derselbe umfaßt im 1. Kurs: deutjche 
Sprache, Geographieund Geschichte, Arithmetik, Naturgefchichte Physik, 
zandwirthschaftskunde in Verbindung mit Chemie und Mineralogie, 
dehre von den landwirthschaftlichen. Hausthieren, Zeichnen und 
ʒ hönschreiben, im Ganzen wöchentlich 36 Stunden; im 2. (obern) 
dara jallt das Schoönschreiben weg und kommen hinzu Geomeirie, 
Buchhaltung und Wechstllehre; im Ganjzen gleichfalls 36 Stunden 
pec Woche. Die Anstalt unternimm von Zeit zu Zeit kleinere 
Nusfllüge zur Besichtigung von Stallungen und technischen Etab lisse⸗ 
nenis, sowie aud größere Excursione Voriges Jaht wurde die 
nternationale Molkerei⸗Ausstellnung in Frankfurt a. M. besucht. Wer 
n die Winferschule eintreten will, hat sich bei dem k. Rektorat per⸗ 
oͤnlich anzumelden und sich einschreiben zu lassen. Das von der 
. Regierung genehmigte Schulgeld, von dessen Entrichtung nachge⸗ 
viesen⸗ Düiftigkeit befreit, wird bei der Einschreibung hinterlegt. 
Zur Aufnahme in den J. ars ist erfotderlich: 1) ein Auet von 
nindestens 15 Jahren, 2) Der Besitz der in der obern Klasse 
einer guten Volksschule zu erlangenden Kenntnißze, über die sich der 
Betreffende durch ein Schulzengniß auszuweisen hat, 3) ein Zeug⸗ 
niß bon der Orisschulbehoͤrde über sittliches Wohlverhalten. In 
den 2. Kurz können nur solche Jünglinge aufgenommen werden. 
die den 1. Kurs mit Erfolg besucht haben, oder die durch eiat 
Prüfung den Nachweis der zum erfolgreichen Besuch dieses Kursel 
tforderlichen Kenntnifse liefern. 
In Kaiserslaut ern gerietben verflossenen Sonntag Abend 
zuf der Siraßen der 19jährige Eisengießer Carl Diebl und der 
18jährige Schlosser F. Westenburger von hier in Sireit, wobe 
zegenseinig von Messern Gebrauch gemacht und Letterer so schwer 
herleßzt wurde, daß et heute starb. Der Thäter wurde verhaftet und 
war zur Zeit der That von seinem 16jährigen Bruder asfistirt, 
welcher kürzlich eine einmonatliche Getängnißstrafe verdüßte, weil er 
„seinem Lehrer das Hirn za Wasser schlagen? wolltie. 
PHochspeyer, 10. Olt. Eine Hochzeit auf Wette wurd