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M 175. J Eamstaa. den 4. November — J J 1876.
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Deutsches Reich.
Mänchen, 31. Okt. Der „oberste Schulrath,“ der
n den jüngsten Wochen sehr thätig war und eine Reshe Sitzungen
uinter dem Vorsitze des Herrn Staatsministers v. Luß hieln, wird,
»bwohl die Abaeo⸗dneteikammer bekanntlich für das Jahr 1877
die Mittel für deuselben verweigerte, mnicht aufgehoven werden
ind das um so weniger, als alle Mitglieder desse Iben erklärt haben,
ie werden ohne jede Entfschädigung ihre Funklion auch sernerhin
usüben.
Berlin, 29. Ott. Dem Bundeẽrath sind jetzt vom Reichs—
anzleramt die Ergebnisse der über die Verhältnisse der Lehrlinge,
Heselien und Fobr'karbeiter augestellten Erhebungen vorgelegt worden.
Dieselben gewähren einen sehr interessanten E'nblick in das ganze
Bediet der Arheiterfrage. Der Vorbemerkuntz, welche das umfang-
reiche Schriftstück einleitet, entnehmen wir folgende Ausführungen:
Die Erhebungen verfolgten den Zweck, für eine Prüfung der in
den letzten Jadren immer lebhafter gewordenen Kiagen über den
Zustand des Lehrlings- und Gesellenwesens im Handwerk und über
zie Beziehungen des Arbeiters und Arbeitgebers under Großindustrie
uverlässige Unterlaven zu gewinnen. Es kam einerseits darauf an,
zie thajächliche Gestaltung der Arbeiterverhältnisse in den verschie⸗
denen Gegenden Deutschlands festzustellen und dabei zu ermitleln,
velchen Einfluß die Bestimmungen der Gewerb-⸗ordeung auf ihre
ẽwicklung geübt haben. Andererseins e schdien es richtig, Geweß⸗
jeit darüber zu erha'ten, welche Anschauungen in den gewerblichen
reisen selbst über die Mängel der bestehenden Zustände urnd uͤver
»as Bedürfniß einer Abänderang der geltenden Gesetz ebung'“ die
errscheuden sind. Die Erhebungen haben sich mit Ausnahme von
clsaß Lothringen auf das ganze Bundeszebiet erstreckt. Die Reichs⸗
ande siad außer Betracht geblieben, weil es sich wesentlich nur
im die Erörterung der gegen die Gewerbeordnung gerichteten Be—
chwerden handelte, Für die verschredenen Bezirken wurden Beamte
erufen, welche die ihnen bezeichneten, mit Rücksicht auf die Kennk⸗
uß des Gewerbewesens ausge vählten Männer zu vernehmen hatten.
Die Sachverständigen waren überwiegend aus dem Ssande der
Urbeitzeber oͤer Arbeitnehmer ausgewählt. Neben ihnen wurden
iber auch andere, mit dem gewerblichen Leden vertraute Personen
ernommen. Es haben an 559 Octen Vernehmungen Siatt ge⸗
unden. Ueder die das Lehrlingswesen betreffende Fragen sind mihr
us 4000 Arbeitgeber und mehr als 2000 Urbeitneh ner zum Wort
gekommen. Eine ähnliche Auzahl von Vertretern beider Theile ist
ider die Verhältn'sse des Gejellenwesens gehört. Zu den üder die
Lerhältnisse der Fabrikarbeit festgestellten Fragen hiegen mehr als
32000 Erklärungen vor. Die Antworten der Sachverständigen sind
a Protokollfoem dem Reichskauzleramt eingesandt. Wo es für die
Vürdigung der abgegebenen Meinungsäußerungen von Bedeutung
vien, ist in der Zustammenstellung bemerlt, welche Stellung die
Urtheilenden einnehmen. Zur besseren Uebersicht sind aus dem
ceußisaen Staalsgebiere sünf Gruppen gebildet worden, vonwelchen
yie erste Preußen und Pommern, die zweite Schlesien und Posen,
ne dritte Berlin, Brandenburg und Sachsen, d'e vierte Schleswig⸗
olstein, Hannover und Wesifalen, die fünfle Rheinprovinz und
desser · Nass u umfaet. Für Voyern, Sachsen und Würthemberg
d die Zusammenstellungen gesondert bewirlt. Eine gesonderte
darst llung der übr gen Siaaten erwees sich als un hunli d Ueber
nas Lehrlingswesen heißßt es: „Nach dem Ausfall der Echebungen
zarf im Allgemeinen gesagt werden, daß die neuere gewerbliche
atwicklung die alte Bedentung des Lehrl ngs⸗Verhältrisses iar
Vesentlichen unberührt gelassen hat, soweit das eigentlice Handwerk
a Beittacht kommt. Hier beiteht no d überall eine feste Grenze
wischen Lehrling und Geselle. Anders ist es dagegen dort, wo
as Handwerk seine alle Natur eingbüßt hat, indem en wider de
Arb iser auznahmslos in Tagelohn stehen, wie namentlih in den
zaugewerben u. dosl.“ Im Uebrigen wird fasl allgemein zu einer
ꝛesonderen geseßzlichen Vorsorge für die jüngeren Alterellassen der
Lehrl'nge ein Vrdürfriß nicht empfunden. Bezüglich des Gesellen—
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wesens scheint die Frage des Kontralibruches von besonderer Be⸗
deutung. Es hat sich da die Meinung geltend gemacht, daß die
Besetzgebung jeden Einschreitens sich zu enthalten habe, weil das⸗
elbe uunöthig, weil es erfolglos oder unmöglich sei. So ist die
Stimwung vor Allem vielfach in den Kreisen der Arbeiter. Ueber
enselben Puult heißt es hinsichtlich der Fabrilverhältnisse, daß gegen
den Vertragsbruch der Ardeiter Elwas geschehen müsse, da Dies ein
unter den Arbeitgebern sehr weit verbreitetes Gefühl ist. Vor
Allem wud zu dem Behufe die Einführung bon Eutlassungsscheinen
»der Arbditsbüchern befürwortet. Auch uͤnter den Arbeitnehmern
Jit dieser Vorschlag viel Anklang gefunden. Für die Beur theilung
nes Ergeonisses der Erhebungen ist es von Wichtigkeit, daß in den
Meinungsäußerungen häufig große Unkllarheit lich kundgegeben hat.
