Sl. Ingberter AAnzeiger.
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M B2. Sonntag, den 31. März 1878.
Deutsches Reich.
Berlin, 26. Marz. Die Reichstags Commission für die
Gewerbeotdnungs Vorlagen hat am Montag zunächst den vom
Berichterstatter Dr. Gensel im Entwurse vorgelegten Bericht über
die Gewerbegerichte festgeslellt und sodann die zweite Lesung des
Gesehes beireffend die Abanderung der Gewerbeordnung zu Ende
geführt. Die in der ersten Lesung beschlossene Ausdehnung der
Vorschriflen über Beschäftigung jugendlicher Ardeiter auf die Frauen
wurde wieder beseitigt, dagegen in 8 188 eine Bestimmung ein⸗
gefügt, wonach die Nachtarbeit der Frauen in gewssen Industrie⸗
weigen vom Bundesrathe untersag! werden kann; die schützende
Bestimmung zu Gussten der Wöchnerinnen wurde ebenfalls aufrecht
erhalten. Wegen der Fadrik:Inspektoren wurde ein Antrag Stumm
angenommen, wonach solche von den Landesregierungen angestellt
werden sollen, außer wo der Bundesrath anerkennt, daß ein Be⸗
dürfniß nicht vorhanden sei. Schl'eßlich wurde auf Antrag von
Dr. Gensel eine Resolution angenommen, wonach der Reichskanzler
ersucht werden soll, über die Beschäftigung von Kindern in der
Dausindustrie und die Mittel zur Abhilfe der damit verbundenen
uͤebelstände Erdrterungen anstellen und dem Reichstage eine Vor—
lage zugehen zu lassen. Auf Antrag von Dr. Hirsch wurde Dies
auf die jugendlichen Arbeiter überhaupt ausgedehnt.
Das neue Finanz⸗Amt erhält die Bezeichnung „Reichs ˖ Schatz⸗
amt“ und das Reichskanzler-⸗Amt „Reichsverwaltungs Amt.“ An
die Spitze des erstecen tritt ein Unterstaalssekretär.
Eiñe Erörterung der Frage: KRongreß oder Krieg?
schließt das „Berliner Tageblatt“ mit den Worten: „Für uns
Deuische hätte ein rufsisch-englischer Krieg kaum etwas Schreckhaftes.
Im Gegentheil, deutscher Handel und deuische Industrie könnten
schließlich recht gut dabei fahren. Da man das aber in England
ohne Zweifel auch weiß, so glauben wir bdis auf Wemeres nicht,
daß Lord Derby seine herausfordernde Politik bis zu einer Kriegs
erklärung gegen Rußland treiben werde, selbst wenn das eaglische
Ministerium so weit gehen sollte, den Krongreß wirklich zum
Scheitern zu bringen. Allein selbst wen man gewisse kriegerische
Gelüste im Kabinet von St. James vorausseßt, wird man zugeben,
daßz das neutrale Europa unter einem so hinfälligen Vorwande
nicht gestatten wird, den Frieden ernstlich in Frage zu stillen.
Und so bleiben wir zunächst bei unserer Anschauung, daß selbst,
wenn es nicht zum Kongreß kommen sollte (obwohl wir dessen
Zusammentreten noch immer nicht flür unmöglich halten!) ein
rieg zwischen Rußland und England deßhalb doch nicht unum⸗
zänglich zu entbrennen braucht. Denn, wie es im Liede heißt:
Europa braucht Ruhe!“
Der „Magd. Zig.“ zufolge dürften Rußland und Oesterreich
jihre Interessen auf der Ballanhalbinfel durch gemeinschaftliche
Unterhandlungen in Berlin und unter fteundschaftlicher Vermittlung
des Berliner Kabinets aus zleichen. Die Kanzler dieser drei Groß⸗
mächte dürften persönlich unterhandeln. England bleibt es dann
Aberlassen, in der einen oder andern Weise sich allein mit Rußland
auseinanderzuse tzen.
Ueber den eigentlichen innern Grund des Scheiterns des Kon—
zresses finden wir in der „K. Z.“ eine bemerkenswerthe Aeußetung:
„Jedenfalls zeigt sich, daß die Umwandlung der Konierenz in
einen Kongreß und die Verlegung nach Berlin der Verwirklichung
des Pianes für jetzt aicht zu Statten gekommen ist. Englande
Mißtrauen wurde dadurch wachgerufen und veranlaßte seinerseits
Vorbehalle, weiche Rußland dis jezt nicht entsprochen hai. Die
Ansichten waren ohnehin in der letzteren Zeit getheilt, ob der
Kongreß ein befriedigens Resultat erzielen werde.“
Ausland.