er den Veruehmungen sind die Bemühungen augenscheinlich nur
elten dahin gerichtet gewesen, mittelst eines näheren Eingehens auf
ie Fragen die Ansichten zu klären und den Wünschen und Be—
hwerden einen bestimmten Gebalt zu geten. Zaum Töüeil hat
ener Mangel freilich in der Niur der Verhältn'sse seinen Grund.
Die Unklarheiten treffen nicht uur Tas, was gesch⸗hen soll, um
ie Beseitigung angetlicher Mißstande zu erreichen. sondern sie zeigen
ich edensowohl in dem Urtheil über die Ursachen und über die
Tra weite der berührten Uebel.
Berlin, 80. Ott. Die heut'ge Beschlußunfähigkeit des Reichs⸗
ags hat allgemein unangenehm berührt. Die meisten Lücken zeigten
äch im Centrum, die Bayern sehlen noch in ziemlich großer Zahl;
nuch die Württemberger siad noch spärlih anwesend und die Elsaß⸗
Lothringer sind noch nicht erschienen; auch Sozialdemokraten fehllen
noch. Hoffent'ich wird man morgen vollzählig sein und zur Wieder⸗
wahl des Präsidiums und der Bure ux schreiten lkönnen. (K. 3.)
Berlin, 30. Olt. Der Mirisier des Innern und der
dultusmin ster haben der Schles. Presse zufolge die Verbrennung
von Leichen als unverträglich mit dir bish rigen Gesezgebung und
untr allen Umständen unzulässig bezeichnei. (Girtj. 3.)
Berlin, 1. Nov. Das Plenum des Bundesralho sprach
ich gestern für Beibehaltung der Handelsgerichte und gegen Ab—
vaffung des Zeugnißzwanges in Preßprocissen, und degen Ueber⸗
deisuag der Prehzvergesen an die Schwurgerichte aus Für den
Lommissionsbeschluß d. h. für Ueberweisurg der Preßvergehen an
die Schurgerichte stimmten Bayern, Württeinberg u d Baden.
Berlin. Die deutschen Regierungen sind nunmehr dahin
ibereinagekommen, zur Erle'chterung e'ner geordneten Actenjührung
un gleichmäßiges Papierformat von 33 Centimeter Höhe und 21
Lentimeter Breite für den Gebrauch der sämmilichen Reichs⸗und
Staatsbehörden einzuführen. Wahrscheinlich wird nun. auch allen
nicht staatlichen Verwaltungéstellen der Länder empfohlen werden,
sich desselber Fotmates zu bedienen.
— Ausland.
Wien, 80. Ott. Die „N. Fr. Pr.“ schreibt: „Die Thron⸗
ede, mit welcher der deuische Reichstag eroͤffnet wurde, enthält be⸗
üglich der beborstehenden Erneuerung der Handelsverträge einen
ochst bemerlenswer'hen Pessus. Nachdem di⸗ Thronrede der noch
mmer herrschenden Krise gedaht und hervorgehoben, daß eine Ab⸗
IAlje durch den Staat kaum moglsch sei, fähri sie folgendermaßen
ort: „Wohl aber wird es als Aufgabe der deuischen Handels—
olitik zu betrachten sein, von der he mischen Judusttie Benachthei⸗
izungen abzuwnden, welche ihr durch die Zoll- und Steueceinrich-
ungen anderer Staaten bercitet werden. Auf dieses Ziel wird
die kaiserliche Regierung namentlich bei den bevorstebenden Ver—
andlungen über die Erneuerung von Handelsvertraägen hinzuwirken
emüht sein.“ Dieser Passus ist nicht mißzuverstehen. Er bezieht
ich mit fast handgreiflicher Deutlichkeit auf Oesterreich Ungarn und
st das starke Patolt, welches den Bestrebungen unserer (österreichisch
ind ungarischen) Schutzzöllner entgegengesetzt wird. Die deuische
Negierung will, das steht nunmehr fest, sich auf's entschedenfte
jegen die von der üsterreichischen Regierung geplanten Zoll · Erhöh⸗
ungen wenden und keinen Vertrag abschließen, in welchem dieselben