Wien, 28. März. Die „Polit. Corr.“ meldet aus
Konstantinopel: Es herrscht wachsende Besorgniißßz wegen des be⸗
drohlichen Verhältnisses zwischen England und Rußland. Dast
Gericht gewinnt Consistenz, der Großfürst Nekolaus habe seinen
Aufenthalt verlängert, um die Türkei gegen Concessionen betreffs
der Kriegsentschäͤdigung zu einem Schuße und Trußbündniß zu
hewegen. — Aus Athen: Die türkische Flotte und die türkischen
Zandiruppen bereiten einen vereinigten Augriff auf die Aufstän⸗
dischen am Pelion vor. Das britische Krieasschiff Ruby wird
mehrere Tausend griechische Flüchtlinge nach Griechenland bringen.
London, 28. März. Die Lage hat sich wieder merklich
derschlimmert; wie dem Manchester Guardian von hier gemeldet
rird, überreichte Graf Schuwalow hier gestern die russische Ant⸗
wortnote.
gondon, 28. März. Der Cabinetsrath wurde heute plötz
lich zusammenberufen und ist augenblicklich unter dem Vorsitze Bea⸗
rondsfields versammelt.
Londo'n, 29. März. Im Oberhause theilte Lord Derbh
nit, daß er der Königin seine Dimission eingereicht habe; Grund
derfelben sei indessen nicht die Frage wegen Vorleguag des Ge⸗
'ammtvertrages von San Siefano an den europäischen Krongteß.
Beacon sfield erllärte, die Demission Derby's sei die Folge der
Einberufung der Reserven.
non, 29. Marz. Im Unterhaus erklärt der Kriegs
ekretär Hardy, daß die Einberufung der ersten Armeereserve und
der Mihgreserve no:hwendig geworden und daß die diesbe⸗
ügliche königliche Botschaft dem Hause wahrscheinlich am Montag
jugehen werde. Dann werde die Proclamation, betreend die
Finberusung der Reserven, werche erforderlich, ersfolgen. Die Zahl
Jer ersten Klasse der Armeereserve beträgt ungefähr 13,000 die
der Milizreserve 23,000, im Ganzen alfo 36,000 Mann. Die
Bereinigung der Miliz mit der Arme erfolge erst, wenn die Ex⸗
pedition ins Ausland gehe.
Vermisqhtes.
4 Zweibrücken, 29. März. Bei der gestrigen Ver⸗
deigerung der hiesigen Schloßmühle ist dieses ganze Anwesen um
den Preis von 60,700 M. in den Besiß der HH. Kaufmann Louis
Brünisholz und Bierbrauer Louis Schmidt dah'er übergegangen.
fParis, 25. Maärz. „Figaro“ erzählt: Ein fein ge⸗
leideles 16jühriges Mädchen kam gestern auf den Pont Rohal,
maß mit den Blicke die Entfernung zwijchen diesem und dew Bett
der Seine, stieg dann auf dem Uferweg hinab, ging einen Augen⸗
lick auf und nieder und sprang endlich in den Strom, unler
dessen Wellen ste sogleich verschwand. Ein Diener der nahe ge⸗
segenen Badeanstalt siürzte ihr ungestüuu nach, und war so
zlücklich, sie wohlbehalten aus dem Wasser zu ziehen. Man brachte
das junge Mädchen auf den Poli,eiposten am Pont⸗des⸗Atts, wo
sie die uötbige Pflege empfing. und dann vor den Polizei⸗Commissãär
Berillon. Auf die Frage, wer sie wäce, nannte die junge Person
zum nicht geringen Erstaunen des Beamten den Namen des Ver⸗
reters iner der größten europäischen Nationen bei der französischen
Republii. Das Mädchen wurde sogleich in die Wohnung ihrer
Eltern geführt, wo ihre Großmutter ihrem Lebensreiter als erstes
chwaches Zeichen der Dankbarkleit die Summe von 500 Fr.
iberreichte. Das Mädchen hatte, ehe sie das glänzende Hotel
hrer Eltern verließ, in einem Briefe ihren festen Entschluß zu er⸗
nennen gegeben, ihrem Leben ein Ende zu machen.“ Wie man
hon anderer Seite dernimmt, isl diese Begebenheit, deren Heldin
allerdings der Familie eines sehr bekannten kremden Diplomaten
angehört, ihre drei Wochen alt.
Das Alter der Fürsten. Der deutsche Kaiser Wil⸗
helm, welchet soeben seinen 81. Geburtstag beging, ist der Nestor
ier den Souberänen der Erde. Der Einzige, der ihm an Jahren
uberlegen gewesen, war Papst Pius IX. Nun macht ihm Niemand
mehr diese Würde streitig. Sieht man von den Kleinfürsten ab,
so ergeben sich nach Kaiser Wilhelm folgende Altersstufen: der
önig der Niederlande 61, der Kaiser von Rußland 60, der König
on Dacemart 60. die Königin Viktoria 89, der König von Wurt⸗
emberg 85, der Kaiser von Brojilien 58, der Koͤnig von Sachsen
50. der Koönig von Schweden 409, der Kaiser von Oesterreich 48